Das Artemis Quartett verwöhnt mit Innigkeit und Sensibilität in Wien

Artemis Quartett,  Wiener Konzerthaus

Foto © Nikolaj Lund
Artemis Quartett
Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal, 4. Dezember 2017
Vineta Sareika, Violine
Anthea Kreston, Violine
Gregor Sigl, Viola
Eckart Runge, Violoncello
Felix Mendelssohn Bartholdy Streichquartett D-Dur op. 44/1 (1838)
Dmitri Schostakowitsch Streichquartett Nr. 7 fis-moll op. 108 (1959 – 1960)
Robert Schumann Streichquartett a-moll op. 41/1 (1842)

von Bianca Schumann

Was das Artemis Quartett dem Wiener Publikum am Montagabend im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses darbot, war höchst romantisch. Ein Wechselbad der Gefühle – im positiven Sinne wohlgemerkt. Die Mannigfaltigkeit an Seelenzuständen, die Felix Mendelssohn Bartholdy, Dmitri Schostakowitsch und Robert Schumann in ihre Streichquartette hineinkomponierten, spiegelte sich in den Interpretationen von Vineta Sareika, Anthea Kreston, Anthea Kreston und Eckart Runge abbildlich wieder.

Der Abend begann mit Felix Mendelssohn Bartholdy. Das Streichquartett D-Dur op. 44/1, das der gebürtige Hamburger im Jahre 1838 fertigstellte, ist seiner Form nach ein noch recht konservatives Werk. Dennoch hebt es sich durch seine liedhaft, sangliche Charakteristik deutlich von den Quartetten Ludwig van Beethovens ab und muss eher in einer Traditionslinie mit Franz Schubert gedacht werden.

Es ist vom ersten Takt an eine Freude, dem ersten Satz, dem Molto allegro vivace, zu lauschen. Mit jugendlichem Eifer, innerlicher Begeisterung stellt Sareika das markante Anfangsmotiv in der ersten Violine vor. Bald darauf lässt es sich auch in den anderen Instrumenten entdecken. Das zu Beginn völlig frei von Sorge anmutende Kopfmotiv nimmt im weiteren Verlauf unerwartete Schattierungen an. Hier klingt es auf einmal verängstigt, dort wird es trotzig, da erneut versöhnlich. Es scheint ein Leichtes für die in Berlin ansässige Streicherformation zu sein, den Hörer durch dieses Auf und Ab zu führen – immer mit höchster technischer wie auch interpretatorischer Präzision.

Der zweite Satz umarmt den Hörer gleich von Beginn an mit der Geborgenheit ausstrahlenden Melodie, die in den beiden Geigen zwar mit einer sich reibenden Sekunde ansetzt, sich dann aber ganz wohlig fortspinnt. Auch der Anschluss an den Mittelteil, der sich nach Moll verfinstert, gelingt organisch. Der quasi improvisierte Teil, in dem die erste Violine scheinbar sich frei bewegend über stehenden Klängen in Viola und Cello sinnt, ist extrovertiert angelegt, doch von Sareika ganz maßvoll vorgetragen.

Auch im dritten Satz spielt die erste Violine klanglich klar die Hauptrolle. Dem Cellisten Runge gelingt es, mit seiner schlichten Stimme, die zumeist aus langgezogenen harmonischen Grundtönen besteht, Aufmerksamkeit zu erhaschen. Jeden Ton – mag er im Vergleich zur bewegten Oberstimme noch so unspektakulär erscheinen – versieht Runge mit Bedeutung. So klingt interpretatorische Gleichberechtigung, eine Spezialität des Artemis Quartetts.

Der vierte Satz hebt mit einem Feuerwerk der Lebensfreude im Unisono an und kann durch die kleinen stimmungstechnischen Schwankungen, die auch dieser Satz durchmacht, nicht mehr untergraben werden. Das Hauptthema überrollt regelrecht sämtlich Anklänge der Melancholie nach nur wenigen Takten.

Das Publikum dankt für diesen frohen Auftakt mit anhaltendem Beifall.

Das sich anschließende Streichquartett, das aus der Feder von Dmitri Schostakowitsch stammt, setzt zu dieser ausgelassenen Stimmung einen griffigen Kontrapunkt.

Der erste Satz, Allegro: stoisch, unnachgiebig, aber dennoch ziellos, weil in stagnierender Bewegung gefangen. Das Kopfmotiv besteht aus fallenden Dreiergruppen, denen drei kurze Noten auf identischer Tonhöhe folgen. Diese drei nachfolgenden Töne ziehen sich in der Gestalt von nicht enden wollenden Pizzicatotönen auf ein und derselben Tonhöhe oder in Form von endlos langen Liegetönen durch den ganzen ersten Teil.

Schostakowitsch hat eine derartige Gestaltung des Kopfmotivs selbst mit „Beunruhigung“ oder „Gewalt“ in Assoziation gesetzt. Es wundert nicht, dass dieses Quartett seiner 1954 verstorbenen Frau gewidmet ist. Das Leid über den schmerzlichen Verlust schreit förmlich aus jeder Note heraus.

Der zweite Satz, der, wie später auch der dritte, nahtlos an das Vorangegangene anknüpft, ist durch das ratlos umherirrende, niemals vom Fleck kommende Abspulen scheinbar endloser Skalen in den beiden Violinen gekennzeichnet. Die immer wieder in anderen Stimmen einsetzenden Glissandi symbolisieren das ziellose Hin- und Herrutschen der Musik sinnbildlich. Später werden die Rollen getauscht: Die Violinen rutschen, Viola und Violoncello irren planlos umher. Gibt es denn kein Entrinnen aus dieser Tristesse?

Als Versuch des Ausbruchs kann der dritte Satz bezeichnet werden. Hier herrscht das komponierte Chaos. Trauer und Verzweiflung wird versucht sich aufbäumend mit dissonanzreichen Parallelführungen zu entziehen. Der wie aus dem nichts am Ende einkehrende friedvolle Durklang wirkt indes keinesfalls erlösend, sondern eher erzwungen. Was für ein Seelengemälde!

Nach der Pause ging es in der Zeit zurück. Schumann wartete.

Nach der virtuosen Glanzleistung der ersten Konzerthälfte überraschte es nicht, dass das Artemis Quartett gleich mit dem ersten Klang wieder sofort an einem Strang zog. Nur ein flüchtiger Blick, bloß eine winzige Bewegung genügten völlig, um jeden Einsatz in diesem Paradestück der Kammermusik einwandfrei zu meistern. Das Kopfmotiv des Hauptsatzes, das nach der langsamen Einleitung in a-moll überraschend in der Mediante F-Dur einsetzt, gab einem jeden der vier Musiker die Gelegenheit, sich auch einmal solistisch hervorzutun.

Wer der Ansicht ist, Streichquartette seien Kopfmusik, müßig, anstrengend zu hören, womöglich gar blutleer, dem sollte man das Artemis Quartett vor die Haustür bestellen und den zweiten Satz dieser herrlichen Komposition servieren. Energisch, spritzig, keinesfalls verkopft wird es hier. Die Zeit vergeht wie im Fluge bei diesem rondoartigen Scherzo.

Der dritte Satz, das Adagio, ist ebenfalls in der mediantischen Tonart F-Dur geschrieben. Dessen Beginn weckt deutliche Erinnerungen an den langsamen Satz der 9. Symphonie Beethovens. Die vier, in eine Einheit verschmolzenen Musiker interpretieren diesen Satz mit einer derartig glühenden Innigkeit, dass erstmalig an diesem Abend eine geradezu sakrale Atmosphäre Einzug ins Konzerthaus erfährt.

Der vierte Satz dann wieder ganz typisch für einen Schlusssatz: Rasant, markant, brillant. Das Kopfmotiv, das aus drei längeren Tönen und einem raschen Lauf besteht, wandert, nachdem es zu Beginn akkordisch in allen Stimmen gleichzeitig erklungen war, durch die Instrumente und bildet die ideale Voraussetzung für ein großes Finale.

Es war ein überaus kurzweiliger Konzertabend, den das in Lübeck gegründete Quartett seinem mit Applaus keineswegs sparsam umgehenden Publikum spendierte, gekennzeichnet durch höchste Musikalität und technische Perfektion.

Bianca Schumann, 5. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.at

Foto: Artemis Quartett © Nikolaj Lund

Ein Gedanke zu „Artemis Quartett,
Wiener Konzerthaus“

  1. Am 18. Dezember 2017 kommt das Artemis Quartett mit dem selben Programm in die Elbphilharmonie! Ich freue mich schon darauf. Aber Ihren Bericht zu lesen fühlt sich so an, als ob man schon da gewesen wäre. Vielen Dank!
    Susanna Peters

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