Beim Lesen dieses Buchs erklingt die Musik im Hintergrund

Buchbesprechung: „Die Psalmen in ihrer Urgestalt“  klassik-begeistert.de, 6. April 2024

Foto: Cover des Buches „Die Psalmen in ihrer Urgestalt. Rekonstruiert und erklärt von Christoph Levin und Reinhard Müller“ 

Buchbesprechung:

„Die Psalmen in ihrer Urgestalt“
Rekonstruiert und erklärt von Christoph Levin und Reinhard Müller

Verlag C.H. Beck, München 2024

ISBN 978 3406 81359 7


von Jolanta Łada-Zielke

In ihrer heutigen Form sind die Psalmen Zeugnisse des Judentums der hellenistischen Epoche und König David gilt als ihr Verfasser. Christoph Levin und Reinhard Müller stellen ihre Urfassungen dar, die aus der Zeit der Könige Israels und Judas stammen. Die zwei Wissenschaftler erklären die ursprüngliche Funktion dieser Gebete in Königspalast und Tempel. Ihre Forschungen zeigen, dass es ähnlich formulierte Hymnen und Lieder auch in Ugarit, Babylonien, Ägypten sowie in Assyrien und Phönizien gab. Solche Gebete richtete man in heidnischen Kulturen nicht nur an ein einen Gott, sondern auch an eine Göttin (Ischtar, Anat) im Gegensatz zur patriarchalischen jüdischen Religion.

Als nach dem Untergang der Königsreiche das Judentum entstand, ergänzte man die alten Gebete. Daher erscheint in jedem Kapitel des Buches die ursprüngliche, kürzere Version des Psalms, gefolgt von der späteren, ausführlicheren Fassung, die man David zuschreibt. Manche der späteren Fassungen enthalten die Überschrift „Ein Saitenspielen Davids“.  Aus dem Verlauf von Psalm 57 lässt sich schließen, dass David darin Gott um den Schutz vor Sauls Schergen bat.

 

Der Inhalt mancher Psalmen entspricht Abschnitten aus anderen Büchern der Bibel, zum Beispiel Exodus, Numeri, Sprüche, Deuteronomium, Hiob, von den Propheten (Jeremia, Jesaja, Samuel, Amos), Könige, Makkabäer. Die Autoren führen auch eine historische Tatsache an, nämlich die Schlacht von Qarqar im Jahr 853 v. Chr., die die Israeliten gegen die Assyrer führten.

Dieses Buch erweitert das Wissen erheblich, indem es den historischen und kulturellen Kontext der Entstehung der Psalmen aufzeigt. Man kann sich in seiner Phantasie in jene antiken Zeiten versetzen, als Menschen sich die Erde als eine flache Scheibe vorstellten, die vom Urmeer umgeben war. Gleichzeitig haben wir hier eine wissenschaftliche Analyse der Psalmentexte. Levin und Müller zitieren den ursprünglichen Wortlaut einiger Wörter und Phrasen in der hebräischen, aramäischen und akkadischen (sumerischen) Sprache.

Gott offenbart sich in den Psalmen als Heiler und Krieger, der zur Verteidigung seines Volkes kämpft, aber auch für den einzelnen Gerechten, den er nicht nur vor seinen Feinden, sondern auch vor deren bösartigen Reden beschützt. Es gibt auch Psalmen als rituelle Hymnen, die die Thronbesteigung des Königs feiern, und die Wünsche bei der Thronbesteigung enthalten (Psalm 72 von der Krönung Salomos). Es tauchen verschiedene Namen für Gott auf: Jahwe, Elohim, Adonai.

Im heißen Klima des Nahen Ostens, wo es nur zwei Jahreszeiten gibt – Trocken- und Regenzeit – wurde der Anfang der letzteren mit dem Kommen Gottes gleichgesetzt, der die Erde bewässert. Deshalb ist die Bedeutung der Worte des Psalms 63 viel tiefer, als es scheint: „Mein Gott, ich suche Dich, und meine Seele dürstet nach Dir; mein Fleisch sehnt sich nach Dir, wie dürre Erde nach Wasser“.

In den Psalmen findet sich der Ursprung der Anrufung „Halleluja“, des Wortes „Schoah” und des Begriffs „Tochter Zion”. Das Buch erzählt, wer der Kerub war, was der Ritus der Salbung des Kopfes mit Öl bedeutete, und warum nicht nur das Herz, sondern auch die Nieren des Betenden ein wichtiges Organ waren. Wir lernen, worauf sich der Titel eines der populärsten Adventlieder „Macht hoch die Tür“ bezieht, und warum ein Gerechter „im Schatten von Gottes Flügeln“ Zuflucht suchte.

In dieser Publikation gibt es nur einen direkten Bezug zur Musik, nämlich zu dem Satz „Wie lieblich sind Deine Wohnungen“ aus dem Brahms-Requiem, bezüglich des Psalms 84. Dennoch hat in meinem Kopf beim Lesen dieses Buchs immer die Musik erklungen. Dies waren die Melodien von Bach „Schafe können sicher weiden“, sowie von den Motetten „Fürchte dich nicht“ und „Singet dem Herrn ein neues Lied“. Ich habe die Fragmente der drei Oratorien – Mendelssohns „Elias“ (in Ugarit verehrte man den dort erscheinenden Ba’al wirklich), Händels „Saul“ und Honeggers „König David“ – gehört.

Die Verse des Psalms 13 erinnern mich an das Stück „Ut quid Domine. Decimus Psalmus“ von Fredrik Schwenk, ein Appell an Gott, der mit der Hilfe für seinen leidenden Diener hinauszögert. Der CPE-Bach-Chor-Hamburg führte dieses Werk letztes Jahr in der Elbphilharmonie auf. Was Brahms betrifft, so ist der Text „Wenn ein starker Bewaffneter“ aus „Fest und Gedenksprüche“ Op. 109 dem Psalm 59 entnommen, den die Autoren des Buchs als „Gebet in schwerer militärischer Bedrängnis“ bezeichnen.

https://youtu.be/73wFB6IXt0k?feature=shared 

Der Psalm 29 lässt mich an seine Bearbeitung durch den polnischen Renaissance-Komponisten Mikołaj Gomółka denken, unter dem Titel „Nieście chwałę mocarze Panu mocniejszemu“ (Gebt ihr Mächtigen dem Herrn die Ehre, der noch mächtiger ist). Auch dort ist die Rede von Gott, dessen Stimme so heftig wie Donner ist und schreckliche Fluten auf dem Meer verursacht. Hier kann man sich diesen Psalm für vierstimmigen gemischten Chor a cappella anhören:

Ich empfehle die Lektüre dieses Buches nicht nur den Liebhabern antiker Literatur, sondern auch Priestern, Pfarrern, Kantoren, Chorleitern, und allen, die gerne Psalmen singen und mit ihren Worten beten. Vor einem Konzert mit auf den Psalmen basierten Werken kann man sich mit dieser Publikation vertraut machen, und dann diese Stücke bewusster aufführen.

Jolanta Łada-Zielke, 6. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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