CD/Blu-ray-Rezension:
Die Edition reiht sich würdig in die hohe Qualität der bisherigen Veröffentlichungen des Eigenlabels ein. Man kann dem Orchester zu dem Entschluss, sich von den traditionellen Tonträger-Produzenten unabhängig zu machen, nur gratulieren. Man ist gespannt, welche Schätze als nächstes in dieser Form veröffentlicht werden.
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko
Dmitri Shostakovich
Symphonies 8 9 10
BPHR 220421
von Peter Sommeregger
Die neueste Veröffentlichung des Eigenlabels der Berliner Philharmoniker dokumentieren die Aufführungen von drei Symphonien Dmitri Shostakovichs in den Jahren 2020 bis 2021. Geprägt waren diese von den verschiedenen Stadien der Covid 19 Pandemie. Konnte die 8. Symphonie nur im leeren Saal ohne Publikum gespielt werden, die 9. nach der Lockerung der Hygiene-Regeln vor halb leerem Saal, so konnte die 10. Symphonie im Jahr 2021 wieder vor ausverkauftem Haus aufgeführt werden.
Kirill Petrenko spricht seine besondere Beziehung zu diesen Symphonien in einem sehr persönlich gehaltenen Gespräch an, das als Video der gewohnt luxuriösen Ausstattung der Box als Bonus beigegeben ist. Die Tonaufnahmen sind als High-Resolution audio CDs enthalten, Videos der Konzerte und das Interview mit Petrenko findet man in hervorragender Blu-ray-Qualität auf einer weiteren Scheibe. Das Cover-Bild, das eine Vielzahl von Schließfächern zeigt, symbolisiert sowohl die Isolation des Komponisten zur Entstehungszeit der Symphonien, als auch die Einschränkungen des Musikbetriebes während der Pandemie. Das gewohnt reichhaltige Booklet mit immerhin 80 Seiten enthält eine Einführung Kirill Petrenkos, genaue Daten der Entstehung der Kompositionen, Werkanalysen unter Berücksichtigung des historischen Kontextes, sowie als Kontrast zum strengen Cover, Farbfotos von Blumen im Moskauer Gorki-Park.
Tatsächlich musste Shostakovich unter erheblichem politischen Druck während der Stalin-Ära die wahre Programmatik seiner Kompositionen verschleiern. Offiziell schildert er in der 8. Symphonie die Greuel des Krieges, in Wahrheit ging es ihm aber um die Leiden, die seinem sensiblen Künstlertum durch die Gängelung der Politik zugefügt wurden, inklusive der Angst vor der Willkür des Regimes.
Bei der 9. Symphonie, die unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkrieges entstand, erwartete die Partei vom Komponisten eine Huldigung an das siegreiche Vaterland in möglichst pathetischer Form. Die nicht einmal halbstündige Komposition ist aber das genaue Gegenteil davon. In ironischer Form orientiert sich Shostakovich hier mehr an dem Stil der Symphonien von Haydn und Mozart, fern von jeder Monumentalität. Ein gewisser Zynismus, eine beißende Ironie schimmert an mehreren Stellen durch. Naturgemäß stieß das Werk auf Kritik, nur knapp konnte der Komponist es durch die strenge Zensur schleusen. Danach verstummte der Komponist Shostakovich für einige Jahre.
Von ganz anderem Charakter ist die zehnte Symphonie, die in großem zeitlichen Abstand zur 9. im Jahr 1953 entstand, und als unmittelbare Reaktion auf den Tod Stalins zu werten ist. Deutlich sind die Anspielungen auf den Diktator, am Ende keimt dann so etwas wie Optimismus und die Erleichterung über das Ende seiner Schreckensherrschaft auf. Das Tauwetter nach Stalins Tod hielt aber nicht lange an, und Shostakovich sah sich bald wieder der Gängelung durch die Politik ausgesetzt. Die 10. Symphonie ist übrigens die Einzige, die Herbert von Karajan mit den Berliner Philharmonikern aufführte, und damit in Moskau in Anwesenheit des Komponisten gastierte, was für diesen zu einem der größten Triumphe seiner Laufbahn wurde.
Die Aufführungen unter Petrenkos Leitung sind atmosphärisch mit von der verunsicherten Situation während der Pandemie gekennzeichnet, in der der Kulturbetrieb beinahe zum Erliegen kam. Petrenko spricht in dem Interview von den Parallelen die er in den Einschränkungen während der Entstehungszeit und jenen in der Zeit der Pandemie sieht. Die Aufführungen sind auch von besonderem Ernst gekennzeichnet, und über das gewohnte Maß hinausgehende Konzentration und Dichte des Klanges. Der gespenstisch leere Saal bei der 8., die Schachbrett-Sitzordnung mit Maske bei der 9. und schließlich die Rückkehr zur gewohnten Normalität bei der 10. Symphonie sind auch Dokumente einer ganz besonderen Zeit, die damit für spätere Zeiten nachvollziehbar bleiben wird.
Die Edition reiht sich würdig in die hohe Qualität der bisherigen Veröffentlichungen des Eigenlabels ein. Man kann dem Orchester zu dem Entschluss, sich von den traditionellen Tonträger-Produzenten unabhängig zu machen, nur gratulieren. Man ist gespannt, welche Schätze als nächstes in dieser Form veröffentlicht werden.
Peter Sommeregger, 21. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at