Foto: Martin U.K. Lengemann
Richard Strauss: Metamorphosen
Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 3 „Eroica“
Berliner Philharmoniker
Musikalische Leitung: Herbert Blomstedt
Philharmonie Berlin, 22. September 2023
von Kirsten Liese
Die Auftritte des dienstältesten Dirigenten bescheren immer wieder Konzerterlebnisse der besonderen Art. Nach dem Sturz im vergangenen Jahr, der einen Beinbruch nach sich zog, dirigiert Herbert Blomstedt nun nicht mehr im Stehen, aber das muss ein 96-Jähriger nun wahrlich auch nicht.
In seinem Erleben von Musik finden sich – und das ist das eigentlich Phänomenale – nicht die geringsten Anzeichen von Altersmüdigkeit, im Gegenteil: Sein jüngstes Konzert mit den Berliner Philharmonikern ist einmal mehr bestimmt von einer sagenhaften Präsenz und Wachheit.
Zwar körperlich noch etwas fragil erscheint der hagere alte Mann, als er, am Arm geleitet von Konzertmeisterin Vineta Sareika-Völkner, unter emphatischem Beifall auf das Podium kommt. Aber der Eindruck verfliegt schon innerhalb von wenigen Minuten.
Seit jeher dirigiert der gebürtige Schwede ohne Taktstock, die Partituren liegen vor ihm unaufgeschlagen auf dem Pult. Er hat also in diesem hohen Alter alles noch im Kopf!
Bei einem nur mit Streichern besetzten kleineren Werk wie Strauss’ Metamorphosen, mit dem der Abend begann, könnte man vielleicht noch meinen, dass es ein Orchester zur Not auch mit ein paar Einsätzen der Konzertmeisterin spielen könnte. Aber spätestens bei Beethovens Dritter, der Eroica, dem Hauptblock des Abends, offenbart sich, dass dem Dirigenten sein rechter Arm mit dem leicht abgewinkelten Handgelenk eben keineswegs nur dazu dient, das Orchester zusammenzuhalten. Vielmehr spiegelt sich die gesamte Sinfonie in den sehr sparsamen, zeigefingerischen und zugleich so präzisen Zeichen des mit seiner Ausstrahlung von Bescheidenheit und Uneitelkeit für sich einnehmenden Dirigenten.
Aber zunächst noch einmal zu den Metamorphosen: Einen herrlich satten, süffigen Klang pflegen da allen voran die tiefen Streicher, die das vielfach wiederholte wehmutsvolle Hauptthema dominieren. Blomstedt zelebriert diese Musik, die man in anderen Interpretationen schon wesentlich verhaltener gehört hat, weitgehend sehr sinnlich in dynamischen mittleren Bereichen. Zu erleben ist gewissermaßen ein Schwelgen in schmerzlich schönen Klängen, was dazu passt, dass Strauss in dem Stück für 23 Streicher leidvolle Impressionen aus dem Zweiten Weltkrieg verarbeitete.
Und hier wie besonders später dann beim Beethoven kann man beobachten, wie plastisch der gebürtige Schwede die Musik nachzeichnet, seine Arme weit öffnet, wenn sie aufblüht, im wechselnden Einsatz beider Unterarme aufzeigt, wie die unterschiedlichen Stimmen strukturell ineinander greifen, und wenn es auf einen Höhepunkt zugeht, die leicht angewinkelten Hände wie zum Winken nach oben streckt.
Wie ein Primus inter pares sitzt er dabei auf dem Podium dicht an den Musikern dran. So schaut er nicht aus, als würde er den Ton angeben, sondern mit den Berlinern gemeinsam musizieren, was sich schon in der Bescheidenheit seines Auftretens vermittelt.
In der Eroica versammelt sich dafür gleich noch die erste Garde der Bläsersolisten des Orchesters: Albrecht Mayer, Oboe, Wenzel Fuchs, Klarinette, Daniele Damiano und Stefan Schweigert, Fagott. Sie alle sind vor allem im Marcia funebre, den Blomstedt als innigen Klagegesang zum Herzstück der Sinfonie werden lässt, viel im Einsatz, jede einzelne Phrase, ob zärtlich oder feierlich, ist ein Gedicht. Stefan Dohr, einer der weltbesten Hornisten, bezeugt seine Sonderklasse einmal mehr mit einem herrlich brillanten Klang im Trio des Scherzos.
Der gebürtige Schwede Blomstedt ist gleichwohl auf seine alten Tage kein Mann durchweg langsamer Tempi. Scherzo und Finale geht er flotter an als so manche Jungspunde. Da staunt man, wie er das macht, mit seinen dicht zusammen gepressten schmalen Fingern, dass sich diese sagenhafte Energie so in den Saal überträgt.
Allein die Einleitung zu dem Finale mit den Pizzicati habe ich schon einmal geheimnisvoller weiland mit den Wienern unter Christian Thielemann gehört. Der hatte dazu eine passende schöne Vision von jemandem, der nachts aufsteht und etwas orientierungslos torkelt, weil er den Lichtschalter nicht findet, so klang es bei ihm auch. Bei Blomstedt steckt weniger Schalk in diesen Takten, die gezupften Töne kommen genau auf Schlag und tönen präsenter. Aber das schmälert nicht den vorzüglichen Gesamteindruck.
Vielmehr hat Blomstedt wieder einmal klargestellt, dass er noch längst nicht zu jenen Lemuren zählt, die nicht aufhören können, aber entbehrlich geworden sind, weil die Orchester auch ohne sie spielen. Mit großer Dankbarkeit stellt er sich in den Dienst der Musik und wird dafür gebührend gefeiert.
Kirsten Liese, 24. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Chamber Orchestra of Europe, Herbert Blomstedt, Dirigent Kölner Philharmonie, 24. Mai 2023