Staatsoper Hamburg, 1. April 2024
Ekaterina Gubanova © Gulbenkian Música
Cavalleria rusticana Musik von Pietro Mascagni
Libretto von Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci nach Giovanni Verga
Pagliacci
Musik und Libretto von Ruggiero Leoncavallo
Typisch Hamburgische Staatsoper: Ein herausragendes Gesangs-Ensemble um Ekaterina Gubanovas Santuzza singt das Orchester in Grund und Boden. Diesmal kann auch Giancarlo Del Monacos Regie des Cavalleria Rusticana/Pagliacci Doppelabends nicht überzeugen. Doch im Ohr bleiben vor allem die durchwegs mindestens souverän strahlenden Stimmen.
von Johannes Karl Fischer
Fast die gesamte Cavalleria rusticana – also die erste Hälfte des Opernabends – saß ich inmitten sehr vielen freien Plätzen zu Tränen gerührt in der Hamburgischen Staatsoper. Grund dafür war vor allem Ekaterina Gubanovas sensationelle, herzergreifend mitreißende Santuzza. Das war einer der besten Gesangsleistungen der letzten Jahre an diesem Haus, so emotional mitgenommen hat kaum eine Sängerin der letzten Zeit. Aus ihrem tiefen, intensiven Mezzo strahlen zwei Noten, sofort fühlt man die volle Wucht der emotional-eifersüchtigen Liebe dieser Figur.
Liebe Frau Gubanova: Vor ganz knapp einem Jahr berichtete ich bereits über Ihre ebenso souveräne Kundry an der Wiener Staatsoper. Diese Santuzza war noch einmal eine Klasse mehr, Sie hatten die ganze Musik und das Publikum szenisch wie musikalisch fest umschlingend im Griff. Meine Begleitung – seit 46 Jahren Stammgast in diesem Haus – meinte: „Für Domingo-Karten habe ich hier Nächte vor der Kasse verbracht. Wo sind denn die ganzen Leute hin?“
Ich bin ganz ehrlich: Für diese Santuzza hätte ich mir auch locker meinen ganzen Ostermontag im regnerisch-kalten Hamburg um die Ohren gehauen.
Auch die restlichen Rollen des Einakters waren sehr stark besetzt. Marcelo Puente sang einen durchwegs soliden Turiddu, ein bisschen spaßig und doch musikalisch passioniert in den Melodien. Sein Gesang gab der Szene mehr Italianità als die Inszenierung… als würde ein exzellenter Opernsänger Verdi-Schlager in einer sizilianischen Dorfgasse singen. Gesanglich konnte auch George Peteans Alfio überzeugen, sein Bariton resonierte gut im Haus und reihte sich in das insgesamt sehr starke Gesangs-Ensemble ein. Ida Aldrian gab eine luftig singende, frisch wieder verliebte Lola, Renate Spinglers Lucia eine scheinbar sehr glaubensbewusste Mamma Lucia.
Nach der Pause folgte die zweite Oper des Abends: Leoncavallos Pagliacci, ebenfalls in einer ähnlich herausragenden Besetzung. Hier glänzte mit Vittorio Grigolos souveränem Canio ausgerechnet mal ein Tenor – an diesem Haus derzeit akute Mangelware im italienischen Fach. Herr Grigolo sang jede einzelne Melodie kraftvoll, packend und dennoch völlig mühelos, als hätte er sich am Ende gerade erst warm gesungen und würde sich nun auf ein, zwei Nessun dormas freuen. Sein Tenor klang grenzenlos strahlend und sonnig… so würde man sich auch einen Calaf oder Pinkerton an diesem Haus wünschen!
Auch Anna Princevas Nedda war sehr gut und tanzte auch stimmlich mit Grandezza ihre Rolle. Sie amüsierte das Publikum auf der Bühne wie im Saal und hielt dennoch – ganz ihrer Rolle entsprechend – selbstsicher gegen den stimmstarken Canio-Tenor entgegen. Als einziger in beiden Opern auftretender Sänger – vereinzelt wird diese Werkkombination mit drei Doppelbesetzungen gesungen – fand sich George Petean als Tonio nochmal deutlich besser zurecht denn als Alfio. Sein äußerst unterhaltsamer, theaterkommentierender Prolog bekam donnernden Szenenapplaus, diese Rolle fiel ihm wohl leichter als die eines eifersüchtigen Ehemanns. Einen Achtungserfolg hatte Nicholas Mogg als Bauer Silvio, mit spielerischer Stimme machte er seinen beiden Schauspieler-Nebenbuhlern nicht nur um seine Nedda Konkurrenz.
Soweit das Positive. Nun zum Rest… ja, der war insgesamt weniger erfreulich.
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Daniele Callegari konnte schon im Cavalleria-Vorspiel nicht überzeugen, die sonst feurig und schwunghaften Orchesterstellen klangen hier recht lustlos und gemächlich. Viele Einzelleistungen fehlte es an musikalischer Farbe, ein recht schrill klingendes Hornsolo blieb da besonders in Erinnerung. Ein bisschen so wie ein Italien-Urlaub mit Cola und Wurstsemmeln statt Wein, Ciabatta und Vongole. Callegari ist nun kurzfristig für die Turandot eingesprungen… ich wünsche ihm einfach, dass er das besser kann. Ansonsten müsste ich mal über die Verwendung des Begriffs „Dirigats-Totalausfall“ nachdenken…
Ein weiterer Totalausfall war leider Giancarlo Del Monacos Inszenierung. Das Cavalleria-Bühnenbild war eigentlich sehr schön und sommerlich einladend – so war Sizilien damals und so ist es immer noch. Leider waren in diesem idyllisch-italienischen Dorf fast alle Figuren in depressiv-schwarzen Kostümen gekleidet und liefen langsam, aber ziellos über die Bühne. Die Stimmung war trüber als auf einer Beerdigung – als hätte hier jemand eine Stunde religiösen Staatstrauer angeordnet.
Leider wurde es auch nach der Pause in Pagliacci nicht besser. Das ist eigentlich eine vielschichtige Oper mit tief emotionalen und komplexen Persönlichkeiten. Drei Männer begehren Nedda, die Buhlerei wandelt von der Bühne auf der Bühne in das vom Chor gespielte Dorfpublikum und nebenbei kommentiert der eine Schauspieler auch noch die Theaterwelt. Del Monaco reduziert das Ganze auf ein klatschiges, museales Dorftheater mit eher flachen Charakteren. Neddas nackter Fuß soll anscheinend das Highlight der Stegreifschauspieler sein, am Ende kommt Canio als kaltblütiger Mörder seiner Geliebten rüber. Von der Eifersucht oder emotionalen Zerrissenheit dieser Figur war leider keine Spur zu spüren. Das kann Jean-Pierre deutlich besser – der vor einer zum Verwechseln ähnlicher Bühnenästhetik ein gänzlich anderes, viel tiefgreifenderes Werk inszeniert.
Summa summarum: Die Hamburgische Staatsoper leidet mal wieder unter ihrem jahrzehntealten Dauer-Problem. Gesungen wurde auf absolutem Weltklasse-Niveau, im Graben herrschte bestenfalls Mittelmaß. Im Ohr blieb am Ende trotzdem vor allem Gubanovas überragende Santuzza.
Johannes Karl Fischer, 2. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at