Leon Gurvitch; Foto Marek Audirsch
Mit dem Hamburger Kammerballett kommt ein Teil von „Kintsugi“ von Kiel nach Hamburg.
von Patrik Klein
Nachdem im ausverkauften kleinen Saal der Elbphilharmonie Hamburg bereits weite Teile der gerade erst erschienenen CD Musique Mélancholique des Hamburger Pianisten Leon Gurvitch vom bis dahin bereits begeisterten Publikum aufgenommen wurde, öffneten sich die Türen für das Hamburger Kammerballett und der finale Track „Melody from Childhood“ kam noch einmal „da capo“ und mit modernem Tanztheater daher.
Im kleinen Saal der Elbphilharmonie Hamburg übernahm nun als Höhepunkt des Abends das Hamburger Kammerballett einen Teil dieser einmalige Bühnenaufführung, wo Tanz und Musik zu einem Kunstwerk miteinander verschmolzen. Das Hamburger Kammerballett besteht aus talentierten professionellen ukrainischen Tänzern. Edvin Revazov inszenierte das gesamte Stück mit dem Titel „Kintsugi“ für das Theater Kiel, über das Klassik-begeistert vor einigen Wochen berichtete:
Auch hier in Hamburg war die Choreografie eng verwoben mit der Komposition von Leon Gurvitch. Der Flügel wurde dabei variabel auf der Bühne platziert und mit der Choreografie zu einer Einheit verschmolzen. Die Musik war lebendig und voller Kontraste.
Zuvor begann das Konzert mit dem sieben Stücke beinhaltenden Zyklus Musique Mélancolique. Dieser entstand während der Pandemie, als das kulturelle Leben stillstand und die Verzweiflung bei vielen Künstlern wuchs. Mit seiner Lieblingszahl sieben begründet Leon Gurvitch auch die Anzahl der Stücke, die trotz der düsteren Aussichten Lebensfreude und Hoffnung ausstrahlten.
Bei Silent Waves, Mélodie Nostalgique, La Tristesse, Endless River, Paroles de Solitude, Valse Mélencholique und Melody from Childhood entwickelten sich oft aus ruhigen oder klassisch anmutenden Klängen mit Arpeggios und kleinen Dissonanzen durchwachsene, zum Teil furiose Melodien voller Farben, Stimmungen und Emotionen. Technisch äußerst anspruchsvoll begannen Funken in allen Farben zu sprühen wie bei einem grandiosen Feuerwerk. Tempoverlangsamungen oder plötzliche Stille setzten Kontraste, die bei jedem Zuhörer individuelle Emotionen erzeugten und zu Herzen gingen. Trotz der dunklen und nachdenklichen Gesamtstimmung mündete der Zyklus in mediterraner Lebensfreude, Verspieltheit und jazzigen Improvisationen.
Das Konzert war gespickt mit zusätzlichen Titeln, die das gesamte Spektrum des Künstlers unterstrichen. „Female Dance“, eigens für den Ballettpremierenabend in Kiel komponiert, spannte einen Bogen vom Barock zur modernen Musik. Das klang furios, virtuos, berauschend und war aufregend temporeich.
Von den auf der CD folgenden vier Stücken „Songs without tears“ kamen die Nr. 2 und 4 zu Gehör. Leon Gurvitch ließ sich hierbei von Mendelssohn und Skrjabin inspirieren. In den unterschiedlichen Stimmungen ohne Worte und ohne Tränen wurden musikalisch spannungsgeladene Kontraste gesetzt. Langsamkeit und höchstes Tempo, „Faust’sches“ Philosophieren und komplex verschachtelte Melodieflächen sowie beruhigende Elemente und schließlich optimistisch verspielte Sequenzen, die die Sonne wieder scheinen lassen, prägten die Stücke.
„Vocalise“ erinnerte dann ein wenig an Rachmaninows gesangloses, lediglich einen Vokal beinhaltendes Lied Nr. 14 Op. 34. Die dunkel bis heiter anmutende Melodie erfuhr viele Variationen und wohltuende Harmonien. Sie kam daher als farbenfrohe Malerei, in der die Gedanken dorthin flogen, wo es paradiesisch sein muss.
„Im wunderschönen Monat Mai„, inspiriert von Robert Schumann und Heinrich Heine, folgten virtuose Variationen aus seinem bereits an gleicher Stelle vorgetragenen Heine Liederzyklus. Das technisch äußerst anspruchsvolle Stück, in dem vielfach überkreuzte Hände zum Einsatz kamen, ließ volkstümlich Anmutendes mit fast atonalen Nuancen aufregend verschmelzen.
Schließlich ging es im nächsten Stück „Post Scriptum“ um den Tod eines geliebten Menschen. In leicht dunklen Farben drückten sich Trauer über den Verlust und Zweifel, aber auch Nachdenklichkeit und Freude über das Dagewesene aus.
Ein neues Stück „My hope“ kam mit einem in unserer heutigen Zeit ganz wesentlichen Wunsch daher, der eindringlichen Botschaft des Friedens. Da klang es zart, melancholisch und verwoben mit jazzigen Rhythmen mit des Künstlers Gedanken über die Unsinnigkeit des Krieges. Größer konnten Kontraste kaum sein. Traurigkeit, aber auch Hoffnung, Schatten und Licht, Resignation und Widerstand prägten die berührende Melodieentwicklung, die im Glauben an Zuversicht und die Liebe mündete.
Das vor Begeisterung rasende Publikum bekam dann noch drei Zugaben, „Remember me„, bei der die DNS des Pianisten unverwechselbar erklang, ein spektakuläre volkstümliche „Fiesta“ und, um das Publikum zu beruhigen vor dem Nachhauseweg, Brahms verjazztes und improvisiertes Schlaflied „Guten Abend, gut’ Nacht„.
Der heftig bejubelte Konzertabend von Leon Gurvitch bestand somit aus Werken über die gesamte Bandbreite menschlicher Empfindungen, die Einsamkeit, den Tod eines lieben Menschen, den Krieg und den unbändigen Wunsch nach Frieden, vergaß aber niemals die Heiterkeit, die Liebe und den Optimismus.
Patrik Klein, 6. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD-Rezension: Leon Gurvitch Musique Mélancholique klassik-begeistert.de, 18. April 2024
14. Hauskonzert bei Leon Gurvitch Salon Neu-Wulmstorf, 2. März 2024