„Es muss sein!“ – Das Brentano String Quartet und Jan Vogler rühren bei den Dresdner Musikfestspielen zu Tränen

Brentano String Quartet und Jan Vogler, Dresdner Musikfestspiele  Dresden, Palais im Großen Garten, 12. Mai 2022

Foto: © Oliver Killig

Dresden,
Palais im Großen Garten, 12. Mai 2022

Ludwig van Beethoven, Streichquartett Nr. 16 F-Dur op. 135 »Der schwer gefasste Entschluss«

Franz Schubert, Quintett für zwei Violinen, Viola und zwei Violoncelli C-Dur op. post. 163 D 956

Brentano String Quartet:
Mark Steinberg, Violine
Serena Canin, Violine
Misha Amory, Viola
Nina Maria Lee, Violoncello

Jan Vogler, Violoncello

von Pauline Lehmann

Die Dresdner Musikfestspiele kehren im ursprünglichen Format zurück und die Freude des sich Wiedersehens und Wiederhörens ist unverkennbar groß. Neu ist die musikalische Liaison des Abends keinesfalls, denn das Brentano String Quartet und Jan Vogler waren gemeinsam bereits im Rahmen des letztjährigen Streaming-Festivals zu erleben. Nun gastieren sie gleich an zwei Konzerten an zwei aufeinanderfolgenden Abenden im Festsaal des Palais im Großen Garten. Auf dem Programm stehen mit Beethovens letztem Streichquartett in F-Dur op. 135 und Schuberts einzigem Streichquintett in C-Dur zwei Abschiedsmusiken, welche die fünf Musikerinnen und Musiker akrobatisch-virtuos und gleichsam funkensprühend-expressiv und träumerisch-seicht, ja luftig leicht und vor allem innig gehend schön interpretieren und dabei das Überirdische beschwören.

Jan Vogler, Foto: © Marco Grob

Der Festsaal in der Beletage des Palais im Großen Garten ist das kammermusikalische Juwel der Dresdner Musikfestspiele und es ist jene der vielen Dresdner Spielstätten, die Jan Vogler besonders am Herzen liegt. Auf einer Pressekonferenz verriet er einmal, dass er in der Festspielzeit überaus gern im Palais Cello übt und die dortige Ruhe und das Flair genießt. Zugegebenermaßen, bei mir ist es eine Liebe auf den zweiten Blick. Um den Palais mit seiner Denkmalkonzeption wertzuschätzen, braucht man einen wissenden Blick und einen gewissen Abstand von unserer alltäglichen Sichtweise, wo stets alles neu sein muss.

(c) Christian Steiner

Auf Geheiß des Kurfürsten Johann Georgs III., dem Vater Augusts des Starken, kaufte der Dresdner Hof in den Jahren 1676 bis 1678 östlich von Dresden Felder an und begann, einen Garten anzulegen. Der Palais selbst entstand wenige Jahre später unter der Ägide des Oberlandbaumeisters Johann Georg Starcke. Dass man sich nach dem Dreißigjährigen Krieg am Dresdner Hof betont selbstbewusst und von Welt gab, spiegelt sich beim Palais architektonisch wider; so nimmt dieser gleichermaßen französische und italienische Eindrücke in seine barocke Architektur auf.

Inmitten des ursprünglich barocken Großen Gartens liegt der Palais dort, wo sich die Haupt- und die Querallee, also die beiden großen Sichtachsen und ‚Flanierstraßen‘, schneiden. Es ist jener Ort, wo der Dresdner Hof einst rauschende Feste wie das legendäre „Venusfest“ anlässlich der Hochzeit des Kurprinzen Friedrich August II., des Sohns Augusts des Starken, mit der Tochter Kaiser Josephs I., Maria Josepha, am 23. September 1719 feierte. Auch Blumen und Früchte stellte man hier zur Schau aus. Durch die Bombenangriffe im Februar 1945 brannte der Palais aus, die Kriegsschäden bleiben sichtbar, im Saal ist nur ein kleiner Wandabschnitt vorn links vollständig restauriert. Mit seinen Wunden und Narben spricht der Palais offen über Vergangenes, über die Zäsur des Krieges und die Schuld und dennoch ist der Bau als Ganzes in seiner einstigen barocken Pracht wahrnehmbar.

Bereits die Momente vorm Konzert sind eine Wohltat: Der Maiabend ist sonnig und warm, im Park blühen und duften bereits die Rhododendren und – es soll keinesfalls verschwiegen werden – im Vorraum zum Saal ist die Luft herrlich vom Duft des ausgeschenkten Weines erfüllt. Die „Allegorie des Frühlings“ und ein von Bacchus verführter Faun grüßen augenzwinkernd aus der barocken Skulpturensammlung im Erdgeschoss. Kennt man diese nicht, stößt man in der Pause ganz unvermutet darauf.

Namensgebend für das im Jahr 1992 gegründete Brentano String Quartet ist Beethovens Brief an die »Unsterbliche Geliebte«, womit wahrscheinlich Antonie Brentano, die Tochter eines österreichischen Diplomaten, gemeint ist. Dass ihn mit Mark Steinberg, Serena Canin, Misha Amory und Nina Maria Lee eine langjährige musikalische Freundschaft verbindet, die zeitlich bereits vor die Gründung des Quartetts zurückgeht, unterstreicht Jan Vogler in seinen einleitenden Worten vor Konzertbeginn. Auch dass ihm an dieser Stelle vom Publikum ein begeisterter wie dankbarer Applaus entgegenströmt, soll hier nicht unerwähnt bleiben.

Wie alle späten Streichquartette Beethovens umgibt auch op. 135 in F-Dur der „Schleier des Rätselhaften“ (so die Worte des Musikwissenschaftlers Ulrich Tadday) und besonders über das Motiv des Finales mit der Frage in f-Moll „Muss es sein?“ und der doppelten, emphatisch zustimmenden Antwort in F-Dur „Es muss sein! Es muss sein!“ zerbrach man sich reichlich den Kopf. Ob es Beethoven ernst oder humorvoll meint, bleibt ungewiss. Wer sich jedoch bewusst ist, wie wichtig dem cholerischen Komponisten diffizile Angaben zu Lautstärke und Artikulation waren und dass er darüber hinaus Metronom-Angaben verhöhnte, weiß, welchen Gipfel das Brentano String Quartet musikalisch bezwingt. Überirdisch schön sind sowohl bei Beethoven als auch bei Schubert die langsamen Sätze – ein Lento assai, cantante e tranquillo sowie ein Adagio. Hier fallen Freude und Trauer, Weltlust und Schmerz zusammen. Beethoven selbst bezeichnete seinen Satz als einen „süßen Ruhegesang oder Friedensgesang“.

Dadurch, dass Schubert für sein Streichquintett als fünftes Instrument ein zweites Cello und nicht wie sonst üblich eine zweite Bratsche wählte, eröffnet sich ein Dialog zwischen den beiden Violinen und den beiden Celli. Interpretiert vom Brentano String Quartet gleicht das Adagio einem Gebet. Während des Pizzicatos des 2. Cellos und der kantablen Melodie der 1. Violine fließt in den Mittelstimmen das Thema seicht dahin.

Pauline Lehmann, 15. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ausblick auf die 45. Dresdner Musikfestspiele vom 11. Mai bis 10. Juni 2022, klassik-begeistert.de

Peter Rösel, Klavierabend, Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert, Kulturpalast Dresden, 8. April 2022

Dresdner Festspielorchester, Daniele Gatti, Kulturpalast Dresden, 24. und 25. Mai 2021

 

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