Foto: © Monika Rittershaus
CD-Besprechung: Edition Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko
(Berliner Philharmoniker Recordings)
Beethoven, Tschaikovsky, Schmidt, Stephan
von Peter Sommeregger
Die Berliner Philharmoniker, eines der bedeutendsten und renommiertesten Orchester der Welt, waren seit den Anfängen der Schallplattenindustrie stets von den großen Plattenfirmen umworben. In der Hochblüte der Vinyl-Ära verhalf der Exklusiv-Vertrag Herbert von Karajans mit dem Gelblabel der Deutschen Grammophon-Gesellschaft auch dem Orchester zu einer dominierenden Stellung auf dem Klassikmarkt. Noch unter Karajans Nachfolger Claudio Abbado entstanden zahlreiche Einspielungen, aber die Tonträger-Branche befand sich da bereits in einem deutlichen Abschwung.
So war es eine kluge Entscheidung des Orchesters, noch in der Ära von Sir Simon Rattle ein neues, eigenes Label zu gründen. Das Orchester hat sich damit von den Plattenfirmen unabhängig gemacht und kann völlig autonom entscheiden, welche Mitschnitte von Konzerten es veröffentlichen will. Dies kommt besonders den Vorstellungen des neuen Chefdirigenten Kirill Petrenko entgegen, der für seine Medienscheu bekannt ist. Mussten Petrenko-Verehrer, deren Zahl rasant wächst, bisher befürchten, der Dirigent würde sich dem Tonträger-Markt verweigern, so ist diese brandneue CD/DVD-Box der erhoffte Beweis für das Gegenteil.
In eleganter pastellgrauer Schachtel liegt nun eine Zusammenstellung von Mitschnitten vor, die den Weg Petrenkos an die Spitze des Orchesters anhand von Konzertmitschnitten aus den Jahren 2012 bis 2019 dokumentiert, beinhaltet also auch ein Konzert, das vor der Wahl Petrenkos durch das Orchester stattfand. Ein knapp 50-minütiger Film gibt Aussagen des Dirigenten zu seinem Verhältnis zum Orchester wieder, die frühesten stammen ebenfalls aus der Zeit vor seiner Wahl, so bekommt man ein wenig Einblick in die Annäherung an die heutige Aufgabe.
Klar erkennbar sind in der Auswahl der nun veröffentlichten Konzerte die drei Schwerpunkte, die Petrenkos längerfristige Planung bestimmen. Neben der Pflege des klassischen Kernrepertoires spürt er auch seinen russischen Wurzeln nach, speziell die Werke Tschaikovskys scheinen ihm eine Herzensangelegenheit zu sein. Darüber hinaus hat er sich aber auch der Wieder- und Neuentdeckung von Werken jenseits des gewohnten Repertoires verschrieben.
Tschaikovskys fünfte und sechste Symphonie sind hier in exemplarischen Interpretationen zu erleben. Den Dirigenten dabei auch optisch begleiten zu können, belegt sein Engagement für den Landsmann in berührender Weise. Mit der vierten Symphonie des Österreichers Franz Schmidt, die stilistisch etwas anachronistisch erst 1933 entstand und der Musik für Orchester des früh im ersten Weltkrieg gefallenen Rudi Stephan konfrontiert Petrenko das Orchester und sein Publikum mit nur selten gehörten Werken, die in Dichte und Engagement der Darbietung aber ihre Wirkung nicht verfehlen.
Mit Beethovens Symphonien Nummer 7 und 9 enthält die Box zwei inzwischen historische Konzerte: Die 7. Symphonie erklang im August 2018 nicht nur zur Eröffnung der Saison, in einer zweiten Aufführung wurde sie im gerade fertig gestellten Schlüterhof des Berliner Schlosses gespielt, damit eine alte Vorkriegs-Tradition neu belebend. Die triumphale Realisierung der 9. Symphonie schließlich dokumentiert das umjubelte Antrittskonzert Kirill Petrenkos als neuer, lange erwarteter Chefdirigent des Orchesters.
Der Reiz dieser Veröffentlichung liegt auch in der technisch perfekten Aufbereitung. Auf fünf Audio-CDs konventioneller Art wird nur die Musik wiedergegeben, auf zwei zusätzlichen Blu-ray-Discs sind die HD-Videos der Konzerte aufgezeichnet, zusätzlich dazu eine weitere Audio-Version in hoher Auflösung.
Ein 75-seitiges Begleitbuch enthält neben einer akribischen Dokumentation der Aufnahmen auch noch interessante Wortbeiträge. Diese Veröffentlichung ist nicht nur für Verehrer Petrenkos eine wahre Kostbarkeit!
Peter Sommeregger, 10. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko Philharmonie Berlin, 19. September 2020