Nächstenliebe ja! Aber nur wenn sie uns nichts kostet!

Bohuslav Martinů  (1890-1959), The Greek Passion  Staatsoper Hannover, 11. April 2025

Foto © Sandra Then – Programmheft der Staatsoper Hannover

Am letzten Fastenwochenende vor Ostern lädt die Staatsoper Hannover ein zur Entdeckung eines der bedeutendsten Opernwerke der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: “The Greek Passion” (Die griechische Passion) von Bohuslav Martinů. Inszeniert von der tschechischen Regisseurin Barbora Horáková zeigt das Werk, dass auch in heutigen Zeiten der Humanismus dort endet, wo persönliche Vorteile durch ihn zu verschwinden drohen.

Bohuslav Martinů  (1890 – 1959)
THE GREEK PASSION
Oper in vier Akten
Text vom Komponisten nach dem Roman “Christus wird wieder gekreuzigt” von Nikos Kazantzakis


Musikalische Leitung:   Stephan Zilias
Inszenierung:   Barbora Horáková
Bühnenbild:   Susanne Gschwender
Kostüme:   Eva-Maria van Acker

Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Chor, Extrachor und Kinderchor der Staatsoper Hannover

Staatsoper Hannover, 11. April 2025

von Jean-Nico Schambourg

Nein, ich glaube nicht an Gott, auch nicht an die Leidensgeschichte Jesus und an seine Auferstehung von den Toten! Mein “Glaube” basiert auf dem Prinzip, dass Respekt gegenüber allen Mitmenschen eigentlich zum friedlichen Miteinander genügen müsste. Allerdings schwindet dieser Glaube an das Gute im Menschen bei mir auch jeden Tag ein Stückchen mehr! Bohuslav Martinů hat die Themen Nächstenliebe und Humanität mehr noch als den Glauben an Gott in den Mittelpunkt seiner Oper “The Greek Passion” gesetzt.

In einem griechischen Dorf soll zu Ostern die Passion aufgeführt werden. Die Rollen werden unter den Einwohnern verteilt. Die jeweiligen Personen identifizieren sich immer mehr mit ihren Figuren. Als Flüchtlinge im Dorf auftauchen, gerät die Dorfidylle immer mehr aus den Fugen. Nächstenliebe und Humanität verschwinden immer mehr. Am Schluss wird der Manolios, der den Jesus spielt und sich immer mehr für die hungernden Flüchtlinge einsetzt, von den Dorfbewohnern getötet.

Eingestrickt in die Handlung sind auch zwei Liebesgeschichten: Lenio ist Manolios Verlobte, wird von diesem aber immer mehr vernachlässigt, sodass sie schließlich einen anderen heiratet. Dann ist da Katerina, die die Rolle der Maria Magdalena spielen soll und eigentlich die Geliebte von Panait ist, dem die Rolle des Judas zugefallen ist. Sie ist in Manolios verliebt. Beide gestehen sich ihre gegenseitige Zuneigung auch, verzichten aber ihrem sexuellen Verlangen nachzugehen aufgrund ihrer Rollen in der Passion.

Eine zentrale Rolle spielt der Priester Grigoris, der die geistliche Autorität verkörpert. Von Anfang an fürchtet er, dass seine Vormachtstellung schwindet und wendet sich somit auch gleich gegen die Flüchtlinge. Als Manolios, der sich immer mehr in die Rolle eines Gottesgesandten einlebt, zu viel Einfluss auf die Dorfgemeinde bekommt, wird er von Grigoris exkommuniziert und damit faktisch zum Tode verurteilt.

Es gibt also viele Parallelen in dieser Dorfgeschichte mit den Erzählungen der letzten Tage Jesus.

© Sandra Then

Dessen Leidensgeschichte hat über Jahrhunderte einige hochkarätige Musikwerke entstehen lassen. Bohuslav Martinůs “Griechische Passion” reiht sich absolut in diese Erfolgsserie ein, auch wenn das Werk eher selten gespielt wird.

 Die Staatsoper Hannover bringt jetzt die 1. Fassung auf die Bühne. Es ist dies die Urfassung, die Martinů 1957 für die Royal Opera in London fertiggestellt hatte, die diese aber ablehnte, wahrscheinlich weil ihr das Thema zu revolutionär angegangen wurde. Erstmals kam diese 1. Fassung 1999 zur Aufführung in Bregenz. Im Jahre 1961 war eine 2. Fassung in Zürich zum ersten Mal gespielt worden. Martinů hatte die Partitur umgearbeitet und geglättet, sodass sie oratorienhafter wurde.

© Sandra Then

Die 1. Fassung ist schroff im Text. Dialoge wechseln sich mit Rezitativen und Musikpassagen ab. Martinů fügt griechische Folklore und Elemente der griechisch-orthodoxen Liturgie in seine große Opernmusik ein. Besonders gelungen sind dabei die Chorszenen, denen Chor, Extrachor und Kinderchor in Hannover vollkommen gewachsen sind. An solchem Chorgesang erfreut sich das Herz des Musikliebhabers!

Das Niedersächsisches Staatsorchester Hannover bringt seinen Teil zum Erfolg des Abends ein. Unter der Leitung von Stephan Zilias werden die vielen verschiedenen Klangelemente, aus denen Martinůs Partitur besteht, perfekt getroffen und zu einem großen Ganzen aneinandergereiht.

Christopher Sokolowski ist ein verträumter Manolios, der am Ende aber auch dessen Schlussgesang wie eine Wahnvorstellung vorträgt. Shavleg Armasi singt mit klangvollem Bass den Priester Grigoris. Auch Marcell Bakonyi in der Rolle des Priesters Fotis ist beeindruckend.

Eliza Bloom singt mit schönem weichem Sopran die Katerina, während Ketevan Chutishvili mit klarem Sopran als Lenio gefällt. Marco Lee bringt einen erfrischenden Tenorklang ein in seiner Rolle des Yannakos. Auch alle anderen Sänger der vielen mittleren oder kleineren Rollen sind lobenswert zu erwähnen, auch wenn ich sie hier nicht namentlich einzeln aufzähle.

Der ganze Abend zeigt auf welch gutes, homogenes Ensemble hier am Werke ist und das Publikum dankt es ihnen am Schluss mit jubelndem Applaus.

© Sandra Then

Auch das Regieteam wird in diesen Jubel mit einbezogen. Der Zuschauer bemerkt die Verbundenheit der tschechischen Regisseurin Barbora Horáková zu der Musik von Martinů. Ihre Inszenierung zeigt, dass die Zwischenmenschlichkeit heute wie gestern ein großes Problem der Menschen ist. Dieses Hindernis wird auf der Bühne durch Mauern verkörpert, die beliebig verschoben werden und u.a. ein Kreuz oder ein Labyrinth andeuten.

Am Schluss zeigt Horáková auch deutlich, wie der religiöse Glaube missbraucht werden kann (hier von Manolios) und zum religiösen Fanatismus ausarten kann. In der Oper wird diesem Wahnsinn durch die Ermordung von Manolios ein Ende gesetzt.

Hervorzuheben die choreografischen Darbietungen der Tänzer, die auch während des Singens niemals als störend empfunden werden, ebenso wie die Videoaufzeichnungen, die links und rechts am Bühnenrand projiziert wurden.

Das Publikum ist auf jeden Fall von der Darbietung sehr gefesselt. Am Ende der Oper gibt es einige ungewohnte Sekunden der Stille, ehe tobender Applaus aufbrandet.

Jean-Nico Schambourg, 12. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

CD/Blu-ray Rezension: Bohuslav Martinů, The Greek Passion klassik-begeistert.de, 18. August 2024

Bohuslav Martinů (1890 – 1959), The Greek Passion Felsenreitschule, Salzburg, 18. August 2023

Lear, Oper von Aribert Reimann Staatsoper Hannover, 10. Februar 2024 PREMIERE

 

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