Der langersehnte Neuanfang in Wien: So zärtlich klingt ein Schweizer im Konzerthaus

Camerata Salzburg, Andreas Haefliger, Andrew Manze  Wiener Konzerthaus, 19. Mai 2021

Wiener Konzerthaus, 19. Mai 2021
Camerata Salzburg
Andreas Haefliger, Klavier
Andrew Manze, Dirigent
Wolfgang Amadeus Mozart, Konzert für Klavier und Orchester c-moll K 491 (1786)
Joseph Haydn, Symphonie C-Dur Hob. I/82 „L’Ours“ (1786)

von Andreas Schmidt

Wien, diese wunderbare Stadt im Herzen Europas, bietet sich hervorragend für einen musikalischen Neuanfang für klassik-begeisterte Menschen an. Wer wie klassik-begeistert.de das Glück hatte, dem ersten Konzert nach vielen Monaten des „Lockdowns“ im Großen Saal des Wiener Konzerthauses beizuwohnen, kann schon sehr positiv in die kommende Spielzeit blicken.

Was im wunderschönen Wiener Konzerthaus, erbaut von 1911 bis 1913 unter Kaiser Franz Joseph I., zu hören und sehen war, berührte die konzertabstinenten Zuschauer zutiefst. Groß war der Applaus beim zweiten Konzert des Abends, Dankbarkeit erfüllte fast jeden im Saal.

Höhepunkt des Abends war das zarte Klavierspiel des Schweizer Pianisten Andreas Haefliger, der seine Ausbildung an der New Yorker Juilliard School genossen hat. Was er an diesem Abend mit Wolfgang Amadeus Mozarts Konzert für Klavier und Orchester c-moll an Feingefühl, an Spürsinn und an Modulationsbreite offenbarte, war schon eine Klasse für sich. Wer die Augen schloss, der konnte meinen, es spiele eine Frau, eine Weltklassepianistin – so zärtlich klang dieser Schweizer mit dem Jonas-Kaufmann-Look.

Die Camerata Salzburg machten ihrem Ruf, zu den führenden Kammerorchestern der Welt zu gehören, alle Ehre. Wirklich alle Instrumentengruppen gaben alles, niemand fiel hier ab – nur eine besonders auf: die junge Konzertmeisterin, die mit ihrem beherzten Geigenspiel alle KollegInnen zu Höchstleistungen anstachelte.

Das Klavierkonzert c-moll KV 491 unterscheidet sich im persönlichen Ausdruck wesentlich von Mozarts anderen Klavierkonzerten, die überwiegend den lichten Seiten des Lebens zugewandt sind. Klavier und Orchester wechseln nicht so sehr dialogisch ab. Der symphonischen Anlage entspricht die Tendenz zu möglichst reicher Verwendung des Tonmaterials, wozu die Molltonart die besten Möglichkeiten bietet. c-moll stellt mit Einschluss der sogenannten neapolitanischen Stufe alle Töne der chromatischen Skala in bequemer Lag zur Verfügung.

Das 24. Klavierkonzert ist neben dem 20. Klavierkonzert KV 466 das einzige Klavierkonzert Mozarts, das in einer Molltonart steht, weiß auch wikipedia.de. Beide Werke sind Konzerte von größter dramatischen Intensität. Gerade hierin weist das Konzert deutlich auf das Schaffen Beethovens hin, speziell auf dessen 3. Klavierkonzert, ebenfalls in c-Moll. Dieses ähnelt Mozarts 24. Klavierkonzert auch in der Thematik. Der verstärkte Einsatz von Chromatik prägt den musikalischen Charakter von abgründiger Tiefe, Leid und Tragik.

Mozart hat auch mit diesem c-Moll-Konzert die Verpflichtung der Musik an Unterhaltungsideale endgültig überwunden und zur Freiheit des individuellen Künstlers gefunden. Es ist bemerkenswert, dass er dieses Ideal ausgerechnet in einer Zeit höchster Beliebtheit beim Publikum immer weiter verwirklichte und damit seine Souveränität über die gesellschaftliche Verpflichtung der Kunst demonstrierte. Auf diese Weise gehört das Konzert KV 491, ebenso wie das d-Moll-Werk KV 466, zu den Wegbereitern kommender musikalischer Epochen.

Die Sinfonie Hoboken-Verzeichnis I: 82 in C-Dur komponierte Joseph Haydn im Jahr 1786 – so wie Mozart sein Werk. Sie gehört zu der Reihe der „Pariser Sinfonien“. Der Beiname „Der Bär“, der sich auf den letzten Satz bezieht, stammt nicht von Haydn. Entgegen ihrer Nummer ist sie chronologisch eine der letzten Sinfonien der Reihe.

Ja, und wie ein Bär tänzelte auch der Brite Andrew Manze, Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie (Hannover) auf dem Dirigentenpult. Manze war mit großer Freude und Hingabe bei der Sache, brauchte aber bei dieser starken Formation eh nicht allzu viel tun und beschränkte sich auf die musikalischen Sahnebonbons.

Unter die Haut gehend war die Zugabe, die Andreas Haeflinger wählte und grandios darbot: Isoldes Liebestod.

Andreas Haefliger ©

Der Liebestod ist ein literarisches Motiv, das mit Richard Wagners Musikdrama Tristan und Isolde (1859) in Verbindung gebracht wird. Die Protagonisten der Oper sehnen den Tod als Vollendung ihrer gesellschaftlich unmöglichen, da ehebrecherischen Liebe herbei. Am Schluss der Oper, nachdem Tristan nach langem Siechtum aufgrund einer Verwundung gestorben ist, sinkt auch Isolde über seiner Leiche zusammen. Ihr Sologesang am Schluss, das allgemein unter dem Titel „Isoldes Liebestod“ bekannt ist, nannte Wagner selbst jedoch „Isoldes Verklärung“.

Der Schweizer spielte so intensiv, kraftvoll, ja feurig, dass der fehlende Gesang Isoldes vergessen ward. Die Zugabe machte klar, welch technisches Kaliber dieser Andreas Haefliger ist. Spielte er bei Mozart bisweilen ein wenig zu gedämpft – mit durchgetretenem linken Pedal –, war er hier der kraftvoll-dramatische Solist, der die Zuhörer in die Sessel drückte.

Gerne mehr!

Andreas Schmidt, 20. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.

 

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