Philharmonie Berlin, 18. September 2021
Berliner Philharmoniker
Patricia Kopatchinskaja, Violine
Kirill Petrenko, Dirigent
Werke von Karl Amadeus Hartmann und Igor Strawinsky
Foto: Patricia Kopatchinskaja © Marco Borggreve
Ein Extraklasse-Abend der Berliner Philharmoniker, so wie man ihn aus Vor-Corona-Zeiten kennt. Neben Patricia Kopatchinskaja strahlte vor allem Kirill Petrenkos dynamisches, inspirierendes Dirigat. Und auch die Berliner Philharmoniker haben wieder ihre gewohnte Spitzenliga bewiesen.
von Johannes Karl Fischer
Die letzte Spielzeit war vor allem eine Corona-Spielzeit. Monatelang musste ohne Publikum gespielt werden, davor galten – auf der Bühne wie im Zuschauerraum – strenge Abstandsregeln. Ein Jahr später muss das Publikum weiterhin Masken tragen, alles andere ist wieder weitgehend normal. Strawinsky in voller Besetzung, Konzerte mit Pause. Und der Saal kann – dank nahezu voller Auslastung – seine akustischen Wunder wieder voll und ganz entfalten. Endlich klingt auch wieder alles wie vor Corona!
Und die Extraklasse-Abende sind wieder zurück! Beginnen wir mit Patricia Kopatchinskaja und ihrer einzigartigen Darbietung von Hartmanns Concerto funebre. Sie spielt nicht nur jede einzelne Note des Violinkonzerts mit Brillanz und Ausdruck wie kaum jemand anders. Nein, sie hat auch noch eine völlig einzigartige Körpersprache, mit der sie Musik samt all ihren Emotionen dem Publikum kommuniziert. In einer Sprache, die selbst ein neugeborenes Kleinkind verstehen wird. Als wäre sie ein Geist von Hartmann und seiner Musik.
Diese Musik ist schwer, erst recht für die Musizierenden, aber auch für das Publikum. Für viele Leute – selbst unter den Kennenden – ein Buch mit sieben Siglen. Was an diesem Abend dargeboten wurde, war eine zeitlose Entschlüsselung von Hartmanns verzauberndem Klang. Genau das, was das Publikum braucht, um mit dieser Musik etwas anfangen zu können.
Nach der Pause dann Strawinskys „L’Oiseau de feu“. Mal wieder mit der Wurst nach der Speckseite. Ganz im Gegensatz zum Hartmann-Violinkonzert, das – zu Unrecht – immer noch eine Rarität auf den meisten Konzertprogrammen ist. Die erste Hälfte gehörte Patricia Kopatchinskaja, die zweite den Berliner Philharmonikern. Beides Mal höchst emotionale Musik. Schon sehr lange her, dass mich die Musik so mitgenommen hat.
Verantwortlich hierfür war vor allem Kirill Petrenkos Dirigat. Diese Musik liegt ihm im Herzen. Das merkt man. Er begeistert wie kaum ein anderer. Was Kopatchinskaja mit Hartmann macht, macht Petrenko mit Strawinsky. Die Musik tanzt, sie weint, sie jubelt. Der Bläserklang am Anfang: weich, ruhig, fast schon tranquillo. Dann das Koschtschei Motiv: Als wäre dieser ein Dinosaurier, dessen Schwanz das Publikum mit jedem Orchesterakkord schier umhaut. In Block H – akustisch quasi im Schlagwerk – nochmal ein besonderes Erlebnis. Walter Seyfarths Es-Klarinetten-Solo war das Sahnehäubchen obendrauf.
Und der Schluss, den vermutlich das halbe Publikum auswendig kannte: Jubelnd, mitreißend, begeisternd wie kaum ein anderes Orchester ihn spielen kann. Hier kam auch die einzigartige Akustik der Berliner Philharmonie zum Vorschein: Dort, wo man in anderen Sälen bei Strawinsky nur von Pauken und Basstuben zugedröhnt wird, wurde man in Berlin vom vollgemischtem Orchesterklang umschwärmt. Selbst an den Stellen, wo Strawinsky alles, was Pauken und Trompeten so hergeben, rausholen lässt. Und das ist bei den Berliner Kunstfellpauken sehr viel Klang.
Ein Konzert auf diesem Niveau wäre ohne ein Weltklasse-Orchester nicht möglich gewesen. Schon bei Hartmann – dessen Violinkonzert übrigens nur eine Streichorchesterbegleitung vorsieht – spielten die Geigen wie an einem seidenen Faden gezogen. Und von Strawinsky ganz zu schweigen: Hier strahlten vor allem die Bläser-Solisten um Wenzel Fuchs (Klarinette) und Stefan Dohr (Horn). So etwas können eigentlich nur die Berliner.
Solch ein Konzert ist auch in Berlin eins der Extraklasse. Die Masken sind das Ideale Versteck für die Tränen, die so manchen Zuschauenden aus den Augen fließen. Das weiß ich spätestens seit dem Vorspiel des konzertanten Bayreuther Parsifal im August. Petrenkos Strawinsky ist wie Thielemanns Parsifal: ein magischer Klangzauber, der das Publikum in eine ganz eigene Klangwelt verführt.
Am Sonntag spielten Petrenko und die Berliner nochmal den Feuervogel, und zwar als „Familienkonzert“. Mögen sie das jüngere Publikum genauso begeistert haben wie das erfahrenere.
Johannes Karl Fischer, 19. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at