Eine Hörbiografie: Die Welt zum Weinen bringen

CD/Hörbiographie: Puccini Eine Hörbiographie von Jörg Handstein  klassik-begeistert.de, 5. Dezember 2025

CD/Hörbiographie:

Neues vom Maestro aus Lucca – Giacomo Puccini in einer neuen Hörbiografie

Puccini
Eine Hörbiographie von Jörg Handstein
gelesen von Udo Wachtveitl

BR-Klassik Wissen, 900939

von Dirk Schauß

Die Hörbiografien von BR-KLASSIK WISSEN sind längst ein eigenes Genre. Sie funktionieren wie präzise gebaute Gesamtkunstwerke: faktenreich, dramaturgisch klar gegliedert und mit einem Instinkt für das, was ein Leben nicht nur erklärt, sondern erlebbar macht. Die fünfzehnte Ausgabe über Giacomo Puccini führt diese Linie konsequent weiter und beweist, dass das Format an Reife eher gewonnen hat als Routine angesetzt hat. Sie erzählt nicht einfach das Leben eines Komponisten. Sie zeigt einen Menschen, der ständig zwischen Kontrolle und Chaos pendelte, zwischen eiserner Disziplin und hemmungsloser Impulsivität, zwischen Kunst und Gier. Und sie macht das mit einer Klarheit, die lange nachwirkt.

Udo Wachtveitl führt wie gewohnt mit ruhiger Hand durch die neun Kapitel. Sein Erzählton ist zurückhaltend, klar und genau. Er erklärt nicht zu viel, er ordnet. Das gibt dem Material Struktur. Seine Sprache ist sauber getaktet, der Rhythmus stimmt, die Übergänge zwischen Fakten, Anekdoten und Musik sitzen. Was seine Leistung besonders stark macht: Er stellt sich nie in den Vordergrund. Die Biografie gehört Puccini. Wachtveitl baut den Raum, in dem der Komponist sprechen kann.

Und das tut er durch Max Simonischek, der als Puccini eine erstaunliche Bandbreite zeigt. Simonischek spielt keinen Erfinder großer Melodien, sondern einen Menschen, der ständig unter Strom steht. Seine Stimme hat die nötige Direktheit für den jungen Puccini und die nötige Schwere für den älteren. Er trifft die Mischung aus Charme, Maßlosigkeit, Verletzlichkeit und Geltungsdrang. Man hört den Lebemann, den Jäger, den Egomanen, aber auch den Arbeiter, der über Löschblättern brütete, Librettisten zermürbte und jahrelang um die perfekte Szene rang. Simonischeks Darstellung macht die Hörbiografie emotional greifbar. Sie ist weder verklärt noch distanziert.

Die Musikbeispiele sind das Fundament der Produktion. Mehr als 150 Ausschnitte zeigen nicht nur Puccinis Entwicklung, sondern tragen die Dramaturgie. Die Auswahl ist klug getroffen. Arien, Ensembles, instrumentale Übergänge, seltene Fundstücke, Archivjuwelen: alles hat seinen Platz. Die Hörbiografie nutzt diese Beispiele nicht als Pausenfüller, sondern als Argumente. Man hört, wie Puccini arbeitet, wie sich sein Klang verdichtet, wie er Stimmen führt, wie er dramatische Linien zieht. Die Kompositionen legen offen, warum seine Opern so treffsicher wirken. Sie zeigen, dass die Emotion bei Puccini nicht Zufall ist, sondern Konstruktion. Das Hörbuch demonstriert diesen Prozess hörbar, und das gibt dem Ganzen eine enorme Perspektive.

Besonders gelungen ist die Art, wie Jörg Handstein Leben und Werk miteinander verknüpft. Er erzählt nicht einfach chronologisch, sondern arbeitet mit Parallelen. Puccinis eigene Biografie spiegelt sich in seinen Stoffen, und die Hörbiografie nutzt diesen Spiegel, ohne ins Psychologisieren abzurutschen. Affären, Eifersucht, Abstürze, Suche nach Anerkennung, Jagd nach Genuss, Flucht aus Verantwortung: alles taucht als biografisches Material auf, wird aber nie ausgeschlachtet. Stattdessen entsteht das Bild eines Mannes, der ständig an Grenzen stößt und sie doch wieder verschiebt. Die andere Kritik hat recht: Puccini wächst einem nicht unbedingt ans Herz. Aber genau diese Distanz macht die Darstellung glaubwürdig. Der Komponist bleibt ambivalent, und die Hörbiografie hat den Mut, diese Ambivalenz stehenzulassen.

Die geografische Dimension der Erzählung ist ein unterschätzter Gewinn. Die Biografie wird zu einer Reise durch Italien und darüber hinaus: von Lucca über Mailand und Monza nach Torre del Lago, weiter in die Opernhäuser Europas und in die Weltmetropolen des frühen 20. Jahrhunderts. Wachtveitl und Simonischek werden zu Reisebegleitern, die nicht nur die Stationen ansteuern, sondern deren Bedeutung verdeutlichen. Man hört die Dörfer, Städte, Theater und Seen im Hintergrund mit, ohne dass die Produktion sie überinszeniert.

Bernhard Neuhoff führt Regie mit einem Gefühl für Balance. Nichts wirkt überladen. Die Mischung ist klar, die Übergänge sitzen. Die Stimmen sind präzise geführt, die Musik nie zu laut, nie zu zart, immer funktional platziert. Die zusätzlichen Sprecher sorgen für lebendige Momente, ohne dass das Hörbuch in Hörspielnähe rutscht. Die Produktion bleibt Biografie, aber eine, die mit scharfen Konturen arbeitet.

Die Bonus-CD „Best of Puccini“ ist eine sinnvolle Ergänzung. Sie zeigt das Spektrum seiner Kunst auf komprimiertem Raum: lyrische Bögen, dramatische Ausbrüche, orchestrale Farben. Man hört die Stimmen, die seine Opern geprägt haben. Die Auswahl ist stark, auch wenn einzelne Arieninterpretationen nicht jeden Geschmack treffen dürften. Das Format funktioniert: Wer die Hörbiografie beendet hat, bekommt hier den musikalischen Nachhall.

Thematisch bleibt die Hörbiografie eng an den entscheidenden Punkten. Der Übergang vom Belcanto zum Verismo wird klar eingeordnet, ohne zur Vorlesung zu werden. Puccinis Jagdleidenschaft, sein exzessiver Umgang mit Geld, seine Affären, die tragischen Folgen seines Verhaltens für andere: alles wird genannt, aber mit Maß. Die Produktion nutzt das Material, um den Menschen Puccini zu erklären, nicht um ihn zu vernichten oder zu feiern. Die Spannung entsteht aus seiner Widersprüchlichkeit: ein Mann, der in der Musik die feinsten Gefühle präzise traf, im Leben aber oft blind für die Wirkung seiner Taten blieb. Ein Genie, das Klarheit suchte und privat im Chaos badete.

Das macht die Hörbiografie stark: Sie zeigt Puccini nicht als Mythos, sondern als Mensch. Sie zeigt, wie viel Kunst aus Härte entsteht. Sie zeigt, wie Arbeit und Instinkt zusammenwirken. Sie zeigt, wie aus einem rastlosen jungen Mann ein Komponist wurde, der wusste, wie man Menschen trifft. Sie zeigt, dass Talent nie ausreichte, sondern Struktur, Disziplin und Beharrlichkeit notwendig waren. Und sie zeigt, wie schwierig dieser Mann im Alltag gewesen sein muss, ohne je die Musik aus den Augen zu verlieren.

Am Ende bleibt eine Produktion, die den Anspruch erfüllt, den diese Reihe seit Jahren setzt: klar erzählt, sachlich fundiert, musikalisch reich und dramaturgisch sauber gebaut. Sie bietet keine gefällige Heldenlegende, sondern ein facettenreiches Porträt. Genau das macht sie wertvoll.

Für Puccini-Kenner ist sie ein Gewinn. Für Neulinge ein Einstieg. Für Opernmenschen ein Geschenk.

Dirk Schauß, 5. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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