Christian Thielemann, Staatskapelle Berlin | Konzert zum Jahreswechsel am 31. Dezember 2024 © Stephan Rabold
Jedenfalls hätte das erste Neujahrskonzert des frisch gebackenen Berliner Chefdirigenten – mit immerhin stolzen Preisen bis 160 Euro im Parkett – kaum besser gelingen können. Das Publikum war aus dem Häuschen, und der sichtlich zufriedene Kapellmeister dankte seinen Musikern vielfach mit erhobenem Daumen.
Diana Damrau, Sopran
Mauro Peter, Tenor
Staatskapelle Berlin
Salonorchester Unter’n Linden
Leitung Salonorchester: Elias Corrinth
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Staatsoper Unter den Linden, 1. Januar 2025
von Kirsten Liese
Traditionen haben ihr Gutes, aber manchmal tut etwas Abwechslung ganz gut. Über viele Jahre hat Daniel Barenboim an Silvester Beethovens Neunte mit seiner Staatskapelle Berlin aufgeführt, und natürlich hätte das unter Christian Thielemann nahtlos so weitergehen können.
Ich hätte dagegen nichts einzuwenden gehabt. Aber Thielemann wollte offenbar mal etwas ganz Anderes machen, und damit macht er sich sehr verdient, widmete er sich doch einmal der leichtem Muse aus den Goldenen Zwanziger Jahren Berlins, die heute erstaunlicherweise höchst selten zu Ehren kommt. Dabei lässt sich allen voran Paul Lincke, „Vater“ der Berliner Operette, in seiner Bedeutung mit Johann Strauß für die Wiener vergleichen. Und so wie die Wiener nun mal am besten Strauß spielen können, verstehen sich Berliner am besten auf Lincke. Oder Eduard Künnecke oder Werner Richard Heymann, der zahlreiche Filmmusiken für die Ufa schrieb, bis er aufgrund seiner jüdischen Abstammung in die USA emigrierte.
Wobei es dann auch eine hübsche Idee ist, zwischen all diese Vertreter einen Titel von Johann Strauß, den Jubilar dieses Jahres, zu stellen, so dass die Unterschiede zwischen der etwas süßlicheren wienerischen Walzerkultur und der etwas herberen militärischen Berliner sich unüberhörbar offenbaren.
Schon einmal vor längerer Zeit hatte Christian Thielemann an der Dresdner Semperoper ein ähnliches Programm mit der Sächsischen Staatskapelle und Solisten in einem Silvester- und Neujahrskonzert mit Operettenmusik und Filmschlagern aus den 1940er Jahren präsentiert. Schon das gefiel seitens der Dramaturgie, überzeugt mich aber – um das vorwegzunehmen – nicht ganz so wie das jetzige. – Nicht, weil viele dieser Filmschlager für die Unterhaltungsindustrie der Nazis entstanden, woran einige Kritiker Anstoß nahmen, sondern weil sich die geladenen Solisten, überwiegend Opernsänger, nicht als die geeigneten Interpreten erwiesen. Ihr Vortrag tönte zu klassisch, zu opernhaft.
Überzeugende Solisten
Das erste Neujahrsprogramm in Thielemanns neuer Position als Generalmusikdirekter der Berliner Staatsoper gefällt mir wesentlich besser, da Diana Damrau und Mauro Peter – der dritte ursprünglich vorgesehene Solist Pavol Breslik sagte krankheitsbedingt leider ab – sich auf dieses Genre bestens verstehen. Und mit einem Stardirigenten am Pult, dem einzigen gebürtigen Berliner der Gegenwart, war freilich die Traumbesetzung perfekt.
Christian Thielemann, Diana Damrau, Mauro Peter, Staatskapelle Berlin| Konzert zum Jahreswechsel am 31. Dezember 2024 © Stephan Rabold
Als eine gute Idee erwies es sich zudem, dem großen Orchester noch ein kleineres Salonorchester, bestehend aus einem Streichquartett, Kontrabass, Bläser und Klavier, zur Seite zu stellen. Die von Elias Corrinth einstudierte Truppe steuerte die jazzigeren Töne bei, und brachte mit ihrer kammermusikalischen Formation mit sich, dass sich die gesungenen Evergreens besser vernehmen ließen.
Ich habe Diana Damrau, vielfach als geniale Strauss-Sängerin unter Thielemann zu erleben, längere Zeit nicht mehr gehört. Ihre Stimme tönt unverändert schön, tönt schwerelos, schlank, elegant und erhebt sich mühelos in den Olymp.
Flirts zwischen Mann und Frau
In ihren ersten Nummern aus den Operetten „Frau Luna“ und „Der Vetter aus Dingsda“ tönt ihr Gesang fast eine Spur zu zart für das Orchester, wiewohl der als Sängerdirigent beliebte Thielemann seine Kapelle sehr zurückhält. Auch die Texte lassen sich bis zur Pause bei ihr schwer verstehen, bei dem überwiegend in der dankbareren Mittellage geforderten Mauro Peter etwas besser. Aber das ist kein Beinbruch, schließlich handelt es sich um keine hochwertige Literatur, vielmehr geht es in nahezu allen Texten mehr oder weniger trivial um den heißen Flirt zwischen einem Mann und einer Frau.
Begeisterungsstürme für Paul Abraham
Nach der Pause geraten Damrau und Mauro Peter in Hochform, nimmt der Abend so richtig Fahrt auf.
Da verströmt die dramaturgisch gekonnt durchgestaltete Revue Elan, Schwung, Eleganz und Heiterkeit auf dem denkbar höchsten musikalischen Niveau, sublim durchgestaltet bis in kleinste Details.
Als ein ganz besonderer Muntermacher erweist sich dabei, quittiert vom Publikum mit spontanen Begeisterungsstürmen, der Schlager „Es ist so schön, am Abend bummeln zu gehen“ aus der Operette „Ball im Savoy“ von Paul Abraham. Die einprägsame, vielfach wiederholte Melodie entfaltet eine starke inspirierende Kraft mit Bildern von Flaneuren am Kudamm samt seinen vielen Geschäften, Cafés und dem beliebten Mittagstisch bei Aschinger vor dem inneren Auge.
Ach ist das schön, denkt man, genießt die unbekümmerte Stimmung, die einen das wahre Leben für eine weitere Stunde vergessen lässt.
Gesang mit Performance
Zumal Diana Damrau und Mauro Peter an diesem Nachmittag bei ihren gemeinsamen Auftritten stets eine kleine Performance mitliefern. Wie in alten Filmen, aus denen sie einiges zum Besten geben, wird da bei bester Laune und charmanten Sprechgesang kokettiert, getanzt und scharmutziert. Ganz nebenbei wechselt Damrau mehrfach ihre Garderobe. Hits wie „Das gibt’s nur einmal“, „Man sagt zu einer Dame nicht“ und „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“ aus dem Film „Tanz auf dem Vulkan“ dürfen nicht fehlen. Wobei es sich gut trifft, dass Damrau mit ihrer hellen Stimme und blonden Frisur dem Typ der Schauspielerin Lilian Harvey aus der Komödie „Der Kongress tanzt“ sehr ähnlich ist.
Tolle Entdeckungen
Aber es gibt auch tolle, selten gehörte oder kaum bekannte Musik zu entdecken, vor allem unter den rein instrumentalen für großes Orchester. Das will schließlich an solch einem Abend nicht nur zur begleitenden Nebensache werden, sondern gelegentlich groß aufdrehen, wozu ihm Ouvertüren von Paul Lincke, Eduard Künnecke und Kurt Weill Gelegenheit geben.
In vergleichbarer trefflicher Qualität wird man diese Stücke wohl sobald nicht wieder hören, die Thielemann mit seinen Musikern, wie es seine Art ist, bis in kleinste Motive hin filigran ausziseliert, bisweilen freilich mit dem gebotenen Aplomb. Bei aller Perfektion ahnt man, dass diese mit teils virtuosen Bläsersoli durchsetzte Musik es in sich hat. Aber die Musiker haben an diesem Repertoire ebenso ihre Freude wie Thielemann, den Damrau und Peter als einen Verdutzten für ein paar Momente in ihre gemimten Performances einbinden.
Kostbare Zugabe
Eigentlich müsste man diese Stück gleich noch einmal hören, damit sich ihre reizvollen Motive tiefer ins Gedächtnis einbrennen. Das gilt vor allem für die Zugabe „Blaue Orchideen“ von Wolfgang Friebe, die Thielemann als eine tolle Entdeckung anpries und damit nicht zuviel versprach. Denn zu erleben war hier eine Farbkomposition so zart und duftig wie eine Tuschezeichnung, mit leichten Anklängen an Richard Strauss und Johann Strauß, und doch keine Stilkopie, sondern geprägt von einer ganz eigenen Handschrift.
Jedenfalls hätte das erste Neujahrskonzert des frisch gebackenen Berliner Chefdirigenten – mit immerhin stolzen Preisen bis 160 Euro im Parkett – kaum besser gelingen können. Das Publikum war aus dem Häuschen, und der sichtlich zufriedene Kapellmeister dankte seinen Musikern vielfach mit erhobenem Daumen.
Es darf mit solchen Entdeckungen gerne weitergehen. Und wer weiß, vielleicht wird aus dieser Unternehmung ja eine neue Tradition.
Kirsten Liese, 2. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Das Arena di Verona Opera Festival ist ein No-Go klassik-begeistert.de, 2. Januar 2025
Silvester Konzert der Berliner Philharmoniker Philharmonie Berlin, 29. Dezember 2024
Wiener Ring-Ensemble, Silvesterkonzert Musikverein Wien, Brahms-Saal, 30. Dezember 2024
Sommereggers Klassikwelt 267: Johann Strauss klassik-begeistert.de, 1. Januar 2025
…, zudem dem einzigen Stardirigenten dieser Metropole, war freilich die Traumbesetzung perfekt.
sehr geehrte „kritikerin“, ich bitte sie hiermit höflich um eine horizontererweiterung ihrerseits. joana mallwitz und kirill petrenko leben und arbeiten in „dieser metropole“.
mit freundlichen grüßen
prof. daniela haufe
Sehr geehrte Frau Prof. Haufe,
danke, dass Sie darauf hinweisen, das Problem bei diesem Satz ist die fehlende Präzision. Inzwischen wurde er berichtigt, die Betonung hier liegt auf dem einzigen GEBÜRTIGEN Berliner Stardirigenten der Gegenwart.
Kirsten Liese
Liebe Kirsten,
auch das ist leider nicht ganz korrekt, Christoph von Dohnányi ist auch gebürtiger Berliner.
Johannes Fischer
Lieber Johannes,
wir wollen mal nicht zu spitzfindig werden. Dohnányi ist 95 und hat meines Wissens lange nicht dirigiert. Ich schreibe ja nun „Berliner der Gegenwart“ und damit meine ich nicht nur einen der noch lebt, sondern auch noch aktiv im Musikleben sehr präsent ist. Außerdem hat Dohnányi in Berlin wenig gewirkt, er sang schon als Kind bei den Thomanern in Leipzig, studierte in München und war von Jung an eher anderswo zu Hause, Lübeck, Kassel, Frankfurt, Hamburg, später dann in Cleveland und in Paris.
Kirsten Liese