Erst abgesagt, dann doch digital: Daniel Stabrawa spielt Andrzej Panufniks Violinkonzert mit den Berliner Philharmonikern

Berliner Philharmoniker  Philharmonie Berlin, 31. Mai 2020

Philharmonie Berlin, 31. Mai 2020
Berliner Philharmoniker
Daniel Stabrawa

von Johannes Fischer

Vor gut einer Woche sollte ich, zusammen mit etwa 2.000 anderen ZuhörerInnen, ein ganz besonderes Konzert der Berliner Philharmoniker anhören. Ein Programm mit Daniel Stabrawa als Solist und Dirigent. Dann kam Corona, und alles wurde anders. Mittlerweile hat sich die Lage wieder etwas entspannt, soweit, dass ein Teil des Konzertes in digitaler Form nachgeholt werden konnte.

Es war das erste mal, dass ich ein Konzert, das ich eigentlich live hören sollte, ersatzweise in digitaler Form gehört habe. Ehrlich gesagt: Ich hätte damit gerechnet, dass mir das Klangerlebnis am meisten fehlen würde. Doch am allergespenstischsten wirkte der Zuschauerraum der Philharmonie Berlin. Ich konnte schon fast den Platz sehen, auf dem ich eigentlich hätte sitzen sollen. Es fehlte aber was. Der Platz war leer. Klar: Die Gesundheit geht vor. Aber trotzdem: Plötzlich fehlten auch mir, wo es mich gar nicht stört, dass ich fast immer alleine ins Konzert gehe, die anderen Menschen. Das hätte ich nie gedacht.

„Eine Hommage an Daniel Stabrawa“, so hieß das Programm offiziell. Das erste Werk und das Highlight des Abends: Das Violinkonzert von Andrzej Panufnik. Dieses eher selten gespielte Werk erlebte hiermit auch seine Erstaufführung mit den Berliner Philharmonikern. Der Solist: Natürlich Daniel Stabrawa. Technische Perfektion, zusammen mit glasklaren melodischen Linien, zeichneten seine Interpretation aus. Besonders im ersten Satz, wenn die Solo-Violine die ersten Takte alleine spielt. Einfach traumhaft.

Besonders interessant war, dass der Solist des Abends hierbei auch das Dirigat übernahm. So war das eigentlich auch vor einer Woche geplant. Stabrawa verzichtete allerdings weitgehend auf große räumliche Bewegungen und überließ die Orchesterleitung fast ausschließlich der Musik. Ganz anders als Daniel Barenboim. Oder Willi Boskovsky. Fast ein Hauch von Zubin Methas Bruckner 8 im vergangenen November. Umso interessanter wäre natürlich die ursprünglich geplante Schubert-Symphonie gewesen.

Weiter ging es dann mit dem Terzett, op. 74, von Antonin Dvorak. Krzysztof Polonek (Violine) und Ignacy Miecznikowski (Bratsche) komplettierten hier die äußerst ungewöhnliche Besetzung von zwei Violinen und einer Bratsche. Besonders im technisch sehr anspruchsvollen Scherzo wurde klar, was für eine musikalische Meisterleitung hier dargeboten wurde.

Zum Schluss dann noch die 4. Symphonie von Jean Sibelius, in einer Archiv-Aufnahme mit Sir Simon Rattle. Der unvergleichliche Klang der Berliner Philharmoniker war besonders in den tiefen Bläsern ausgeprägt. Die Hornisten, auch Klaus Wallendorf und Fergus McWilliam: Einfach ein Traum. Insgesamt klang die Symphonie sehr nach Wald. Nach Rentieren. Sehr nordisch eben. Das einzige was etwas auffiel: Daniel Stabrawa war, bis auf sein einziges Solo im 4. Satz, kaum im Vordergrund der Aufführung. Schon etwas merkwürdig; so sollte das Programm doch eigentlich zu Ehren des langjährigen Konzertmeisters sein.

Vor den jeweiligen Stücken gab es noch kurze Video-Beiträge über Daniel Stabrawa mit äußerst interessanten Einblicken in die Rolle des Konzertmeisters der Berliner Philharmoniker. Und auch über ihren alten Chefdirigenten Herbert von Karajan. Zum Beispiel soll Karajan dem Orchester mit seinem sofortigen Rücktritt gedroht hat, falls Stabrawa zum Konzertmeister gewählt werden würde. Für mich, als musikwissenschaftsbegeisterter Mensch, der zudem Karajan nicht mehr erlebt hat, ist dies natürlich umso interessanter. Und: Bei einem „normalen“ Konzert hätte man dies sicherlich nicht erfahren.

Fazit: Eine ganz große Freude, dass man, trotz allen Umständen, diese ganz besondere Aufführung des Violinkonzerts von Andrzej Panufnik realisieren konnte. Nicht nur wegen des Stückes an sich. Sondern auch wegen des Solisten. Und des Orchesters. Daniel Stabrawa, als Solist und Dirigent mit den Berliner Philharmonikern, diese Kombination wird man sicherlich so schnell nicht wieder hören. Man kann nur hoffen, dass dies nicht die Vorankündigung für seine Pensionierung war.

Übrigens: Ein Teil des ursprünglich für Anfang Juni geplanten Konzerts „In memoriam Mariss Jansons,“  wird auch am 27. Juni 2020  in der Digital Concert Hall dargeboten. Kurioserweise ist hier Mariss Jansons aus dem Konzerttitel verschwunden, stattdessen heißt das Konzert jetzt „Modern Times.“

Johannes K. Fischer, 1. Juni 2020, für
klassik-begesitert.de und klassik-begeistert.at

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