Photos: Regina und Andreas Ströbl
von Dr. Andreas Ströbl
Die verehrte Kollegin Jolanta Łada-Zielke hat am 30. Januar eine detaillierte Rezension von „Die Oper kocht – Weltstars am Herd: Die Lieblingsrezepte großer Stimmen“ veröffentlicht (https://klassik-begeistert.de/buchbesprechung-die-oper-kocht-weltstars-am-herd-die-lieblingsrezepte-grosser-stimmen-klassik-begeistert-de-29-januar-2023/). Als hätte sie es in ihrer charmanten Art geahnt, verblieb mir folglich der Part, einige der Rezepte nachzukochen und den Gästen im „Klassik begeistert“-Restaurant „Chez André“ (wahlweise „Da Andrea“ etc., jeweilige Landessprache bitte einfügen) zu servieren.
So ist dies ein sehr persönlicher Beitrag mit Anmerkungen zu fünf der zahlreichen mundwässernden Rezepte, die – dies sei gleich gesagt – allesamt wunderbar geraten sind. Dies liegt, abgesehen von der eigenen Hingabe beim Kochen, vor allem an den guten Beschreibungen von Rezepten, die meist gleichermaßen unprätentiös und raffiniert sind. Oft ist es die geniale Kombination von wenigen Zutaten in mitunter ungewöhnlicher Mengenverteilung, die zu überraschenden Geschmackssensationen führt. Das Besondere an diesem Kochbuch ist ja, bedingt durch die Herkunft der Sängerinnen und Sänger, eine globale Umarmung der Kochkunst und die garantierte Praktikabilität – die Rezepte haben die Weltstars natürlich häufig selbst ausprobiert und wissen, was schmeckt und vor allem wie die Köstlichkeiten zuverlässig zuzubereiten sind.
Es wird wieder einmal klar, dass der Begriff der Sinnlichkeit mit dem des „Gesamtkunstwerks“ assoziiert ist, denn Singen und Kochen lassen sich als aktive Gaben für eine genusshungrige und dankbare Empfängerschaft ganz vortrefflich verbinden. Dieser verbleibt dann, das Hören und das Schmecken selig zu vereinen oder auch synästhetisch wahrzunehmen. Jetzt aber genug vom intellektuellen Geschwurbel – ab in die Küche, mit scharfem Messer und großem Schneidebrett!
Zuerst einmal die Getränkebestellung, bitte! Auch daran ist im Buch gedacht, denn zu jedem Gericht wird der passende Wein bzw. ein entsprechendes Getränk empfohlen. Maître André reicht in diesem Beitrag dazu die geeignete, meist eher selten gehörte Musik, ausgesucht von der Restaurantbesitzerin Madame Régine.
Bereits zum Frühstück liebt man in vielen Teilen Osteuropas das „Chatschapuri“, ein warmes Käsefladenbrot aus Georgien. Das ist die Heimat der Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili, die als ihre größte Schwäche die Liebe zum Essen nennt.
Dieses Hefebrot vermittelt einem die liebevolle Wärme einer georgischen Großmutter, die dem durchgefrorenen Enkelkind etwas richtig Gutes tun will. Anita Rachvelishvili schlägt im Rezept vor, den heimischen Salzlakenkäse Sulguni durch eine Mischung aus Feta und Mozzarella zu ersetzen, falls man nicht gerade einen georgischen Wochenmarkt oder ein speziell ausgerichtetes Geschäft in der Nähe hat. Das schmeckt fabelhaft; ich habe den Mozzarella dafür auf der groben Gemüseraspel gerieben. Eigentlich soll das Brot die Form eines Bootes haben und wenn man die beiden Kiel-Enden nicht stark genug eindreht, dann geht die Form beim Backen wieder etwas verloren. So kam mein Chatschapuri dann in der Form eines ovalen Schlauchbootes aus dem Ofen, aber geschmacklich war es absolut überzeugend (Abb. 1).
Musikalisch passt dazu die Oper „Abesalom und Eteri“ des georgischen Komponisten Sakaria Paliaschwili mit einem zum Verlieben zauberhaften Zwischenspiel voller Leidenschaft, Rhythmus und südkaukasischem Lokalkolorit. Wird leider so gut wie nie aufgeführt.
Zum Pasta-Gang gibt es „Bucatini alla carbonara“ in einer speziellen Variante des Tenors Vittorio Grigolo, der sich mit Nachdruck zur Küche seine Heimatlandes Italien bekennt. Die orthodoxe Beschränkung der Zutaten Pasta, Pancetta, Eier und Parmesan bei der klassischen „Carbonara“ erfährt bei Grigolo eine Erweiterung durch etwas Milch, Weißwein und Zwiebeln, was dem Gericht – synästhetisch gesprochen – eine gewisse tenorale Erweiterung und etwas Bitternis verleiht. Sollte man sich gerade in der sächsischen Provinz oder einem nordfriesischen Dorf befinden, lässt sich der Pancetta auch durch einen schönen Südtiroler Speck ersetzen, den es in jedem größeren Supermarkt gibt (Abb. 2).
Wichtig ist bei der Zubereitung auch dieser Carbonara, dass die Pfanne mit dem angebratenen Speck unbedingt von der heißen Herdplatte genommen werden muss, bevor Nudeln und anschließend die verquirlten Eier hineingegeben und untermischt werden, sonst erhält man Rührei mit Pasta. Eine während des Kochens abgenommene Kelle des Nudelwassers sorgt, abschließend zugegossen, für eine schöne Sämigkeit durch die darin enthaltene Stärke.
Wir empfehlen dazu Puccinis Oper „La Rondine“, eine leichte und feine Geschichte, die aber auch mit leichter Bitternis endet. Dieses Werk findet man ebenfalls kaum auf den Spielplänen.
In sonnige Gefilde entführt der Meeresfrüchte-Eintopf „Caribe en el mediterráneo“ des Tenors Joel Prieto aus Puerto Rico. Er vergleicht das Beenden eines Mahls mit dem Finale einer Oper. Die durch Rotwein sinnlich rubinrote Mischung aus Shrimps, Muscheln und Calamari kann, wer es mag, noch durch Chili verschärfen (Abb. 3). Zu dem Gericht gereichte, zweimal fritierte Kochbananenscheiben sollen bei diesem Vorgang flachgedrückt werden; ich habe vorsichtig mit einem Nudelholz darauf geklopft, das funktionierte sehr gut (Abb. 4). Trotz des darin reichlich enthaltenen Rotweins wird zu dem Gericht übrigens ein Riesling empfohlen, was natürlich gut zu den Meeresfrüchten passt.
Der Musik-Tip dazu ist „La Nuit des Tropiques“, die erste Symphonie von Louis Moreau Gottschalk, die durch lateinamerikanisches Schlagwerk und Rumba-Rhythmen bezaubert. Auch für diesen Komponisten wünscht man sich mehr Aufmerksamkeit.
Von den Tropen geht es in den Fernen Osten, mit Garnelen auf Reisbandnudeln, vorgestellt von der chinesischen Sopranistin Ying Fang, die aufführt, ungern Tiere für das Essen zu töten und sich bei den Krabben auch mal dafür entschuldigt. Die Verwendung weniger, aber in der genialen Kombination phantastisch harmonierender Zutaten macht dieses Gericht zu einer echten Überraschung. Glücklicherweise kann man die Garnelen gefroren im Asia-Laden kaufen und das selbständige Töten meiden (Abb. 5).
Der Clou an diesem Gericht ist eine Paste aus teils angebratenem, teils roh belassenem Knoblauch (ja, es müssen unbedingt 20 bis 25 Zehen sein!), der mit Reiswein, Soja- und Austernsauce vermischt wird. Diese Masse streicht man in die aufgeschnittenen Garnelen, legt diese auf ein weiches Bett aus gekochten Reisnudeln und verteilt Frühlingszwiebeln dazwischen, dann wird das Ganze im Bambuskorb gedämpft (Abb. 6). Der Geschmack ist umwerfend, denn der Knoblauch verliert durch Anbraten und Dämpfen seine intensive Schärfe und schmiegt sich zusammen mit den anderen Pasten-Zutaten geradezu zärtlich in die Garnelen.
Ob man die Chilis gleich mit in den Dämpfkorb gibt oder separat serviert, ist Sache des jeweils eigenen Schärfe-Empfindens. Ich habe immer gefrorene rote Vogelaugen-Chili im Eisfach, die beim Hacken blitzschnell auftauen und wie frische Chili schmecken. Die kann man dann in einem Schälchen dazu reichen.
Musikalisch eignet sich hierfür die Oper „Turandot“ von Ferruccio Busoni. Diese chinesische Fabel unterscheidet sich von Puccinis berühmter gleichnamiger jüngerer Schwester durch weit weniger Drama und ist so deutlich bekömmlicher. Auch hier gilt für die Intendanturen unserer Opernhäuser: Entdecken Sie dieses Werk, das zu Unrecht ein Schattendasein fristet!
Zum Dessert gibt es die Zimtschnecken der US-amerikanischen Mezzosopranistin Joyce DiDonato, zu Recht von ihr „Fabulous cinnamon rolls“ genannt. Zwar führt sie an, dass Kalorienbomben nicht auf ihrem Speisezettel stünden, aber dieses großartige Hefegebäck ist wahrlich kein Schlankmacher. Vielleicht hat die Sängerin ja eine geheime Methode, die Kalorien irgendwie auszusieben – im Ernst, die Schnecken überzeugen durch reichlich Butter in Teig und Füllung, obendrauf kommt noch ein spezieller Zuckerguss, auch der enthält Butter. Eine besondere, fast orientalisierende Anmutung erhält die Füllung der Teigspiralen durch reichlich Zimt und etwas gemahlene Nelken und Muskat. Ich habe anstatt des für den Zuckerguss zusätzlich angegebenen Vanillezuckers (es war schon jede Menge Puderzucker darin!) gemahlene Vanilleschote hineingestreut (Abb. 7).
Warm schmecken sie am besten, also am besten gleich vom Ofenrohr auf den Tisch und nicht lang gefackelt – das waren tatsächlich die besten Zimtschnecken, die wir je aßen!
Hierzu gibt es eine sehr bekannte Komposition, nämlich Rossinis „L’Italiana in Algeri“. Die quirlige Musik entspricht der Spiralform der Schnecken und der Orientalismus den Gewürzen darin.
Wem jetzt das Wasser im Munde zusammengelaufen ist, dem sei empfohlen, sich durch die insgesamt 70 Rezepte in dem sinnlich und humorvoll aufgemachten Buch inspirieren zu lassen. Attacco! Ai fornelli! Ran an den Herd!
Dr. Andreas Ströbl, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
P.S.: Ein mittelfränkischer Wissenschaftler hat herausgefunden, dass die meisten Kalorien während des Essens wieder über die Haut an die Umgebung abgegeben werden. Sie bleiben dann aber in den Fasern der Kleidung hängen und sorgen dafür, dass sich die Maschen zusammenziehen. Beim späteren erneuten Anziehen der Kleidungsstücke entsteht oft der Eindruck, dass die irgendwie enger geworden sind…
Evelyn Rillé und Johannes Ifkovits,
Die Oper kocht – Weltstars am Herd: Die Lieblingsrezepte großer Stimmen. Opera Rifko Verlag, Perchtoldsdorf 2022.
336 S., zahlreiche farbige Abb., € 44,90, ISBN: 978-3-9502956-5-8.