Foto: © Monika Rittershaus
Philharmonie Berlin, 25. Oktober 2018
Berliner Philharmoniker
Gustavo Dudamel, Dirigent
Leonard Bernstein, Divertimento for Orchestra
Gustav Mahler, 5. Symphonie cis-Moll
von Peter Sommeregger
Der venezolanische Dirigent Gustavo Dudamel, der spätestens seit 2004 auch international bekannt ist, hatte in jüngeren Jahren das Image eines Popstars. Seine charakteristische schwarz gelockte Haarpracht, sein jugendliches Ungestüm wurden schnell zu seinem Markenzeichen. Auch bei den Berliner Philharmonikern ist er inzwischen ein regelmäßiger und gerne gesehener Gast.
Für das aktuelle Konzert wählte er als erstes Stück das Divertimento for Orchestra, das Leonard Bernstein 1980 für das Jahrhundertjubiläum des Boston Symphony Orchestra komponiert hatte. Die nur eine gute Viertelstunde dauernde Komposition sprüht förmlich vor musikalischem Witz, unzähligen Anspielungen und rasantem Tempo. Ein launiges, brillantes Stück, das sich wie ein Querschnitt durch die jüngere Musikgeschichte im Schnelldurchlauf anhört. Das blendend disponierte Orchester hatte selbst hörbaren Spaß an diesem Stück und entließ ein gut gelauntes Publikum in die Pause.
Mahlers monumentale 5. Symphonie ist da schon ein anderes Kaliber. Leonard Bernstein, der Mahler tief verehrte, ließ sich die Partitur dieser Symphonie in den Sarg legen und wurde mit ihr beerdigt. Ein heute fast schon vergessener Umstand: Es war auch Bernsteins Verdienst, das Werk Gustav Mahlers nach der Ächtung durch die Nationalsozialisten wieder in den Konzertsälen heimisch zu machen. Gustav Mahler selbst sagte einst über seine 5. Symphonie „Niemand capiert sie“ – leicht macht es der Komponist dem Hörer auch nicht, dieses komplexe Werk auf Anhieb zu begreifen. Es entstand während einer glücklichen Phase in Mahlers Leben, der gerade erst geheiratet hatte. Die folgende Problematik dieser Ehe war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar.
Der erste Teil beginnt mit einer Trompetenfanfare, die sich – brillant gespielt – durch den ganzen ersten Satz zieht. Der Trauermarsch und die Fanfaren haben etwas Militärisches, etwas Abgeklärtes. Der zweite Satz ist hingegen stürmisch bewegt, hat durch das Schwanken der Stimmungen etwas Zerrissenes – Höhepunkt ist ein Trompetenchoral, der allerdings schnell wieder in eine depressive Grundstimmung mündet.
Das schon von der Dauer her ungewöhnliche Scherzo weist mehrfache krasse harmonische Brüche auf, turbulente Tanzrhythmen wechseln mit Passagen des Horns, das solistisch geführt wird.
Im 4. Satz, einem innigen Adagietto, dominieren die Streicher und die Harfe. Das breit ausgeführte Thema erinnert stark an das Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ und ist als Liebeserklärung an die Ehefrau Alma interpretiert worden, als eine Gesangszene ohne Worte. Diesen Teil des Werkes verwendete Luchino Visconti für seinen Film „Tod in Venedig“ und hat damit der Musik Gustav Mahlers in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts eine unerwartete Popularität beschert.
Im Allegro des Rondo-Finales steigert sich die Grundstimmung mehr und mehr zum Überschwang. Der aus dem zweiten Satz bekannte Choral wird erneut aufgenommen, bricht dieses Mal aber nicht wieder zusammen, sondern findet kraftvolle Bestätigung.
Der Dirigierstil Dudamels, seine ganze Motorik, haben sich in den letzten Jahren verändert. Der mit 37 Jahren immer noch sehr junge Dirigent wirkt heute souverän elegant, weniger überhitzt und stürmisch – und hat dennoch nichts von seinem Charisma eingebüßt. Der letzte Ton des furiosen Finales ist noch nicht verklungen, da bricht bereits der begeisterte Jubel des Publikums los. Einen kurzen Augenblick der Besinnung hätte man sich in diesem Augenblick vielleicht gewünscht. Das klang doch wieder sehr nach Popstar, kann aber den tiefen Eindruck, den diese grandios ausgeführte Aufführung hinterlässt, nicht wirklich trüben.
Peter Sommeregger, 26.Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de