Antonin Dvořáks schaurige Märchenstunde als Musikunterricht aufgewertet

CD-Besprechung:  Dvořák Symphonic Poems  klassik-begeistert.de, 19. Juni 2025

CD-Besprechung:

Dvořák
Symphonic Poems

Der Wassermann
Die Mittagshexe
Das goldene Spinnrad

Sinfonieorchester Basel, Ivor Bolton

CD des Labels Prospero (PROSP0077) – erschienen im April 2025

von Ralf Krüger

Manche Märchen sind nicht gerade märchenhaft. Doch haben wir im deutschsprachigen Raum mit den Gebrüdern Grimm noch Glück gehabt. Ähnlich, wie es dem Rotkäppchen und seiner Großmutter gelang, aus dem Schlund des Wolfes zu entkommen, so erlebten auch andere Berühmtheiten, wie Hänsel und Gretel, zwar ein Ende mit Schrecken, aber ohne Schaden an Leib und Leben.

In der Sammlung böhmischer Sagen und Märchen des Historikers Karel Jaromir Erben mag es da ganz anders aussehen. Da wurde schon mal der Leichnam eines getöteten Mädchens auseinandergenommen, später wieder zusammengesetzt und zum Leben erweckt. Ein kleineres Kind hatte weniger Glück. Weil es seine Mutti beim Kochen störte, wurde es von einer Hexe, die nur zwischen 12 und 1 am Arbeiten ist, einfach so von der Küche ins Jenseits befördert.

Derlei Informationen findet man in einer großartigen CD-Edition des Schweizer Labels Prospero. Drei Sinfonische Dichtungen Antonin Dvořáks werden hier in einer Neuaufnahme präsentiert und gleichzeitig sekundengenau kommentiert. Der Hörer bekommt die Chance, sowohl der Märchenhandlung zu folgen, als auch gleichzeitig die musikalische Umsetzung zu verstehen. Zum ersten Werk auf der CD, Der Wassermann, liest man in Minute 5:22 zum Beispiel:

Das von Blechbläsern gestützte Wassermann-Thema im Fortissimo: Der Wassermann packt die junge Frau und zieht sie unter Wasser.“

Die Infos zur Musik (kursiv) und den Handlungsablauf, verfasst von Ingo Dorfmüller, gibt es in Deutsch, Englisch und Französisch zu lesen. Alle Seiten im Booklet sind mit wunderschönen Illustrationen zu den jeweiligen Werken garniert. Dem Komponisten war es wichtig, „sämtlichen Sinfonischen Dichtungen eine Zusammenfassung des jeweiligen Märchens in Gedichtform beizulegen“, schreibt Hans-Georg Hofmann im Vorwort.

Davon profitieren wir heute. Prospero sei Dank, dass sie diese Idee sehr detailverliebt umgesetzt haben. Für mich entwickelte sich beim Hören der drei Werke jedenfalls das Gefühl, einer Märchenstunde mit begleitendem Musikunterricht beizuwohnen.

Der Wassermann stand am Beginn dieser Reihe von Schauergeschichten aus der Sammlung von Karel Jaromir Erben, die Dvořák vertonte. Wir erleben ein Wechselspiel zwischen Hoffnung und Angst. Der Soundtrack spielt in großen Teilen unter Wasser. Das junge Mädchen, dort in den Fluten gefangen, schenkt dem Wassermann ein Kind. Der Augenblick wird in einer versöhnlichen Melodie festgehalten. Doch die titelgebende Figur ist niemand, den man mögen oder Liebhaben kann und so muss der Hörer sich nach 20 Minuten eingestehen: Das Ganze kann keinen guten Ausgang nehmen. Mit einem allerletzten schwachen Atemzug endet das Drama an Land. Man kann es hören, so leise und so traurig.

Die Partitur der Mittagshexe wurde 1896 im Musikverlag N. Simrock in Berlin verlegt. Das Cover des Erstdrucks ist im Booklet abgebildet und die Handlung könnte tatsächlich in Berlin beginnen: Eine Mutti bereitet das Mittagessen vor, das Kind will spielen, quengelt und die Mutti schimpft… Dass dann die böse Mittagshexe heraufbeschworen wird, steht aber nur in böhmischen Märchen. Die Musik kippt beim Auftauchen dieser Person ins Dunkle, ins Unergründliche. Das Böse ist jetzt überall. Das idyllische, heitere Thema, mit dem die Mutti anfangs musikalisch skizziert wurde, hört man nie wieder. Die „quengelnde Oboe“ des Kindes verstummt.

Im Goldenen Spinnrad lernen wir eine böse Stiefmutter kennen, die fieser und mörderischer nicht sein kann. Vergessen wir daher alle bösen Stiefmütter aus den Märchenfilmen der Weihnachtszeit. An diese hier, kommt keine heran! Glücklicherweise hat Antonin Dvořák die Schandtaten dieser Frau in einen versöhnlichen Klangteppich eingebaut, der zwar an passender Stelle dramatisch aufblitzt, uns aber wesentliche Details ihres Tuns erspart. Ingo Dorfmüller schreibt im Booklet, dass Dvořák auch das Ende der Dichtung ein wenig freundlicher gestaltet hat, als im Buch vorgesehen. Und so haben wir es letztlich doch mit einem traditionellen Märchen zu tun, bei dem das Gute siegt und königliche Fanfaren und Hörner an das „Märchenhafte“ solcher Geschichten glauben lässt.

Hat man seinen eigenen Musikunterricht beendet und die Handlung verstanden, lohnt es sich, diese wunderschöne Aufnahme mit dem Sinfonieorchester Basel ganz entspannt unter dem Kopfhörer zu genießen. Gerade die Entdeckung und Zuordnung musikalischer Themen zu handelnden Personen ist ein großer Spaß. Und wer, wie ich, nicht ganz so fit ist im Erkennen von Instrumenten, kann hier gewaltig dazulernen.

Die CD Symphonic Poems ist ein nicht ganz preiswertes, aber doch ansprechendes Geschenk für Menschen, denen man mit so einer kleinen silbernen Scheibe wirklich noch eine Freude bereiten kann.

Ralf Krüger, 19. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Prinzess Rosine, Operette von Paul Lincke Theater im Palais Berlin, 7. Juni 2025

Kurt Weill, Tom Sawyer Komische Oper im Schillertheater, 20. Mai 2025

ROCK ME AMADEUS – DAS FALCO MUSICAL Ronacher, Wien, 9. Mai 2025

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