Das Orchestre Philharmonique du Luxembourg lehrt in Köln das Fürchten

Krystian Zimerman, Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Gustavo Gimeno,  Kölner Philharmonie

Foto © Kasskara
Kölner Philharmonie,
26. November 2017
Krystian Zimerman
Klavier
Orchestre Philharmonique du Luxembourg
Gustavo Gimeno
Dirigent
Leonard Bernstein The Age of Anxiety – Symphony No. 2 (1949, 1965) für Klavier und Orchester nach dem Gedicht von W. H. Auden
Sergej Prokofjew Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 100 (1944)
Zugabe Anatolij Ljadov – Der verzauberte See op. 62 (1909) – Legende für Orchester

Von Daniel Janz

Wer nicht gerade in Berlin, Wien, Paris oder London wohnt, erlebt nicht täglich den Hochgenuss, einem Nationalorchester lauschen zu dürfen. Bereits unter diesem Gesichtspunkt ist der Besuch des Orchestre Philharmonique du Luxembourg in Köln etwas Besonderes. Im Gepäck hatte das großherzogliche Ensemble zwei Stücke, die von den Schrecken des Zweiten Weltkrieges berichten. Unter Leitung des spanischen Dirigenten Gustavo Gimeno und einem famos aufspielenden Krystian Zimerman boten die Philharmoniker einen Abend, der sich wie ein Feuer in das Gedächtnis eines jeden Zuhörers gebrannt haben dürfte.

Zwei grundverschiedene Werke sind es, die das Hauptprogramm in der Kölner Philharmonie ausmachen. Einmal die 2. Symphonie von Leonard Bernstein mit dem Titel „The Age of Anxiety“ – das Zeitalter der Angst – und die 5. Symphonie des russischen Komponisten Sergei Prokofjew. Das Orchester spielt auf internationalem Niveau, unterstützt durch einen polnischen Weltklassepianisten. Die Werke selber stehen, trotz ähnlichem Inhalt, im krassen Gegensatz zueinander.

Bei der Einordnung von Bernsteins „Zeitalter der Angst“ fallen häufiger die Begriffe „Klavierkonzert“ oder „Tondichtung“ als „Symphonie“. Tatsächlich besitzt das 1948 komponierte Werk, das an ein Gedicht des britisch-amerikanischen Schriftstellers W.H. Auden angelehnt ist, einen höchst komplexen Aufbau. So berichtet der erste Satz von „sieben Zeitaltern“ sowie „sieben Stufen“, die jeweils in 14 Variationen dargestellt werden. Im Kontrast dazu steht der zweite Satz, der aus einem Klagelied, einem Maskenball und einem Epilog zusammengestellt ist.

Krystian Zimerman, 1956 in Zabrze geboren, hat an diesem Abend die Schlüsselposition im Werk Bernsteins inne. Was der 61 Jahre alte Klaviervirtuose zu oftmals konfus wirkenden Orchesterklängen mit seinem Klavier zaubert, ist das Gegenteil von trockener Routine. Hier offenbart er seine langjährige Erfahrung. Bereits in den 1980er-Jahren führte er „das Zeitalter der Angst“ gemeinsam mit dem jüdischen Komponisten auf.

Dem Werk selber fehlen weitestgehend wiederkehrende Elemente wie Leitthemen oder klare Strukturen. Der Ausdruck der Komposition beschränkt sich – getreu der Gedichtvorlage – auf die Vertonung von Kriegsberichten. Dadurch neigt das Werk, unterstützt durch das reichhaltige Orchester-Kolorit mit Celesta, Glockenspiel, Xylophon, Trommeln und Tamtams, zur Reizüberflutung. Obwohl Zimerman und das Orchester in technischer Vollkommenheit spielen, fällt es schwer, ihnen durch dieses Werk zu folgen.

Überzeugen kann der Ausnahmepianist besonders im zweiten Satz. Hier taucht er in die Musik ein, verzaubert mit seinem Klavier. Während er sich seinen Kollegen nach lauten Orchesteraufschreien mit ganzem Körper musikalisch entgegenwirft, haucht er in ruhigen Momenten mit seinem Instrument. Ob Klagelied oder eine virtuos rhythmisierte Jazz-Szene während des Maskenballs – durch seine Intonation und sein Feingefühl fängt Zimerman die Stimmungen ein und liefert sie einem Publikum, das stellenweise überfordert wirkt.

Den Epilog leitet der Pole selber mit zarten Tönen ein. Ein letztes Mal schafft er es, durch seine Präzision zu beeindrucken. Er ebnet dem Orchester damit den Weg, in einem unbeschreiblichen Aufbäumen die Spannung noch einmal ins Unermessliche zu steigern. Glockengetön und mächtige Tamtamschläge besiegeln eine insgesamt herausragende Leistung von Solist und Orchester.

Die zweite Hälfte des Abends ist der 5. Sinfonie des russischen Komponisten Sergei Prokofjew gewidmet. Diese noch während des Zweiten Weltkriegs komponierte „Hymne an freie und glückliche Menschen“ kann direkt durch zwei klare Themen bestechen, die sich immer wieder gegen mächtige Bass- und Schlagzeugeinwürfe hervorkämpfen müssen. Der erste Satz gipfelt in einem durch Pauken, Trommeln und Tamtam bestimmten gewaltigen Spannungssaufbau, in dem das luxemburgische Nationalorchester in einer Mischung aus Schrecken und Ekstase seine Extraklasse beweist.

Auch der zweite Satz wird vom Schlagzeug, das an diesem Abend die beste Orchestergruppe darstellt, bestimmt. Der 41 Jahre alte Dirigent Gustavo Gimeno, selber ebenfalls Schlagzeuger, versteht es, wirkungsvolle und klare Akzente zu setzen. Teilweise hebt er sein Dirigat sogar komplett auf, um durch gezielte Einsätze noch mehr Wucht zu vermitteln. Lyrisch vorgetragene Melodien von Streichern und Piano kontrastiert er durch Trommelsoli und einen plötzlichen Schluss.

Im langsamen dritten Satz dominieren wieder Streicher und schwer liegende Bässe die Komposition. Ein klagender Gesang steigert sich bis zu einem Schreckensaufschrei, der erst nach der Generalpause zum vierten Satz gelöst wird. Ein Rezitat aus dem ersten Satz leitet über hervorragend gespielte Soli von Flöte und Klarinette zum Thema des Satzes über, das sich zu militaristischen Hornrhythmen durch alle Orchestergruppen schlängelt. Durch einen abschließenden Beckenschlag findet dieses furios vorangetriebene Marschieren ein Ende.

Angesichts dieser grandios vorgetragenen Werke verwundert es schon sehr, dass ein Großteil des Publikums nach Ende des Konzerts hastig zu den Ausgängen eilt. Gimeno lässt sich dadurch jedoch nicht beirren. Stattdessen spendiert er denjenigen, die genug Geduld bewiesen haben, den „verzauberten See“ des in Deutschland gänzlich unbekannten russischen Komponisten Anatolij Ljadov als Zugabe.

In dieser minimalistisch auskomponierten Tondichtung malen die Streicher mit ihrem Flimmern das Bild eines ruhenden Gewässers. Zu diesem Stillleben gesellen sich Soli von Celesta, Harfe und Holzbläsern. Nach dem puren Schrecken der ersten beiden Werke bietet das Orchester zum Abschluss einen Moment der Erholung, den das Publikum begeistert feiert.

Daniel Janz, 3. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.de

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