Auch nach der Lektüre von Lüttekens „Zauberflöte“ bleiben viele Fragen offen

Buchbesprechung: Laurenz Lütteken, Die Zauberflöte  klassik-begeistert.de, 6. Mai 2024

Buchbesprechung:

Lüttekens Ausführungen sind zweifellos verdienstvoll. Entstanden ist aber ein Buch, das mehr Fragen offen lässt, als es beantwortet.

Laurenz Lütteken
Die Zauberflöte

Mozart und der Abschied von der Aufklärung

C.H. Beck

von Peter Sommeregger

Mozarts letzte Oper, nur gut zwei Monate vor seinem frühen Tod 1791 in Wien uraufgeführt, schlägt an Popularität praktisch jedes andere Werk des Musiktheaters. Ebenso lange wird über die Gründe für diese Popularität und verschiedene Aspekte seiner Handlung gerätselt, spekuliert, und vor allem publiziert.

Nun hat der schweizerische Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken der schier ausufernden Zauberflöten-Literatur ein weiteres Werk hinzugefügt. Der Autor ist durch frühere Veröffentlichungen hinreichend legitimiert, sich mit den nicht wenigen strittigen oder bisher unbekannten Details des Werkes und seiner Rezeptionsgeschichte auseinanderzusetzen. Aber gerade da setzt die Enttäuschung über das Buch ein.

Lütteken ist ein gelehrter Mann, das ist nicht zu bestreiten, nur leider breitet er sein eindrucksvolles Detailwissen in so dichter Form aus, dass es die Lektüre zur Herausforderung macht. Es werden selbst nebensächlichste Details abgehandelt, selbst entlegendste Zitate eingefügt, kein Wunder, dass die Literaturliste im Anhang knapp sieben Seiten umfasst. Das mag alles einer solchen Monographie gut anstehen, zugleich sucht man vergeblich nach der Beantwortung drängender Fragen, die das Werk und seine Entstehung betreffen.

Nur kurz gestreift wird die Frage, warum der in Wien sehr erfolgreiche Mozart sein jüngstes Werk in einem Theater der Vorstadt, nämlich dem Freihaustheater auf der Wieden zur Uraufführung brachte, ganz im Gegensatz zu den früher entstandenen Opern. Lütteken erwähnt zwar kurz, dass das Freihaustheater ein für die Vorstadt doch groß dimensioniertes Theater auch mit adeligem Publikum gewesen sei, aber geht nicht näher darauf ein. Ebenfalls vermisst man Ausführungen über das Verhältnis der so gänzlich unterschiedlichen letzten drei Opern Mozarts, nämlich „Così fan tutte“, „La clemenza di Tito“ und eben der aus diesem Rahmen fallenden „Zauberflöte“ zueinander.

Kaum berücksichtigt wird auch die veränderte berufliche Situation Mozarts, der durch den plötzlichen Tod des ihm wohlgesonnenen Kaisers Joseph II. seinen wohl wichtigsten Gönner verloren hatte. Josephs Nachfolger, Leopold II., war bekanntermaßen eher amusisch, seine Übernahme der Regentschaft muss für Mozart beunruhigend gewesen sein. Auf den im Untertitel angesprochenen Abschied von der Aufklärung geht Lütteken nicht weiter ein.

Sehr sparsam fällt auch die Betrachtung des Verhältnisses zwischen Mozart und seinem Librettisten Emanuel Schikaneder aus. Dazu erfährt man so gut wie nichts, auch Details des Auftrages für Mozart sucht man vergeblich. Dagegen wird selbst noch dem kleinsten biographischen Detail nebensächlicher Personen nachgegangen. Lüttekens Vorgehen erscheint dabei in befremdlichem Sinne selektiv.

In der letzten Konsequenz müssen aber alle Versuche, die in Teilen missverständliche Handlung der Zauberflöte zu enträtseln, scheitern. Der unzerstörbare Reiz des Werkes liegt vielleicht gerade darin begründet. Mozart gelang mit diesem Werk so etwas wie die Quadratur des Kreises, die Musik ist bei aller scheinbaren Volkstümlichkeit hoch komplex und anspruchsvoll, der streckenweise naive Text wird raffiniert durch Anspielungen auf Freimaurer-Rituale künstlich verrätselt, vermischt so intellektuellen Anspruch mit Vorstadt-Tauglichkeit. Das muss man erst einmal fertigbringen, und das „wie“ ist wohl das größte und ungelöste Rätsel der „Zauberflöte“.

Lüttekens Ausführungen sind zweifellos verdienstvoll. Entstanden ist aber ein Buch, das mehr Fragen offen lässt, als es beantwortet.

Peter Sommeregger, 5. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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