Foto: © Alexander Levitsky. Architecture of Odessa
von Charles E. Ritterband
Das Opernhaus der ukrainischen Hafenstadt Odessa (offiziel: das „Akademische Nationale Theater für Oper und Ballett“) gehört zu den prachtvollsten der Welt – erbaut wie so viele Theater des einstigen Habsburgerreichs vom Wiener Architekturbüro Fellner & Hellmer. Der historistische Bau (mit Fassaden im neo-barocken Stil und einem Zuschauerraum im Stil des Rokoko) wurde 1887 eröffnet und stellt das Prunkstück unter den Bauten Odessas dar, den Stolz seiner Bürger, das „kulturelle Herz“ der Stadt. Erst 2007 wurde die Oper nach sieben Jahre dauernden Renovationsarbeiten wieder eröffnet. Dass dieses großartige Bauwerk ins Visier von Putins Artillerie und Bombenflugzeugen geraten könnte, ist die große Befürchtung der Einwohner von Odessa.
Denn seit zwei Wochen wird die Metropole am Schwarzen Meer den russischen Invasionstruppen bedroht. Um ein – international beachtetes – Zeichen zu setzen intonieren Chor und Orchester des traditionsreichen Hauses vor den Stadtmauern „Va, pensiero“ aus Verdis Nabucco: die Melodie, in welcher Hoffnung auf Unabhängigkeit, Befreiung (von der Habsburger Herrschaft) und Einigung mitschwingt. Was könnte passender sein in dieser Situation? Noch gestern wurde vor Panzerfallen, welche das Opernhaus schützen soll, die ukrainische Nationalhymne intoniert und Choristen und Musiker erhalten in aller Eile Kurse in Erster Hilfe.
Erschütternd die Gegenüberstellung zweier Aufnahmen – die eine, schwarzweiss, aus dem Jahr 1942, die andere, in Farben, von jetzt: Beide zeigen das Opernhaus umgeben von Sandsack-Barrieren und eisernen Panzerfallen. Wie ein Gespenst ist die Vergangenheit zum Opernhaus Odessa zurückgekehrt.
Charles E. Ritterband, 14. März 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at