Mixturtrautonium und Stimme: Zwischen Geräusch und Sphäre liegt Genuss

CD-Besprechung: Ins Nichts mit ihm  live Kammerspiele München, 25. April 2025

NEOS/Ins-Nichts-mit-ihm-Cover

CD-Besprechung:

Die Gelegenheit ist günstig: die Musik der CD „Ins Nichts mit ihm“ erklingt live am 25. April 2025 in den Kammerspielen in München.

Aufregende neue Musik kann im besten Fall nirgendwo einsortiert werden. Mein entdeckender Genuss des unerwarteten Hörens ist intensiv.

Ins Nichts mit ihm – Music against Despots for Mixturtrautonium and Voice
Peter Pichler
Mixturtrautonium
Melanie Dreher Sopran

München, 13. April 2025


von Frank Heublein

Das Mixturtrautonium ist ein elektronisches Instrument, das in Deutschland ab den späten 1920ern entwickelt wurde. Der CD Begleittext zeigt, wie physikalisch Tonerzeugung ist. Es heißt darin: „Das Trautonium war ursprünglich ein monophones Instrument und das erste, welches in der Lage war, Klänge zu erzeugen, indem es die hochfrequenten Kipp-Schwingungen zur Frequenzmodulation nutzt (die Basis des Synthesizers, welcher dann von La Cain, Buchla, Moog u.a. entwickelt wurde). […]

Eine Besonderheit des Mixturtrautoniums sind die Frequenzteiler, die es ermöglichen, mit Hilfe der subharmonischen Frequenzreihe aus einem Grundton Akkorde zu erzeugen, die der Naturtonreihe und nicht dem wohltemperierten Spektrum angehören. Diese können in einer Matrix abgespeichert und den einzelnen angespielten Tönen zugeordnet werden.“

Genzmers Kantate für Sopran und elektronische Klänge erklingt zum allerersten Mal in dieser Vollständigkeit. Peter Pichler entdeckte in der Bayerischen Staatsbibliothek eine handschriftliche Notenabschrift Genzmers, die einen Satz mehr enthält als die Plattenaufnahme aus den 1970ern. Textlich werden Texte aus dem Gedichtband Irische Harfe von Hans Trausil verarbeitet. Es sind Totenlieder über den Verlust des Geliebten.

Schon das zweite Stück „Das Schlummerlied“ bestätigt das Geheimnis, dass die physikalische Erklärung der Klangerzeugung keine hinreichende Erklärung für das ist, was ich höre. Warum diese sehr natürliche unprätentiöse Stimme Drehers sich so verschmilzt, verschlingt mit den Klängen des Trautoniums, mal Sphärengleich mal geräuschartig quetschig.

Hindemiths Sopranarie unterlegt das Mixturtrautonium der Stimme einen wallenden grazilen weltfernen Klangteppich.

Der Despot Lukullus wird von einem Tribunal seiner Opfer ins »Nichts« verdammt. Drehers klare direkte Sprechgesangs- oder Singstimme wird dunkel schmerzend emotionalisiert durchs Trautonium.

Diese Version von Purcells „When I am laid to earth­“ lässt mich die mir so bekannte Musik ein wunderbar weiteres Mal zum ersten Mal hören. Am Ende spüre ich geradezu wie Dido ins Grab sinkt und mir ihre mich hinabziehende Hand entgegenstreckt. Dunkel, für den – für mich emotional berechtigen – Schuss aggressiver Vorwurf (gegen Aeneas) ist das Trautonium verantwortlich.

Die sieben Todsünden und sieben Tugenden sind 14 Aphorismen, die zeigen, dass aufregende neue Musik im besten Fall nirgendwo einsortiert werden kann. Ich jedenfalls will es nicht. Mein entdeckender Genuss des unerwarteten Hörens ist intensiv.

Frank Heublein, 13. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm

Harald Genzmer (1909-2007): Kantate für Sopran und elektronische Klänge GeWV 77 (Arr. für Stimme und Mixturtrautonium von Peter Pichler)

Paul Hindemith (1895-1963): Das Unaufhörliche Sopran Arie No. 4
Paul Dessau (1894-1979) Die Verurteilung des Lukullus (Ausschnitte)
Henry Purcell (1659-1695): When I am laid to earth
Peter Pichler (1967): Die sieben Todsünden
Peter Pichler (1967): Die sieben Tugenden

 Besetzung

Peter Pichler Mixturtrautonium
Melanie Dreher Sopran

Information zu und Karten für das CD Release Konzert am 25.04.2025

Interview am Donnerstag 15: Peter Pichler, Trautoniumspieler

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