Zwei Frauenschicksale, die tief unter die Haut gehen

Bregenzer Festspiele, Puccini, Madame Butterfly und Giordanos Sibirien  20. Juli 2022

Foto: © Dr. Charles Ritterband

Puccinis „Madame Butterfly“ und Giordanos „Sibirien“ bei den Bregenzer Festspielen

Bregenzer Festspiele, Seebühne, 20. Juli 2022

Giacomo Puccini  Madame Butterfly
Oper in drei Akten (1904)

Besetzung:

Cio-Cio San: Barno Ismatullaeva
Suzuki: Annalisa Stroppa
B.F.Pinkerton: Edgaras Montvidas
Sharpless: Brian Mulligan
Kate Pinkerton: Hamida Kristofferson
Goro: Taylan Reinhard

Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Inszenierung: Andreas Homoki
Bühne: Michael Levine
Wiener Symphoniker


von Kirsten Liese

Es ist noch nicht lange her, dass Bizets „Carmen“ auf der Bregenzer Seebühne eine verregnete Premiere erlebte, nach der sich die Festspielgäste trotz Regenkleidung klitschenass von den Sitzen erhoben.

Die jüngste Premiere von „Madame Butterfly“ konnte zwar zunächst trocken beginnen, aber nach einer Stunde musste sie wegen heraufziehenden starken Gewitters abgebrochen und ins Festspielhaus verlegt werden, was letztlich zu befürchten stand, nachdem es eine Stunde vor der Premiere bereits schüttete wie aus Eimern.

Freilich ist ein solcher Auftakt für alle Beteiligten höchst unbefriedigend, zumal wenn man bedenkt, dass vier Jahre Arbeit in diese Produktion investiert wurden.

Dass im Festspielhaus die Inszenierung bescheidener ausfallen muss ist klar, schon allein weil der Bodensee wegfällt.  Dennoch frage ich mich, warum die szenischen Möglichkeiten im Festspielhaus nicht zumindest optimal ausgeschöpft werden.

Traditionell nimmt das Orchester auf der Bühne Platz, von wo aus es per Tonanlage auf die Seebühne übertragen wird. Aber in der Pause von etwa 20 Minuten nach dem Abbruch hätte man das Orchester in den Graben versenken- und damit auf der Bühne eine größere Spielfläche schaffen können, so dass dort seitens der szenischen Gestaltung noch mehr möglich gewesen wäre.

Wie dann in die Produktion ab dem zweiten Akt doch noch der Bodensee mit eingebunden wird, konnte ich zum Glück  in der Fernsehübertragung der zweiten Aufführung sehen. Auf einem Kahn kommt da der reiche Yamadori herbeigefahren, der Butterflys desolate Situation als verlassener Ehefrau ausnutzen will, um sie zu heiraten. Ein Schiff aus Papier kommt zu der erwarteten Ankunft Pinkertons zum Einsatz. Gewiss, solche Szenen hätte man in einem geschlossenen Raum nicht nachinszenieren können, – Butterflys utopischen Wunschtraum dagegen schon: Kurz vor der Ankunft von Pinkerton und seiner amerikanischen Frau Kate lässt Homoki Pinkerton alleine an Bord gehen, Butterfly und den gemeinsamen Sohn sehnsuchtsvoll in seine Arme schließen.

Den größten Effekt sparte sich Homoki für den Schluss auf, wenn nach Butterflys Suizid Flammen an dem Papier emporzüngeln und am oberen Rand in echtes Feuer verwandeln. Auch den hätte man mit ein paar Kunstgriffen im Raum andeuten können.

Der Umzug ins Festspielhaus hatte aber auch sein Gutes für diejenigen, die das Glück hatten dort Platz zu finden: Die Musik kommt im Saal weitaus stärker zu ihrem Recht. Insbesondere der Orchesterklang unter der engagierten Leitung von Enrique Mazzola entfaltet sich in weitaus größerer farblicher Nuanciertheit als über die Tonanlage, und auch die Stimmen tönen dort viel schöner und natürlicher ohne den Einsatz von Microports. Im unmittelbaren Vergleich wird das auffallend ohrenfällig.

Viel diskutiert wurde in Bregenz über die Bühneninstallation von Michael Levine, die – abgestimmt auf das Stück – auf Schlichtheit und Reduktion setzt statt auf imposante Effekte und Stunts. Auf dem zerknitterten, hauchdünn wirkenden Stück Papier, das sich 23 Meter über den Bodensee biegt, entstehen per Lichtprojektionen  Kalligrafien und zarte Berglandschaften als Tuschezeichnungen von großer Zartheit und Poesie.

Diese Ästhetik harmoniert mit der kammerspielartigen Oper, die mit ihren wenigen Figuren eigentlich weniger prädestiniert ist, auf eine so große Bühne gebracht zu werden. Szenischer zusätzlicher Trubel wäre hier fehl am Platz. Entsprechend erzählt Andreas Homoki die tragische Geschichte der japanischen Geisha Butterfly, die ihr Herz an den amerikanischen Soldaten Pinkerton verliert und darüber in großes Leid stürzt, mit stilisierten Bewegungen aus dem Kabuki-Theater.

Zu einem großen Trumpf der Produktion wurde die exquisite Erstbesetzung der Titelpartie: So nahm  Barno Ismatullaeva aus Usbekistan mit einen gleichermaßen strahlenden, großen, flexiblen Sopran und einem warmen, glutvollen Timbre ein. Und auch darstellerisch rührte sie stark an, in der Weise, wie sie das ihr zugemutete Leid innerlich und ohne pathetische oder sentimentale Gesten durchlebte.

Ebenso eine Wucht: Annalisa Stroppa als Suzuki, die man alleine schon für ihre authentisch wirkende Darstellung bewunderte, wie sie mit kleinen Trippelschritten weite Strecken auf der Bühne zurücklegt. Ihr Mezzo leuchtet ebenfalls voll und schön.

Mit seinem kräftigen, kernigen Bariton empfahl sich Brian Mulligan als eine weitere große Entdeckung in der Rolle des Konsuls Sharpless, der dem leichtsinnigen Pinkerton die Heirat mit der Geisha auszureden versucht. Eine eher schwächere Vorstellung gab  Edgaras Montvidas als Schluri Pinkteron, dessen Tenor vor allem auf der Seebühne sehr eng tönte.

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© Bregenzer Festspiele / moodley

Festspielhaus Bregenz, 21. Juli 2022

Umberto Giordano Sibirien
Tragödie in drei Akten (1903)

Eine nicht minder starke Frauentragödie zeigte Bregenz mit Umberto Giordanos Opernrarität „Sibirien“ im Festspielhaus, aus meiner Sicht die stärkste Produktion an diesem Ort in der 2024 endenden Ära Elisabeth Sobotkas.

Wiewohl die Musik deutlich spröder ausfällt als bei Puccini, wühlt diese Tragödie ebenso ungemein auf, dies vor allem dank der überzeugenden, spannenden Inszenierung von Vasily Barkhatov. Er versteht es tatsächlich einmal, die Möglichkeiten des Kinos sinnvoll für eine Opernproduktion zu nutzen und damit zugleich die Brücke zu schlagen zwischen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der die Handlung verortet ist, und einer jüngeren Vergangenheit Anfang der 1990er Jahre. Geschickt aus der Rückblende entwickelt er das Drama der Edelkurtisane Stephana, die ihrem Geliebten Vassili freiwillig in ein sibirisches Arbeitslager folgt, wo beide noch eine Familie gründen, aber ums Leben kommen: Eine alte Frau fliegt mit der Urne ihres verstorbenen Bruders von Mailand nach Sankt Petersburg, forscht in einem Archiv des russischen Gulags nach ihrer familiären Vergangenheit und fährt schließlich mit der Eisenbahn nach Sibirien, um die Asche in dem Arbeitslager zu verstreuen, wo die gemeinsamen Eltern zu Tode kamen: auf einem tristen Spielplatz zwischen Plattenbauten.

Eine solche Reise lässt sich filmisch bestens erzählen, dies jeweils mit kurzen Sequenzen vor den einzelnen Akten und Szenenwechseln.

Das Hauptgeschehen ereignet sich auf Christian Schmidts Bühne stimmungsvoll an naturalistischen Schauplätzen, zunächst in einem mondänen Salon, dann in der sibirischen Steppe.

Schade nur, dass die weiblichen Hauptpartie in dieser Produktion mit der kanadischen Sopranistin Ambur Braid nicht optimal besetzt war, sie sang die Stephana zur Premiere mit unschönem engem Vibrato in den Spitzen. Die beiden männlichen Hauptpartien des Vassili und des Kupplers Gleby sind mit Alexander Mikhailov und Scott Hendricks sind solide besetzt.

Am Pult der hoch motivierten Wiener Symphoniker brachte Valentin Uryupin die Partitur mit viel Verve zum Funkeln.

Besetzung:

Giordano Umberto: Sibirien
Valentyn  Uryupin
Inszenierung: Vasily Barkhatov
Wiener Symphoniker
Prager Philharmonischer Chor

Stephana: Ambur Braid
Vassili: Alexander Mikhailov
Gleby: Scott Hendricks
Die alte Frau: Clarry Bartha

Kirsten Liese, 24. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

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