Cavalleria rusticana/Pagliacci 2025, J. Kaufmann, A. Pérez © Geoffroy Schied
CAVALLERIA RUSTICANA / PAGLIACCI
von Pietro Mascagni / Ruggero Leoncavallo. Libretto von Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci nach den Scene popolari von Giovanni Verga / Libretto vom Komponisten.
Melodramma in einem Akt (1890) / Drama in einem Prolog und zwei Akten (1892)
In italienischer Sprache. Mit deutschen und englischen Übertiteln. Neuproduktion.
Daniele Callegari, Musikalische Leitung
Francesco Micheli, Inszenierung
Edoardo Sanchi, Bühne
Daniela Cernigliaro, Kostüme
Mattia Agatiello, Choreographie
Alessandro Carletti, Licht
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor
Kinderchor der Bayerischen Staatsoper
Münchner Opernfestspiele, Nationaltheater, 9. Juli 2025
von Dr. Petra Spelzhaus
Endlich bin ich mal wieder in der Oper! Und dann gibt es gleich zwei auf einmal. Nach 46 Jahren beschert uns die Bayerische Staatsoper im Rahmen der Münchner Opernfestspiele 2025 eine Neuauflage der schon traditionell an einem Abend aufgeführten Kurzopern Cavalleria rusticana von Pietro Mascagni und Pagliacci von Ruggero Leoncavallo.
Regisseur Francesco Micheli hatte die geniale Idee, die beiden von Liebe, Eifersucht, Intrigen, Rache und Tod durchtränkten Verismo-Opern zu einem aufeinander aufbauenden Werk zusammenzuheften. Leider hielt die Klammer nicht überzeugend, aber dazu später mehr.
Die Handlung wird als Migrationsgeschichte in die 1960/1970er Jahre zwischen Palermo und München verlegt. Turiddu kommt nach längerer Abwesenheit in sein Heimatdorf zurück. Seine Geliebte Lola hat zwischenzeitlich Alfio geheiratet. Daraufhin tröstet er sich mit Santuzza. Als sich Turiddu und Lola wieder näher kommen, schwört Alfio Rache und tötet seinen Rivalen in einem Duell.
Eigentlich, denn für die Fortsetzung der Geschichte überlebt Turiddu, reist als Gastarbeiter nach München und nimmt eine neue Identität an, wird Canio, der Bajazzo. Als zerrissene Persönlichkeit tötet er seinerseits während einer Aufführung seiner Theatertruppe seine Frau Nedda nebst Nebenbuhler Silvio. Wie undankbar!
Die beiden Opern präsentieren sich in unterschiedlichen Gewändern. In der Cavalleria rusticana erleben wir statt des feurigen Siziliens ein unterkühltes, geradezu anämisches Setting in einem Mobiliar in Zebraoptik. Der Chor erklingt sphärisch hinter Rolläden, es baut sich eine Distanz zwischen Bühne und Publikum auf. Auch der hellgrau gewandete Jonathan Tetelman als Turiddu wirkt, als wenn er aus der Ferne sänge. Im Gegenteil dazu Anna Pirozzi, die in Schwarztönen gekleidet und schwanger daherkommend mit ihrem warmen, dramatischen Gesang als Santuzza ein ungewohntes Gefühl der Nähe vermittelt. Die beiden wirken wie Yin und Yang, sie verwurzelt, erdverbunden, er haltlos schwebend. Turiddu rückt uns mit seinem strahlenden jugendlichen Gesang erst auf die Pelle, als er sein drohendes Ende mit der damit verbundenen Sorge um Santuzza beklagt. Aber da ist es schon arg spät.
Pagliacci hingegen spielt im Gastarbeitermilieu in München im Jahre 1970. Die Welt ist plötzlich bunt. Die Kostümbildnerin Daniela Cernigliaro konnte sich an den an die Hippie- und Flower-Power-Bewegung erinnernden Gewändern so richtig austoben. Der Gottesdienst wird durch eine Übertragung des Jahrhundertspiels zwischen Deutschland und Italien (4:3 für Italien nach Verlängerung) bei der Fußball-WM in Mexiko ersetzt. Der in der Uraufführung der Oper 1892 in Mailand störrische Esel der Theatertruppe weicht einem deutlich zahmeren VW-Käfer. Die vor italienischen Klischees triefende Inszenierung kann sich nur ein Regisseur leisten, der seine Wurzeln im Land des Belcanto und Saper vivere hat.
Fühlten wir uns in der Cavalleria noch eisig erstarrt, erwachen wir in Pagliacci zum Leben. Die schmissige und mitreißende Musik passt zum farbenfrohen Ambiente. Chor, Solisten und das von Daniele Callegari, dem Grandseigneur am Dirigierstab, geleitete Orchester agieren als eine hochklassige Einheit.
Andrzej Filończyk überzeugt mit seiner kernig-beweglichen Stimmführung als Silvio ebenso wie Ailyn Pérez mit ihrem dichten samtenen Gesang in der Rolle der Nedda. Die weiblichen Hauptrollen – obwohl Opfer männlicher Machtphantasien – werden bombenstark interpretiert, sie sind keine Püppchen.
Wolfgang Koch, der neben den Eisenbahnwaggons und den Zebramöbeln als Bindeglied zwischen beiden Opern dient, wechselt problemlos aus dem Eis Palermos in Münchens heiße Italo-Romantik. Er spielt überzeugend seine darstellerische und stimmliche Variabilität als wütender Alfio und herzzerreißend schmachtender Tonio aus.
Gespannt warten wir auf Startenor und Münchner Kindl Jonas Kaufmann. Die Intendanz bei den Tiroler Festspielen in Erl scheint seiner Stimme gutzutun. Er interpretiert mit reifem Tenor und schauspielerischer Klasse den rasend wütenden, von Eifersucht zerfressenen Bajazzo Canio beeindruckend. Die berühmte Arie „Vesti la giubba“ geht unter die Haut.
Die Regieidee der Verbindung beider Opern ist nicht überzeugend geglückt. Zu unterschiedlich waren Setting und Stimmung. Auch die Metamorphose des Turiddu zu Canio wurde erst durch Zusatzinformationen aus dem Programmheft deutlich.
Davon abgesehen hatten wir – nachdem wir uns von der Erkältung durch die Cavalleria rusticana erholt haben – einen vergnüglichen Opernabend. Die hochkarätigen Solisten, der erstklassige Chor nebst Kinderchor und des elegant aufspielende Staatstorchester lohnen allemal einen Besuch der zweieiigen Opernzwillinge.
Die in der Premiere noch gehäuften Buhrufe waren komplett verstummt und wichen Beifallsstürmen. Dem Publikum hat’s gefallen.
Dr. Petra Spelzhaus, 12. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Cavalleria rusticana / Pagliacci, Jonas Kaufmann Nationaltheater, München, 22. Mai 2025 PREMIERE
Cavalleria rusticana/Pagliacci Wiener Staatsoper, 22. Jänner 2025
Cavalleria rusticana/Pagliacci Wiener Staatsoper, 12. Januar 2025