Kirill Petrenko, Berliner Philharmoniker 22.05.2025 © Monika Rittershaus
Eine große Darbietung, ein Ereignis: Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker in der Essener Philharmonie
Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 9 D-Dur
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko, Dirigent
Philharmonie Essen, 22. Mai 2025
von Brian Cooper
„Völlig unsentimental!“, hatte ich noch am Vorabend in der ausverkauften Kölner Philharmonie zu dieser unfassbar guten, wahr(haftig)en und schönen Neunten von Mahler unter Kirill Petrenko notiert, der seine Berliner Philharmoniker gegen Ende einer kurzen Europatournee auch nach Essen führte. Mit demselben Stück, das auch in Köln für Ovationen gesorgt hatte, war man zuvor in Amsterdam und Brüssel gewesen. In Amsterdam gab man beim dortigen Mahlerfest an einem weiteren Abend unter Sakari Oramo Das Lied von der Erde und das Adagio der Zehnten.
Es ist immer spannend, dasselbe Werk mit demselben Orchester unter demselben Dirigenten an zwei aufeinanderfolgenden Abenden in verschiedenen Sälen zu erleben. Große Unterschiede gab es diesmal nicht; die Stille, mit der das Werk verklingt, war vor allem in Essen beeindruckend, denn in Köln war während der letzten ersterbenden Takte (natürlich) Handyklingeln zu vernehmen. Dennoch war es beide Male in höchstem Maße bewegend: Mahlers Neunte „hört“ man nicht; man durchlebt sie, durchleidet sie, und viel Tinte ist vergossen worden über das Thema Abschied: Der Komponist hat seine letzte vollendete Sinfonie, die er im Sommer 1909 in seinem „Komponierhäuschen“ in Toblach schrieb, nie gehört.
Petrenko reiht sich spätestens mit dieser Aufführung ein in die großen Mahler-Darbietungen der Berliner. Claudio Abbado war einer der bedeutendsten Mahler-Dirigenten, die wir je hatten; Simon Rattle ist es noch stets (sein Bruckner hingegen überzeugt mich nicht immer); und selbst Herbert von Karajan – nicht unbedingt ein Name, der einem bei Mahler in den Sinn kommt – hat immerhin die 4., 5., 6. und eben die 9. eingespielt, zudem die Kindertotenlieder und Das Lied von der Erde.
Der Kopfsatz ist warm, zart, völlig kitschbefreit, das Changieren zwischen Dur und Moll geschieht mit einer Klangpracht, wie man sie selten zu Gehör bekommt. Stets ist der Klang transparent, und diesen Höreindruck untermauert Geiger Philipp Bohnen im sehr schönen Interview in der Essener Zeitschrift Auftritt: „Bei Kirill Petrenko erlebt man neue Einsichten, auch wenn man ein Stück schon oft gespielt hat. Dadurch, dass er seinen eigenen Fokus auf das Werk legt, und mit der von ihm erreichten Transparenz entstehen oft sehr intensive kammermusikalische Momente, und das selbst in so gewaltigen Werken wie den Mahler-Sinfonien.“
Gewaltig klingt es naturgemäß oft, aber es ist eben alles herausragend klar. Soli u.a. von Albrecht Mayer, Emmanuel Pahud und Konzertmeister Daishin Kashimoto veredeln diesen ersten Satz; im Verlauf der Sinfonie beeindrucken ganz besonders der großartige junge Solohornist Yun Zeng, Dominik Wollenweber am Englischhorn, sowie Solobratscher Diyang Mei und Bruno Delepelaire in den letzten Takten.
Der zweite Satz beginnt herrlich rustikal, bassgrundiert, die Linien sind stets klar, bevor es im Scherzo absolut verrückt wird. Eben burlesk, wie es in der Satzbezeichnung steht. Petrenko nimmt das in einem Affenzahn, und nur ein Spitzenorchester wie die Berliner Philharmoniker kann das unter diesen Umständen zum Ereignis machen. Wahnsinn. Das ist mitreißend. Kirill Petrenko betonte bei der Probenarbeit den „Galgenhumor“ des dritten Satzes, und das hört man. Allenfalls in der Siebten gibt es noch sonst bei Mahler so etwas Schräges. Das Tor zur Moderne wird hier weit aufgestoßen.
Dann der letzte Satz, der Abschied, vom Leben vielleicht. Dieser Schönklang, der eben völlig unsentimental daherkommt. Die Streicher spielen voller Wärme und Zartheit, die Hornsoli sind nicht nur sehr gut, sondern vibrieren – vielleicht paradoxerweise – vor Leben. Absolut alle spielten vorzüglich; es war eine Neunte, von der man noch lange sprechen wird.
„Wie bei Abbado“, dachte ich. Anders, aber ebenso ergreifend.
Riesenjubel, das Publikum erhob sich aus Respekt vor diesem Ereignis.
Dr. Brian Cooper, 23. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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