CD/Blu-ray Besprechung:
Richard Strauss
Arabella
Chor und Orchester der
Deutschen Oper Berlin
Sir Donald Runnicles Dirigent
Tobias Kratzer Regie
NBDO 182V
von Peter Sommeregger
Nun ist also die Produktion von „Arabella“ an der Deutschen Oper Berlin vom März 2023 auch auf Bildträgern erschienen. Der problematische Eindruck, den die Aufführung bei der Premiere hinterließ, verstärkt sich noch bei genauerem Hinsehen.
Tobias Kratzer, längst zum Star-Regisseur hochgejubelt, konnte bisher eigentlich nur mit seinem frechen „Tannhäuser“ in Bayreuth überzeugen. Seither sieht man von ihm nur eher mediokre Arbeiten. Man kann ihn jener Spezies von Regisseuren zuordnen, die sich brutal über Text und Sinngehalt der Werke hinwegsetzen, womit ihnen der Beifall eines eher ahnungslosen Publikums sicher ist.
Im Fall der „Arabella“ hat es Kratzer die Figur der Schwester Arabellas, Zdenka, angetan, die als junger Mann verkleidet für Turbulenzen in der Handlung sorgt. Kratzer setzt den Fokus auf die hinzu erfundene „Diversität“ dieser Figur, das ist ebenso forciert an die Geschichte angeklebt, wie der künstliche Schnurrbart des Mädchens. Für die Blu-ray-Veröffentlichung wählte Kratzer wohl bewusst Fotos von Zdenka und Matteo für Booklet und Cover.
Auch der Clou der Inszenierung, im zweiten und dritten Akt die Zeitebenen zu verändern, wirkt vordergründig spektakulär, bringt aber keinerlei Mehrwert für die Thematik.
Ist der erste Akt noch historisch korrekt bebildert, so herrscht in den darauffolgenden nur optische Tristesse. Ausgiebig setzt Kratzer Videotechnik ein, die in ihrer Sinnentleertheit fast schon komisch wirkt. Im ersten Akt wuseln drei Kamera-Frauen über die Szene und filmen das, was man ohnehin sieht.
Ein kleines, aber irritierendes Detail: wenn Mandryka im ersten Akt erzählt, er hätte für die Reise nach Wien einen Eichwald an einen Juden verkauft, wird aus dem Juden plötzlich ein „Händler“. Demjenigen, der das wohl im Sinne politischer Korrektheit geändert hat, scheint nicht bewusst zu sein, dass das Weglassen des Begriffs die eigentliche Diskriminierung darstellt.
Die Ballszenen des zweiten Aktes benutzt der Regisseur, um so ziemlich alles Relevante an wokem Zeitgeist abzubilden, seien es sich küssende Männer, Koks schnupfende Bedienstete aus Mandrykas Gefolge, die Verwendung von Handys, eine Discokugel. Zu guter Letzt tritt Arabellas Mutter noch als Domina auf, und führt einen der jungen Grafen am Halsband.
Der finale Akt findet komplett vor schwarzem Hintergrund in schäbiger zeitgenössischer Alltagskleidung statt. Die Protagonisten mischen sich mit Choristen und Statisten und betatschen sich wie in einer Hippie-Kommune. Das berühmte Glas Wasser am Ende wird aus einer Plastikflasche befüllt und dient Arabella und Mandryka zu einer albernen Spielerei.
Der Musik verpasst diese Inszenierung eine massive Hypothek. Donald Runnicles Dirigat bleibt ein wenig behäbig, die großen Strauss’schen Melodienbögen wollen sich nicht recht entfalten. Hervorragend aber der weibliche Teil der Besetzung. Sara Jakubiak findet nach Korngolds Heliane und der Francesca da Rimini eine neue Glanzrolle. Bei ihr entfalten sich die Kantilenen und Aufschwünge souverän, auch die Zdenka von Elena Tsallagova überzeugt mit etwas zarterem Sopran. Ein Kabinettstück an Spielfreude und Bühnenpräsenz liefert erneut die unverwüstliche Doris Soffel als Gräfin Waldner ab, eine positive Überraschung ist auch die Fiakermilli von Hye-Young Moon in der eigentlich unsingbaren Partie.
Die Herren schlagen sich ebenfalls wacker, Robert Watson als unglücklich liebender Matteo gerät mit eher lyrischem Tenor an seine Grenzen, liefert aber ein stimmiges Porträt. Russell Brauns Bariton fehlt es ein wenig an der balsamischen Geschmeidigkeit, die man sich in der Rolle des Mandryka wünscht.
Die Produktion ist neben fehlender optischer Ästhetik ein negatives Beispiel für den Trend, der ursprünglichen Handlung ganz andere Thematiken künstlich aufzupfropfen. Einem jungen, unbedarften Publikum mag das gefallen, für ein traditionsbewusstes ist es eine Pein! Vom Geist der von Hofmannsthal so subtil angelegten Komödie ist nichts mehr zu spüren, plump und unsinnlich, wie das Stück hier auf die Bühne gebracht wird.
Peter Sommeregger, 22. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Strauss, Arabella Deutschen Oper Berlin, 18. März 2023 PREMIERE
Richard Strauss, Arabella Teatro Real de Madrid, 24. Januar 2023
Ungeliebte Opern 3: Arabella von Richard Strauss klassik-begeistert.de, 5. Januar 2024
Herzlichen Dank Herr Sommeregger,
diesmal bin ich noch begeisterter von Ihren Ausführungen. Nicht nur kenntnisreich sondern auch mit hohem Intellekt und Gescheitheit entlarven Sie eine fehlgeleitete Pseudo-Kultur – bisher hat noch niemand beantwortet, wo in solchem Dingsbums die Kunst gelandet ist. Und mit diesem Protagonisten als Intendanten will Hamburg also zu neuen Höhen auffahren?
Tim Theo Tinn