Hector Berlioz’ „Roméo et Juliette“ lässt die Laeiszhalle in Hamburg in purer Klangschönheit erbeben

Berlioz, Roméo et Juliette, Sylvain Cambreling, Symphoniker Hamburg  Laeiszhalle Hamburg, 13. Oktober 2024
Catriona Morison © Jeremy Knowles

 

Eröffnung der Spielzeit 2024/2025

Das waren grandiose Sternstunden der Konzertkultur in Hamburg!

Berlioz: Roméo et Juliette

Dirigent: Sylvain Cambreling

Symphoniker Hamburg
Slowakischer Philharmonischer Chor

Catriona Morison, Alt
Cyrille Dubois, Tenor
Luca Pisaroni, Bass (für den erkrankten Edwin Crossley-Mercer)


Laeiszhalle Hamburg,
13. Oktober 2024

von Dr. Holger Voigt

Konzerte mit Kompositionen des französischen Komponisten Hector Berlioz (11. Dezember 1803 – 8. März 1869) sind in Hamburg eher selten. Umso mehr ist dem Intendanten der Symphoniker Hamburg Daniel Kühnel sowie ihrem Chefdirigenten Sylvain Cambreling dafür zu danken, dass sie „Roméo et Juliette“ auf den Spielplan setzten. Berlioz-Liebhaber konnten somit monatelang in Vorfreude schwelgen. Sie wurden nicht enttäuscht. Es wurde ein grandioser Konzertabend.

Hector Berlioz hatte oftmals die Idee realisiert, seinen Werken so etwas einzuhauchen, was heute in der CD/Streaming-Welt als „Konzeptalbum“ bezeichnet werden könnte: eine Komposition mit dedizierter thematischer Zielrichtung und musikalischem Alleinstellungsmerkmal. Bereits seine 1830 uraufgeführte Symphonie fantastique. op. 14 (Episoden aus dem Leben eines Künstlers) ließ diesen Ansatz erkennen.

Die 1839 uraufgeführte Symphonie dramatique „Roméo et Juliette“ führt dieses Konzept fort. Es handelt sich um eine tiefromantische Verarbeitung des Shakespeareschen Dramas, ohne dass es dieses figürlich selbst darstellt. Musikalisch für Orchester, Soli und Chor komponiert ähnelt es einem Hybrid aus sinfonischer Tondichtung, konzertanter Oper und Oratorium.

Alle Teile stehen gleichberechtigt nebeneinander und bringen sich nicht selbst in den Vordergrund, sondern sind Teile einer umfassenden Klangkonfiguration, die in ihrer Gänze den Zuhörer in ein wahres Gefühlskino katapultiert. Ist dieses Werk vielleicht die Geburtsstunde der Filmmusik, Jahrzehnte vor Erich Wolfgang Korngold?

Fernab aller zuweilen vielleicht auch haarspalterisch erscheinenden musikalischen Einordnungsbestrebungen sollte nicht aus dem Auge verloren geraten, dass es sich bei diesem opulenten Werk um grandiose, machtvolle und berührende Musik handelt, die den Geist der Romantik in jedem Ton atmet. Berlioz hat hier etwas ganz Großes geschaffen.

Laeiszhalle © Thies Rätzke

Für viele Werke des Komponisten gelten besonders anspruchsvolle Voraussetzungen. Zweitklassigkeit geht nicht, alles muss aus einem Guss sein und sich wie ein einziger Körper (Klangkörper) verhalten. Dazu gehört zunächst einmal eine Riesenbesetzung – an Zahl und Qualität. Ironisch wird zuweilen kolportiert, dass allein für das Betreten und Verlassen des Podiums ein eigener Choreograph benötigt wird, damit dieses unfallfrei „über die Bühne gehen kann. Und tatsächlich war das Podium der Laeiszhalle Hamburg bis in den letzten Winkel besetzt, um Chor, Musiker, Solisten und Dirigenten klangoptimiert aufstellen zu können. Berlioz gehört fraglos zu den ersten Bombastkern der Musikliteratur.

Das zweiteilige Werk beginnt mit einer orchestralen Einführung, bei der bereits erkennbar wird, dass die thematische Gestaltung von Melodieläufen eine dramatische Funktion hat. Dieses wird durchgehend spürbar, auch wenn keine Handlung auf dem Podium zu sehen ist. Interessant ist der Umstand, dass diese dramatischen Elemente sowohl im Forte als auch im Pianissimo zum Tragen kommen.

Sylvain Cambreling © Daniel Dittus

Letzteres wurde von Maestro Cambreling musikalisch fein tariert (etwas mehr macht alles kaputt, etwas weniger bleibt ohne Wirkung). Das Orchester, blendend aufgelegt und voller Enthusiamus spielend, zeigte keinerlei Schwächen und erreichte fast mühelos die Perfektionsgrenze. Angstfreie Bläser in vollem Einsatz, dazu adäquat ausgesteuertes Schlagwerk, umrahmt von schwungvoll und feinfühligen Streichern und Holzbläsern – da ist eben alles nur noch berauschend!

Die wohl als Cavatine zu bezeichnende ariose Melodie “Premiers transports que nul n’oublie!” ist zweifellos einer der Höhepunkte des ersten Teils dieser Komposition. Diese zu Herzen gehende Melodie wurde von der 1986 in Edinburgh geborenen schottischen Altistin Catriona Morison mit großer Ausdruckskraft und perfekter Phrasierung, kräftig und sprachdeutlich, zugleich aber mit anrührender Sensibilität vorgetragen. Sie erhielt dafür begeisterten Applaus. Ihre Stimmlage ist – was reine Geschmackssache des Zuhörers ist – für meine Begriffe ein wenig zu hoch, wenn ich mich vergleichend an Joyce DiDonato erinnere. Deren Stimmlage packt allein dadurch den Zuhörer noch intensiver.

https://youtube.com/shorts/Lc5GhVvclOI?si=u5EA8bpHUBzsJvD5

Der am 27. September 1984 in Ouistreham geborene französische Tenor Cyrille Dubois erinnert mit seiner feinen, fast kalligrafischen Tenorstimme an die des (gleichfalls französischen) lyrischen Tenors Benjamin Bernheim. Dubois’ Stimme ist schlank und beweglich, nie dünn klingend, gleichwohl aussdrucksstark und erreicht scheinbar mühelos das zweigestrichene d. Am heutigen Abend überzeugte er durch perfekte Artikulation und Höhensicherheit. Da seine Partie eher narrativ und kurz bemessen war, blieb sein wahres Leistungsvermögen eingepackt.

 

Luca Pisaroni, Bass, als kurzfristiger Einspringer für Edwin Crossley-Mercer, bot eine großartige Leistung. Seine Partie umrahmt den sinfonischen Teil des zweiten Konzertabschnittes und ist dadurch gekennzeichnet, dass er über weite Teile den mächtigen Chor sprachtdeutlich übertönen muss. Bravourös bestand seine schöne und ausdrucksstarke Stimme gegenüber den sich zunehmend mehrenden Fortissimo-Tutti zum Schlussteil des Werkes.

Der Slowakischer Philharmonischer Chor war ein einziges Glanzlicht des Konzertabends. Oratoriumsgleich in den zurückgenommenen, teilweise wie hingehaucht erscheinenden Abschnitten, zugleich mächtig und saalfüllend  in den Fortissimoteilen konnte Maestro Cambreling alle Nuancen wohldosiert herausarbeiten. Da war alles wirklich perfekt!

Riesiger Applaus und Bravi-Rufe sowie begeistertes Fußgetrappel auf dem Podium belohnte die ausführenden Musiker. Ohne Frage: Das waren grandiose Sternstunden der Konzertkultur in Hamburg!

Dr. Holger Voigt, 20. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Auf den Punkt 16: Die große Turangalîla-Liebe gab es nur in der Laeiszhalle… klassik-begeistert.de, 18. Juni 2024

Hector Berlioz, Roméo et Juillette, Volksoper Wien

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert