Foto: Bogdan Roščić vor der Wiener Staatsoper © Lalo Jodlbauer
Lange Zeit hat er sich kämpferisch gegeben. Dann hat auch er nachgeben müssen. Obwohl Bogdan Roščić alles versucht hat, um den normalen Spielbetrieb so lange wie möglich aufrechtzuerhalten – seit 3. November 2020 ist die Wiener Staatsoper geschlossen. „Stumm“, wie es auf der Licht-Installation stand, die an der Fassade des Hauses angebracht wurde. Eine Idee von Roščić. Nicht das einzige Zeichen, dass im „ersten Haus am Ring“ ein neuer Wind weht. Zeit für ein kurzes Resümee…
von Jürgen Pathy
Seit Juli 2020 ist Bogdan Roščić nun Direktor der Wiener Staatsoper. Sein Auftrag ist klar. Zumindest, wenn man seine Aussagen und sein Handeln auf einen Nenner bringt: Das Haus soll einer deutlichen Verjüngungskur unterzogen werden. Das ist nicht erst klar, seitdem er im ZiB-Interview betonte, dass es eine große Enttäuschung wäre, wenn er den Altersdurchschnitt der Besucher in fünf Jahren nicht deutlich gesenkt haben werde. Bereits 2016 gab es erste Anzeichen. Damals verkündete Kanzleramtsminister Drozda, er wolle mit Roščić eine „Oper 4.0“ erschaffen. Was immer damit gemeint war, wird nun deutlich.
Zeichen der Zeit
Zum einen wären da die offensichtlichen Zeichen. Dass ein Direktor seine Handschrift hinterlassen möchte, ist klar. Die meisten machen das übers Programm – Sänger, Dirigenten und Regisseure, die sie ans Haus holen. Roščić macht mehr. Alleine die Lichtinstallation, die an der Fassade über dem Haupteingang platziert wurde, ist ein deutliches Zeichen. Sie verpasst der Oper ein komplett neues Image. Nach dem Motto: Seht her, wir sind anders. Wir sind bereit uns zu ändern. Und zwar in alle Richtungen, wie Roščić im SWR2-Interview erzählte: „Wir wollen das Haus für alle öffnen.“
Nicht nur für die Elite und das Bildungsbürgertum, sondern auch für andere Publikumsschichten. „Wir müssen es schaffen“, so Roščić, „dass junge Menschen, die in der Schule, durch Medien und in ihrer ganzen Sozialisierung diese Türe nicht öffnen können, dass denen eine Hilfestellung geleistet wird.“ Dafür hat er die Generalproben geöffnet. Alle, die unter 27 Jahre alt sind, dürfen um 10 € dabei sein – zumindest, wenn der reguläre Spielbetrieb läuft. Bis zum dritten Lockdown, in dem wir uns gerade befinden, hatte diese neue Zielgruppe dazu drei Gelegenheiten.
Fünf Premieren und ein Skandal
Roščić’ Programm spricht Bände. Vor dem Lockdown konnte er noch drei Premieren vor Live-Publikum realisieren. Während die neue „Butterfly“ und der „Onegin“ überwiegend positiv aufgenommen wurden, flogen bei Mozarts „Entführung aus dem Serail“ beinahe die Fetzen. Der Grund: Hans Neuenfels’ Inszenierung, in der die Charaktere von Schauspielern gedoppelt werden. „Weil selbst die besten Sänger nicht in der Lage sind, zwischen Singstimme und Sprechstimme zu wechseln“, begründete Neuenfels seine Entscheidung. Mehr hat es in Wien nicht benötigt. Wer bei der Premiere live dabei gewesen ist im Oktober 2020, wähnte sich eher inmitten rivalisierender Hooligans, anstatt in einer Einrichtung der sogenannten Hochkultur.
Dahinter dürfte eine weitere Überlegung stecken. Um den „Verjüngungswahn“, wie es einige nennen, voranzutreiben, geht Roščić damit auch andernorts fischen. Will, so vermute ich es zumindest, das weitaus jüngere Publikum aus den Theatern ins Haus locken. Gar keine schlechte Idee. Wenn man bedenkt, dass der eine oder andere, der nur kam, um das Schauspiel zu sehen, Geschmack am Musiktheater finden könne. Langweilig wird es einem auf keinen Fall.
Bereits bei der Wiederaufnahme von Verdis „Don Carlos“ im September 2020 reagierte das konservative Wiener Publikum aufgebracht. Der Stein des Anstoßes dieses Mal: Ebolis Traum, den Regisseur Peter Konwitschny frei erdacht hatte. Da konnte selbst Startenor Jonas Kaufmann, der die Titelpartie sang, nicht beschwichtigen. Trotz technisch sauber geführter Stimme, die virile Kraft und den vokalen Glanz alter Zeiten, den bringt Kaufmann nur mehr allzu selten auf die Bühne.
Roščić hält den Diskurs am Leben
Bald danach, am 3. November 2020, musste das Haus schließen. Roščić hat es dennoch geschafft, dass die Wiener Staatsoper im Gespräch bleibt. Vielleicht täuscht der Eindruck, gefühlt jedoch ist die Wiener Staatsoper präsenter als in den Jahren zuvor. Nicht nur, weil Roščić persönlich medial verstärkt auftritt, sondern auch wegen der Kooperation mit dem Österreichischen Rundfunk (ORF) und dem internen Streaming-Portal der Wiener Staatsoper. Die gab es auch schon vor Roščić.
Dennoch: Mitten im dritten Lockdown durften alle, die keinen Zutritt zum Haus haben, so auch die beiden anderen bislang angesetzten Premieren verfolgen: Hans Werner Henzes „Das verratene Meer“, mit dem die neuen Chefdramaturgen der Wiener Staatsoper, Jossi Wieler und Sergio Morabito, ihre erste Regie am Hause präsentieren konnten. Und George Bizets „Carmen“, in der Publikumsliebling Piotr Beczała als Don José viele überzeugte.
Weitere Klassiker, die zwar keine Neuproduktionen sind, waren ebenso via Stream oder TV zu sehen. Zum Beispiel die musikalische Neueinstudierung des „Rosenkavaliers“ mit Günther Groissböcks Debüt als Ochs und Musikdirektor Philippe Jordan am Pult. Auch wenn letzterer mein Favorit nicht ist und vermutlich so bald nicht wird, sein Mozart klang schon ziemlich erfrischend und leidenschaftlich.
Das Auftreten von Roščić
Ein weiteres Zeichen, dass sich am Haus am Ring etwas tut: Das Auftreten und die Wortwahl von Bogdan Roščić. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Dominique Meyer, einem Diplomaten der alten Schule, steigt Roščić vor allem verbal mächtig aufs Gas. Um die Wiener Staatsoper gegen Angriffe zu verteidigen, greift er bisweilen auch mal tief in die rhetorische Schatzkiste. Und die hat es beim studierten Philosophen in sich.
Als Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder im August 2020 medial verlautbaren ließ, dass man, um Leben zu retten, auf Theater verzichten könne, schoss Roščić scharf zurück. „Dass Corona bei vielen den Geist mehr gefährdet als den Körper, wurde in den vergangenen Monaten immer wieder eindrucksvoll dokumentiert. Aber die Wortmeldungen von Klaus Albrecht Schröder bringen Hybris, Ahnungslosigkeit und Perfidie in eine Dreieckskomposition, wie sie andere Tieflader auf der Deponie des Corona-Meinungsmülls einfach nicht zu bieten haben“, konterte Roščić. Solche Äußerungen sind nicht das einzige, was ihn von seinem Vorgänger Dominique Meyer unterscheidet.
Bislang hat es den Anschein, dass Roščić seine Kritiker Lügen straft. Auch alle, die befürchtet hatten, Roščić würde das Repertoiretheater über den Haufen werfen, hat er eines Besseren belehrt. „Das Repertoire-Theater ist im Gesetz verankert“, hat Roščić bereits mehrmals in Gesprächen und Interviews betont.
Wo gehobelt wird, fallen auch Späne
Roščić ist bereits einigen auf die Zehen gestiegen. Nach mehr als 80 Jahren, in denen sie ihre Büroräume im 1. Stock der Wiener Staatsoper hatte, musste die Konzertvereinigung das Areal räumen. Zum Ärger der Verantwortlichen. „Wir sind seit Anbeginn des Hauses hier vertreten gewesen“, sagte Dr. Rudolf Meier.
Ein großer Wermutstropfen: Die Schließung des Cafés Oper Wien. Das traditionelle Wiener Kaffeehaus seit 2005 war nicht nur Treffpunkt vieler Operngäste und Künstler, sondern ein Touristenmagnet allgemein. Ob das Ende dieser Institution mit dem Ausbleiben der Touristen zusammenhängt oder mit der neuen Direktion, ist unklar. Ebenso die Schließung des ARCADIA OPERA SHOPS nach mehr als 31 Jahren. Auf Nachfrage bei Mitarbeitern gab es geteilte Meinungen. Roščić habe auf jeden Fall, genauso wie sein Vorgänger, öfters im Laden vorbeigeschaut, um sich einen Überblick zu schaffen und Smalltalk zu führen.
Das Ensemble wurde verkleinert, einige Uralt-Inszenierungen ausrangiert. Josef Gielens Inszenierung von Puccinis „Madama Butterfly“ hat es als erste erwischt. Seit 1957 wurde diese Inszenierung am Haus gespielt. Um es sich mit dem Stammpublikum jedoch nicht völlig zu verscherzen, hat Roščić andere Dinosaurier im Programm belassen. Franco Zeffirellis Inszenierung von „La Bohème“ findet man noch immer auf dem Spielplan, genauso wie Margarethe Wallmanns „Tosca“-Inszenierung aus dem Jahr 1958.
Zur Ausdünnung des Ensembles sagte Roščić nur: „Es liegt in der Natur eines Ensembles, dass es eine hohe Fluktuation gibt. Das wird sich nie ändern. Ebenso, dass eine neue Direktion neue Vorstellungen einbringt.“ Den Vorwurf, dass er das einst rund 60-köpfige Luxus-Ensemble auf ganze 16 reduziert habe, lässt er sich nicht bieten: „Das ist eine Ente!“ Wer auch immer die gestreut habe, das Ensemble zähle noch immer rund 30 Sänger und Sängerinnen, ließ Roščić anfangs der Saison bei einem Symposium wissen. Dazu kommt noch das Opernstudio, das er neu geschaffen habe.
Darauf scheint er besonders stolz. Von den 1003 Bewerbungen, erzählt er – genauso viele (mille e tre), wie von Leporello in der „Register-Arie“ besungen werden – sind letztendlich 13 Sänger und Sängerinnen übrig geblieben. Diese werden hier nicht nur ausgebildet, sondern sollen auch direkt im Haus zum Zuge kommen. Keineswegs nur als Lückenfüller. „Wenn sie positiv auffallen“, so Roščić , „stehen auch gar nicht so kleine Rollen offen.“
Museum statt Theater?
Eine ganze Menge also, die Roščić bereits angestoßen hat. Ob dadurch die Stimmen verstummen werden, die meinen, die Wiener Staatsoper sei „altbacken, museal und gestrig“ (NZZ 2019), das wird sich weisen. Zurzeit weiß sowieso niemand, wann die Theater wieder öffnen dürfen. Geschweige denn, ob jemals wieder die alte „Normalität“ hergestellt werden könne. Der Weg, den Bogdan Roščić eingeschlagen hat, scheint jedoch vielversprechend.
Sein bislang letzter Streich: die Öffnung der Wiener Staatsoper als Museum. Diese durften bereits öffnen. Obwohl Roščić auf keinen Fall wie sein Vorgänger Richard Strauss vorhat, dass Oper eine Art Museum sein müsse. Genauso wenig, wie er möchte, dass Erfolg rein am Geld gemessen wird. Seine Beurteilung, ob die Wiener Staatsoper täglich das beste Haus der Welt sei, hänge von anderen Kriterien ab. „Vielleicht ist das der größte Irrtum überhaupt, dass es bei einer Institution wie der Wiener Staatsoper darum gehen könnte, als Auslastungsstreber nie unangenehm aufzufallen“, ließ er in einem Interview aufhorchen. Letztendlich gehe es um beides: um ein Optimum an Kunst und Kasse. Das kann man so stehen lassen.
Jürgen Pathy, 4. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Pathys Stehplatz (1): Ein Brief an Mozart: „Da hättest schön geschaut!“
Seitenhieb auf einen grandiosen Don Carlos und Lob für einen …… Don José:
Was hat das – zumal beides falsch ist – mit Herrn Roscic zu tun, ausser, dass er endlich Kaufmann mehr an die WSO holt und den eben Corona-bedingt unbeschäftigten Beczala dankbar als Einspringer nimmt?
Waltraud Riedler