CD-Rezension:
Die neue CD „Brahms, Duets and Romances“
Felicitas und Judith Erb, beide Sopran,
Magnus Dietrich, Tenor
Doriana Tchakarova, Klavier.
Erschienen bei Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, April 2022.
von Dr. Lorenz Kerscher
Die wohlhabenden Bürger des 19. Jahrhunderts sparten nicht an der Bildung ihrer Töchter. Das Ziel war jedoch nicht die finanzielle Unabhängigkeit durch Ausübung eines soliden Berufs, für den man die jungen Frauen von heute qualifizieren möchte. Arbeit war damals etwas für Dienstboten und Mägde, also wollte man den Töchtern den Weg in ein angenehmeres Leben an der Seite eines wohlhabenden Mannes ebnen. Diesen sollte die Frau in jeder Hinsicht zufriedenstellen und dabei nicht nur Geliebte und treusorgende Mutter, sondern auch geistvolle Gesprächspartnerin und charmante Gastgeberin sein. Und da es in dieser Zeit kein Radio gab, was es ideal, wenn sie darüber hinaus noch imstande war, das Haus mit schönen Klängen zu füllen.
Also standen auf dem Heiratsmarkt des Bürgertums die „klavierspielenden Töchter“ besonders hoch im Kurs und der absolute Luxus war, wenn sie dazu auch noch schön singen konnten. Sich mit Schumanns „Frauenliebe und -Leben“ den Gästen als ideale Gattin in spe zu präsentieren, war damals gewiss etliche Stunden intensiven Übens wert! Liedkompositionen, die auf das Amateurniveau der Bürgermädchen ausgerichtet waren, waren in dieser Zeit besonders beliebt und für aufstrebende Komponisten eine gute Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Und auch für den besonders glücklichen Fall, dass es in einer Familie gleich zwei singende Töchter gab, sorgte der Einfallsreichtum der Tonschöpfer für reichliches Notenmaterial.
„Wir Schwestern zwei, wir schönen…“ Johannes Brahms. Felicitas & Judith Erb, Doriana Tchakarova, live im Konzert.
Auch heute gibt es wunderschön singende Schwesternpaare und Felicitas und Judith Erb haben das schon in der Vergangenheit durch regelmäßige Konzerttätigkeit und zwei CD-Einspielungen nachgewiesen. Das waren zunächst Lieder und Duette von Louis Spohr (2012) und dann Duette von Felix Mendelssohn-Bartholdy und seiner Schwester Fanny Hensel (2016). Eine Rezension dieser sehr ansprechenden Alben habe ich schon vor einigen Jahren publiziert. Beide Male war Doriana Tchakarova, die schon seit ca. 20 Jahren mit Judith Erb zusammenarbeitet, die stilsichere, einfühlsame und ausdrucksstarke Pianistin. Nun hat sich dieses Trio Johannes Brahms zugewandt und als männlichen Duettpartner noch den jungen Tenor Magnus Dietrich hinzugenommen. Vom Aufbau her werden fünf Zyklen bzw. Ausschnitte daraus von jeweils einem Einzelstück gefolgt, so dass man am Ende ein breites Spektrum reizvoller Werke erleben kann. Denn Brahms war, auch wenn die Zielgruppe dieser Tonschöpfungen eher im Bereich des Laienmusizierens lag, immer auf künstlerische Qualität bedacht.
Die CD beginnt mit den vier Duetten op. 61 und erlaubt den Sängerinnen, gleich am Anfang ihre Titelmelodie zu präsentieren: das Lied von den schönen Schwestern, die sich einander in allem gleichen und in wunderbarer Harmonie leben, bis sich beide in denselben Mann verlieben. In zarten Tönen sind dann die Stimmungen der darauffolgenden Stücke gemalt: Trauer, Lebensmut und Idylle werden in schönem Zusammenklang der beiden von Kindheit an aufeinander eingestimmten Soprane zum Ausdruck gebracht. Das feine helle Timbre von Felicitas Erb und die abgerundete Wärme von Judith Erb, die den tieferen Part übernimmt, können in Dialogen einen reizvollen Kontrast bilden, im Zweigesang aber auch bestens miteinander verschmelzen. Artikulation und Phrasierung stimmen vollkommen überein und lassen die gemeinsame Wellenlänge der Schwestern in allen Details deutlich werden.
Die Romanzen und Lieder op. 84 sind Dialoge, bei denen sich anbietet, die Rollen von Mutter und Tochter zu verteilen oder den männlichen Part dem edlen Tenor von Magnus Dietrich anzuvertrauen. In zarten Klängen werden dann, wieder von den Frauenstimmen, die fünf Duette op. 66 und der Dialog der getrennten Königskinder dargeboten, doch anschließend führt die Ballade vom verzweifelten Vatermörder Edward zu einer dramatischen Zuspitzung, die Magnus Dietrich sehr überzeugend gelingt. Auch weitere Stücke aus op. 75 sind auf Steigerungen angelegt, die sich aus dem Bekanntwerden ungeheuerlicher Dinge entwickeln. Nach diesen expressiven Episoden beschließen dann die drei Duette op. 20 und der Dialog „Soll sich der Mond nicht heller scheinen“ das Album wieder mit leisen Klängen von zarter Sehnsucht und unerfüllter Liebe.
Die bürgerlichen Salons des 19. Jahrhunderts, in denen diese Art von Musik gepflegt wurde, waren wohl eher nicht die Orte, an denen starke Leidenschaften loderten. So ist es durchaus stilgerecht, wenn die Aufnahmen dieser CD auf großes Pathos verzichten und umso aufmerksamer feine Details herausstellen. Hierbei bewährt sich auch die Pianistin Doriana Tchakarova, die an der Stuttgarter Musikhochschule als Dozentin für Liedgestaltung tätig ist und auch schon viele Nachwuchstalente auf einen erfolgreichen Karrierestart vorbereitet hat. Sie hat viel Erfahrung und ein herausragendes Gespür für die stilistischen Erfordernisse und trägt damit ganz wesentlich zum Gelingen dieses Albums bei.
So kann der Hörer viel Freude an einem wenig aufgeführten Segment aus dem Schaffen von Johannes Brahms haben und der Hobbymusiker kann einiges entdecken, was auch im Rahmen der Hausmusik realisiert werden kann. Die hochwertigen Einspielungen dieses Albums sollten dazu nicht den Mut nehmen, sondern können Ansporn für die Wiederbelebung einer schönen musikalischen Tradition im privaten Bereich sein.
Dr. Lorenz Kerscher, 29. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weiterführende Info
Liederabend: Maria Bengtsson, Sarah Tysman Klavier Komische Oper Berlin, 22.Mai 2022