Deutsche Oper Berlin: Tobias Kratzers „Arabella“ tanzt durch die Jahrhunderte

Richard Strauss, Arabella  Deutschen Oper Berlin, 18. März 2023 PREMIERE

Arabella, Premiere 18. März 2023 © Thomas Aurin

Richard Strauss    Arabella

Lyrische Komödie in drei Aufzügen
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Uraufführung am 1. Juli 1933 in Dresden
Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 18. März 2023

Graf Waldner    Albert Pesendorfer
Adelaide    Doris Soffel
Arabella    Sara Jakubiak
Zdenka    Elena Tsallagova
Mandryka    Russell Braun
Matteo    Robert Watson
Fiakermilli    Hye-Young Moon

Inszenierung    Tobias Kratzer
Bühne und Kostüme    Rainer Sellmaier

Dirigent    Sir Donald Runnicles

von Peter Sommeregger

Hugo von Hofmannsthals letztes Libretto für Richard Strauss war schon von seinem Schöpfer als eher spröde Komödie angelegt. Schauplatz ist Wien um 1860, also noch die Blütezeit der Donaumonarchie. Die Familie des Grafen Waldner ist verarmt, nur eine reiche Heirat der bildschönen und umschwärmten Tochter Arabella kann die Familie vor dem Ruin retten. Da erscheint als deus ex machina ein schwer reicher Gutsbesitzer aus der Walachei, und nach einer erfolgreich überwundenen Komplikation steht dem Happy-End nichts mehr im Wege.

Dass Tobias Kratzer diese Geschichte nicht einfach so naiv erzählen würde, war klar. Der Regisseur hat sich intensiv mit dem Stoff beschäftigt, er versucht das Frauenschicksal Arabellas historisch zu brechen, indem er während des zweiten Aktes die Zeitebene ändert. Arabella und Mandryka tanzen durch eine Türe in den Ballsaal hinein, nur eine Minute später tanzen sie durch die nächste Türe wieder auf die Szene, gekleidet im Stil der 1920er Jahre. Das ist ein genialer Einfall, etwas später befinden sich die Figuren dann plötzlich im 21. Jahrhundert. Leider gehen dabei Kratzer die Pferde ein wenig durch, ein sich auf dem Boden im Liebesspiel wälzendes Männerpaar und die plötzlich als Domina gewandete Gräfin Waldner, die einen der Verehrer Arabellas an der Hundeleine führt, sprengen den etwas zu weiten Rahmen seiner Erzählung dann doch. Wenig gelungen sind Ausstattung und Kostüme, ist der erste Akt noch gründerzeitlich opulent und quietschbunt ausgestattet, wird später mausgrau und schwarz zur dominanten Farbe.

Arabella, Premiere 18. März 2023 © Thomas Aurin

Ausgiebig setzt Kratzer Videotechnik ein, die in ihrer Sinnentleertheit fast schon komisch wirkt. Im ersten Akt wuseln drei Kamera-Frauen über die Szene und filmen das, was man ohnehin sieht. Wenn der zweite Akt das 21. Jahrhundert erreicht, wird schon mal ein Selfie geschossen. Der dritte Akt schließlich beginnt mit einer geschmacksfreien Bettszene zwischen Matteo und Zdenka, die sich für Arabella ausgibt. Hier versucht Kratzer die Geschichte aufzubrechen und Zdenka/Zdenko und Matteo für divers zu erklären. Das ist ebenso forciert an die Geschichte angeklebt, wie der künstliche Schnurrbart des Mädchens. Das Finale schließlich findet vor schwarzem Bühnenhintergrund freud-und lustlos statt. Kratzer hat viele, teilweise auch gute Ideen, bei der Umsetzung hat er eine weniger glückliche Hand.

Arabella, Premiere 18. März 2023 © Thomas Aurin

Ein kleines, aber irritierendes Detail: wenn Mandryka im ersten Akt erzählt, er hätte für die Reise nach Wien einen Eichwald an einen Juden verkauft, wird aus dem Juden plötzlich ein „Händler“. Demjenigen, der das wohl im Sinne politischer Korrektheit geändert hat, scheint nicht bewusst zu sein, dass das Weglassen des Begriffs die eigentliche Diskriminierung darstellt. Ja, es ist schon ein Kreuz mit der political correctness!

Vom Regiepult her bleischwer belastet, hat es die Musik an diesem Abend nicht leicht. Das Orchester der Deutschen Oper ist immer ein gutes Strauss-Orchester gewesen, das stellt es auch diesmal trotz Donald Runnicles’ behäbigem Dirigat wieder unter Beweis.

Arabella, Premiere 18. März 2023 © Thomas Aurin

Nach zwei Krankheitsfällen während der Probenzeit ist es am Premierenabend Sara Jakubiak, die Arabella singt und an ihren großen Erfolg als Korngolds Heliane anknüpfen kann. Ihr herbes, interessantes Timbre passt vorzüglich zu dem gebrochenen Charakter der Titelheldin. Die Stimme leuchtet, und die üppigen Kantilenen, die Strauss seiner Titelheldin mitgibt, werden wunderbar ausgeführt, so wurde der Notfall zum Glücksfall. Ihre Schwester Zdenka wird von Elena Tsallagova mit sauberem lyrischen Sopran verkörpert, hat aber stellenweise Mühe mit dem verlangten großen Volumen bei den strauss’schen ausladenden Melodienbögen. Doris Soffel ist ebenso unverwüstlich, wie die von ihr verkörperte Adelaide Waldner. Eine erfrischende Überraschung erlebt man mit Hye-Young Moon in der eigentlich unsingbaren Partie der Fiakermilli. Da sitzt jeder exponierte Ton und klingt sogar schön.

Weniger charismatisch erlebt man die männlichen Rollen. Russell Braun, der Mandryka, ließ sich als indisponiert ansagen, stand seine anspruchsvolle Partie dann aber doch mit Anstand und warm timbrierten Bariton durch. Der anfangs glücklose Matteo wurde von Robert Watson recht brav gesungen, tenoraler Glanz fehlt ihm aber leider ebenso wie darstellerisches Talent. Albert Pesendorfer ist ein brummiger Graf Waldner, mehr gibt die Rolle leider auch nicht her. Die drei Arabella umschwärmenden Grafen sind solide aus dem Ensemble besetzt.

Das größte Manko der Produktion liegt in der Optik. Oper steht immer noch für Schönheit und Ästhetik, mausgrau macht nicht glücklich. Auch die Kostüme sind größtenteils misslungen, die bildschöne Sara Jakubiak wird durch unkleidsame Fetzen und unpassende Perücken geradezu entstellt, und am Ende ist die Transformation der Handlung über die Jahrhunderte nur eine intellektuelle Spielerei ohne wesentlichen Erkenntnisgewinn.

Am Ende starker Applaus, Runnicles und Kratzer müssen einige Buh-Rufe einstecken, aber insgesamt überwiegt die Zustimmung.

Peter Sommeregger, 19. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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