Endlich gibt es eine Szymanowski-CD von Krystian Zimerman

CD-Rezension: Krystian Zimerman  Karol Szymanowski: Piano Works  klassik-begeistert.de, 25. August 2023

Ein hinreißend dargebotener Streifzug durch das Klavierschaffen des polnischen Komponisten Karol Szymanowski

Krystian Zimerman
Karol Szymanowski: Piano Works

Deutsche Grammophon, DG 486 3007

von Brian Cooper, Bonn

Krystian Zimerman ist einer der seriösesten Musiker, die man sich vorstellen kann. Von außen betrachtet mag es ziemlich spleenig wirken, zu allen Konzerten mit eigenem Flügel anzureisen. (Im Klavierdepot der Kölner Philharmonie beispielsweise stehen mehr als eine Handvoll Flügel zur Auswahl bereit.) Und sein Instrument kann er auseinanderbauen und wieder zusammensetzen wie andere ihren VW Käfer. Oder ihren Minibus mit Schweizer Kennzeichen, wie ich ihn in der vorletzten Saison an der Wuppertaler Stadthalle geparkt sah. Wer weiß, wahrscheinlich kann Herr Zimerman auch an Autos schrauben.

Vor 19 Jahren streifte ich nachts mit einer Freundin und einem Tonhalle-Menschen durch Zürich, der die Aufgabe hatte, Herrn Zimerman irgendwann später, es dürfte ein oder zwei Uhr geworden sein, den Saal aufzuschließen. Auch große Pianisten stehen im Stau. Damals war von einem Anhänger die Rede, wenn ich mich recht entsinne; er reist jedenfalls schon sehr lange mit dem eigenen Instrument durch die Welt und gibt vermutlich auch deswegen nur relativ wenige Konzerte pro Saison.

Doch Krystian Zimerman muss sich vor niemandem rechtfertigen. Er macht sein Ding. Und das wie kaum ein Anderer. Akribisch ohne Ende. Und wir, das Publikum, können dankbar sein und uns bitte im Saal benehmen, wenn er zaubert wie vor zweieinhalb Monaten beim Klavier-Festival Ruhr.

Dort, bei seinem jüngsten Auftritt in Duisburg, spielte er eine hinreißende Auswahl von Klavierwerken seines Landsmanns Karol Szymanowski (1882-1937). „Mehr Szymanowski wagen“, war die Überschrift meiner Rezension, denn ich finde diese Musik sehr kostbar, und sie wird für meine Begriffe viel zu selten live gespielt. Piotr Anderszewski wird immerhin Ende September in Köln eine Auswahl aus den 20 Mazurken op. 50 spielen.

Klavierfestival Ruhr 2023, Konzert Krystian Zimerman Mercatorhalle Duisburg, 3. Juni 2023

 

Nun haben wir also eine neue Solo-CD des polnischen Großmeisters, und allein das ist schon eine Meldung wert, denn die letzte ist fünf Jahre her. Es ist obendrein eine reine Szymanowski-Platte. Bemerkenswert ist, dass die Masques op. 34 bereits 1994 eingespielt wurden, und zwar im Kopenhagener Tivoli. Dies bestätigt einmal mehr die kompromisslose Einstellung des Künstlers zu seiner Kunst: Zimerman gibt nichts frei, was er nicht für gut genug erachtet. Was mag da noch in den Archiven schlummern…

Die Aufnahme der ebenfalls auf dieser CD zu hörenden Auswahl aus den Préludes op. 1 sowie den Mazurken op. 50 ist, ebenso wie die Variationen über ein polnisches Volkslied op. 10, jüngeren Datums. Diese Werke wurden im Juni 2022 in der Fukuyama Hall of Art and Culture eingespielt, für deren Akustik Yasuhisa Toyota verantwortlich zeichnet, wie übrigens auch für jene der Elbphilharmonie.

Früh- und Spätwerk Szymanowskis sind also ausgewogen vertreten. In meinem Duisburger Bericht vom Klavier-Festival Ruhr hatte ich vom „Erleben einer sich völlig verändernden Tonsprache“ gesprochen: „Sind wir in den ersten Werken des Teenagers noch fest in Chopin’schen Gefilden (die Miniaturen klingen mitunter wie in einem Salon improvisiert), so hören wir ein Vierteljahrhundert später bereits Skrjabin und Janáček heraus.“

So ist es natürlich auch in dieser Einspielung, wobei die Opuszahlen im Ablauf der CD nicht streng chronologisch sind: Das op. 10 in h-Moll, ein herrliches Werk voller Melancholie und mit einem tollen Fugenfinale, vollendet die CD. Und Zimerman vollendet seinerseits vermeintlich schlichte Passagen wie das Thema und die erste Variation mit geradezu gesanglichem Klavierklang. Auch in den virtuoseren Variationen stellt er sich ganz in den Dienst dieser allzu unbekannten Musik, die hoffentlich mit Erscheinen dieses Albums noch mehr gehört werden wird. Das Crescendo in der achten Variation, einem Trauermarsch, erinnert mich stark an Zimermans Interpretation des Trauermarschs der b-Moll-Sonate von Chopin.

Tatsächlich werden Chopin und Skrjabin auch in Jessica Duchens lesenswertem Booklet-Text erwähnt. „Für dieses Album hat Zimerman Werke ausgewählt, die seiner Meinung nach Szymanowskis Wesen am besten einfangen“, schreibt sie. Im Original: „the essence of Szymanowski“. Es ist eine kluge Zusammenstellung, die einen guten Eindruck der gesamten Essenz der Klavierwerke des Polen bietet. Die Stücke sind wahre Kleinode und künden von einer Vielfalt kompositorischer Ideen, die sein Gesamtwerk für Klavier so spannend machen. Gerade die Mazurken sind doch so ganz anders als jene von Chopin: Es ist eine Fortführung, die in die Zukunft schaut und neue Möglichkeiten der Tonalität erkundet.

Die Klangqualität ist herausragend, und der Flügel klingt fabelhaft. Beim ersten Hören kam mir die Aufnahme der Masques von 1994 ein wenig dumpfer vor als die merklich transparenter klingenden anderen Werke, die im vergangenen Jahr in Japan aufgenommen wurden. Beim zweiten Hören war das Empfinden bereits ein anderes. Und insbesondere in der dritten der Masques fühlte ich mich in den besonders klangwuchtigen Stellen an Skrjabins Vers la flamme erinnert.

Einmal mehr setzt sich der Pianist also für Musik seiner Landsleute ein. Dieses Szymanowski-Album ist eine Bereicherung für all jene, die herausragend gespielte Klaviermusik abseits des gängigen Repertoires schätzen und auf Neues neugierig bleiben. Außergewöhnlich!

Brian Cooper, 25. August 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Krystian Zimerman, Johannes Brahms, Elbphilharmonie Hamburg, 1. Mai 2019

Krystian Zimerman, Sir Simon Rattle, Berliner Philharmoniker Philharmonie Berlin

Krystian Zimerman, Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Gustavo Gimeno, Kölner Philharmonie

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