Foto: RIAS Kammerchor Berlin © Matthias Heyde
CD-Besprechung: Georg Friedrich Händel, Der Messias
RIAS Kammerchor
Akademie für Alte Musik Berlin
Justin Doyle, Dirigent
von Gabriel Pech
Ich will nicht darüber schreiben, wie gerade alles den Bach hinuntergeht. Ich will nicht darüber schreiben, wie ausgesprochen schlecht die momentane Situation für so viele ist. Wie schlecht es auch den Menschen geht, die diesen Blog beschäftigen: Kulturschaffende auf allen Seiten der Bühne. Denn, dass denen langsam aber sicher die Puste ausgeht, wissen hoffentlich schon alle. Stattdessen möchte ich berichten, wie in die Welt gerade ein Licht hineinscheint: Es gibt einen neuen Messiah!
Zum ersten Mal spielen die Akademie für Alte Musik Berlin und der RIAS Kammerchor Berlin unter der Leitung von Justin Doyle dieses Meisterwerk von Händel gemeinsam ein. Diese Musik ist pures Licht. Mitreißende, strahlende, echte (historische) Instrumente. Glasklare Chorarbeit. Einzigartige Solisten. Gerade jetzt, wenn die Welt wieder ein Stück trauriger wird, kommt diese CD wie gerufen.
Die Einspielung strahlt eine herrliche Intimität aus. Dies liegt vor allem an der leidenschaftlichen Spiel- und Gesangsweise, die die Musizierenden nahbar wirken lässt. Durch die dichte Aufnahmetechnik kommen die einzelnen Nuancen gut zum Vorschein.
Chefdirigent Justin Doyle orientiert sich stark an den historischen Gegebenheiten der Uraufführung in Dublin 1742: Damals stellten nur 50 Personen Chor und Orchester, an der aktuellen Aufnahme waren gerade mal 70 Musizierende beteiligt. Im Vergleich zu üblichen Besetzungen von bis zu 500 Beteiligten ist dies ein sehr kleiner, intimer Rahmen.
So ist es zu einem großen Teil ein Ensemble-Akt. Der Chor und das Orchester atmen synchron und bleiben dabei leicht und beweglich. Es herrscht eine gemeinsame Klangvorstellung, die sich in jeder Einzelstimme realisiert: historische Spielweise ohne Stuck und Staub, energetisch und federleicht. Dadurch greifen alle Instrumente und Stimmen ineinander wie Zahnräder und kreieren einen perfekten Zusammenklang.
Absolute Weltklasse sind auch die GesangssolistInnen. Justin Doyle hatte hier das große Glück, seine eigene Schwester mit ins Boot holen zu dürfen, die aber auch ohne diesen Bonus bestimmt den Part gesungen hätte. Julia Doyle ist welterprobte Messiah-Solistin und tourt mit dieser Partie über alle großen Bühnen.
Ihre Version von „I Know That My Redeemer Liveth“ ist die beste, die ich persönlich bisher gehört habe. Diese weltbekannte Arie erfüllt sie mit einem naiven Glanz von absoluter Reinheit. Ihre Stimme setzt sie absolut perfekt ein und produziert einen klaren Klang, den sie an geeigneten Stellen mit einem leichten Vibrato verziert. Ihre Ornamentik ist von einer solch virtuosen Einfachheit, dass ich an vielen Stellen noch einmal zurückgespult habe.
Countertenor Tim Mead und Tenor Thomas Hobbs ergänzen sich perfekt in ihren benachbarten Stimmfächern. Der Tenor Hobbs macht intensiven Gebrauch von seiner kopfigen Farbe im höheren Register, während Countertenor Mead einen herrlich fundamentalen Klang produziert. Das gute Zusammenspiel zeigt sich vor allem in ihrem Duett „O Death, Where Is Thy Sting“.
Roderick Williams präsentiert einen beweglichen, obertonreichen Bass. Er schwingt sich mühelos durch die langen Koloraturen von „The Trumpet Shall Sound“ und behält durchweg einen verbindlichen Ausdruck. Immer, wenn man sich denkt, jetzt wäre seine Luft zu Ende, hängt er noch einen Schlenker dran oder variiert seine Dynamik. Es ist ein Genuss, einmal einen so unaufdringlichen und gleichzeitig so präsenten Bass zu hören.
Ohne jetzt übermäßig schwulstig werden zu wollen, möchte ich trotzdem eine dringende Kaufempfehlung für diese Aufnahme aussprechen. Machen Sie es wie Goethe und lassen Sie „Mehr Licht!“ in Ihre Herzen scheinen. Ich glaube, dass wir alle das momentan ganz gut gebrauchen können.
Gabriel Pech am 31. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD-Rezension: Brahms Symphoy No.1 & Tragic Overture, Gewandhausorchester, Herbert Blomstedt
Besetzung:
Julia Doyle, Sopran
Tim Mead, Countertenor
Thomas Hobbs, Tenor
Roderick Williams, Bass
RIAS Kammerchor Berlin
Akademie für Alte Musik Berlin
dirigiert von Justin Doyle
Erschienen bei Pentatone im Oktober 2020.