Tenor Robin Neck und Doriana Tchakarova am Klavier feiern Europas Vielfalt

CD-Rezension: „Made in Europa“ mit Liedern in acht Sprachen, Tenor Robin Neck  klassik-begeistert.de, 12. Februar 2024

CD-Rezension:

Die neue CD „Made in Europa“
mit Liedern in acht Sprachen

Tenor Robin Neck
Doriana Tchakarova

Erschienen bei hänssler CLASSIC, Januar 2024

von Dr. Lorenz Kerscher

Mit den von zahllosen Stars der Vergangenheit eingespielten Standardwerken der Liedkunst kann ein junger Sänger nur noch wenig Aufmerksamkeit finden. Deshalb gilt es, bei der Gestaltung des Debütalbums zu überlegen, wie passendes Repertoire unter ein attraktives Thema gestellt werden kann. Natürlich wird eine Wahl getroffen, die die eigenen Stärken gut zur Geltung bringt.

So setzt der 1996 geborene Tenor Robin Neck, zweifellos auch gut beraten von seiner überaus repertoirekundigen Pianistin Doriana Tchakarova, auf Vielseitigkeit und Internationalität, präsentiert Lieder in acht verschiedenen Sprachen und gibt unter dem Titel „Made in Europe“ zugleich ein völkerverbindendes Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt ab.

Er wählte überwiegend Lieder der Spätromantik und des 20. Jahrhunderts und handelte sich damit allerdings ein Problem ein: zu unübersichtlich war dem Verlag die Situation bzgl. Urheberrecht der Texte und Übersetzungen, so dass man diese im Begleitheft leider nicht vorfindet. Man muss deshalb den Umweg über seine Homepage gehen, wo er eine Linkliste anbietet, über die man für jedes Lied den Text abrufen und ggf. per Link zur Übersetzung weitergehen kann. Das ist nicht perfekt und erscheint mir doch hilfreich genug, um dem Leser dieser Rezension durch Angabe des Links die Brücke zu bauen:

https://robin-neck.com/diskografie/

Die Rundreise durch die europäische Kulturlandschaft beginnt in italienischer Sprache, in der Text und Melodie bestmöglich miteinander verschmelzen können. Eher gefällig sind die drei Lieder von Francesco Paolo Tosti (1846-1916), der vor allem für seine eigenen Auftritte als Tenor komponierte. Schon im einleitenden Non t’amo più präsentiert Robin Neck eine ausgesprochen schöne, warm grundierte und diszipliniert geführte Tenorstimme, die ebenso mit Zartheit wie mit Strahlkraft überzeugen kann. Auch in Ideale und All’aria libera weist er nach, dass seine leisen Töne eine kultivierte Grundlage bilden, aus der sich wohldosierter Glanz entwickeln kann, der immer Ausdruck und nie Selbstzweck ist.

Non t’amo più (Tosti) – Robin Neck & Doriana Tchakarova (Liveaufnahme)

Es folgen drei melodiöse Lieder von Cécile Chaminade (1857-1944), zwei heitere und ein trauriges, in denen Robin Neck wieder in sehr angenehmer Weise auf jegliche stimmliche Kraftmeierei verzichtet und Steigerungen einzig in den Dienst des Ausdrucks stellt. Ebenso stark wirkt am Ende dieser Sequenz der fast tonlose Schlussvers vom verdorrenden Herzen. Mit Benjamin Brittens (1913-1976) Zyklus On this Island erfolgt dann der Wechsel ins Englische und auch zur spröderen Tonsprache des 20. Jahrhunderts. Zweideutige Texte, die trügerischen Glanz und verborgenes Unheil andeuten, ziehen wie gespenstische Plauderei am Zuhörer vorbei. Unterstützt vom plastischen und transparenten Klavierspiel Doriana Tchakarovas trägt der Sänger das mit größter Deutlichkeit vor und weist damit nach, dass er auch Charakterstücke sehr ausdrucksvoll gestalten kann.

Mit zwei Liedern von Tryggvi Baldvinsson (*1965) wird nun die Komfortzone der in Mitteleuropa geläufigen Sprachen verlassen und zum für deutsche Ohren weitgehend unverständlichen Isländisch gewechselt. Auch wenn es sich um einen lebenden Komponisten handelt, wird man nicht mit neutönerischen Experimenten konfrontiert, eher erinnert der Stil an Salonmusik mit lateinamerikanischen und im zweiten Lied auch russischen Anklängen. Nach diesem Intermezzo kommt dann mit drei Stücken aus Antonín Dvořáks Liebesliederzyklus die tschechische Sprache zum Zuge. Sehr sanfte und zärtliche Gefühle für seine erfolglos Angebetete brachte der junge Komponist darin zum Ausdruck, vielleicht in weiser Voraussicht, denn er schloss später mit deren Schwester eine glückliche Ehe. Und dann nahm der sich diesen Zyklus nochmals vor und brachte ihn als op. 83 heraus. Hier zeigt Robin Neck wieder, dass über all die feinen Schattierungen und Farben verfügt, um die zärtliche Schwärmerei überzeugend zum Ausdruck zu bringen.

Dass danach deutschsprachige Lieder zu Gehör kommen, ist nun fast schon eine Überraschung. Von Alma Mahler (1879-1964) sind es zwei leise Nachtstücke in einem an Zemlinsky oder frühen Schönberg erinnernden Klanggewand, die Doriana Tchakarova zur Gestaltung eines eigenständigen Klavierparts einladen, und danach noch ein Manifest von strahlkräftiger religiöser Ekstase. Auch dem originellen Stil dieser durch gesellschaftliche Konventionen am Schaffen gehinderten Komponistin wird Robin Neck bestens gerecht, bevor er mit drei Liedern von Pantscho Vladigerov (1899-1978) der bulgarischen Heimat seiner Klavierpartnerin die Ehre gibt. Sie sind harmonisch kühner, aber immer noch der Tonalität verbunden. Es sind Gesänge von vergangenem Glück, denen Sänger und Pianistin bewegenden Ausdruck verleihen. Einen harmonischen Ausklang des Albums bildet dann noch ein Bonustrack mit einer ukrainischen Volksweise.

Ohne Zweifel gelingt es Robin Neck, in seiner Debüt-CD eine große Vielseitigkeit unter Beweis zu stellen. Bei acht Sprachcoaches bedankt er sich im Begleitheft, er hat also das Gelingen seines vielsprachigen Konzepts nicht dem Zufall überlassen! Gegenüber Leuten, die über die Besetzung von Opernproduktionen entscheiden, kann er damit seine Motivation nachweisen, fremdsprachige Rollen solide einzustudieren. Doch vor allem kann er damit punkten, dass er schöne Gesangskunst bietet. In feinen Nuancen und Schattierungen gestaltet er die stilistisch so unterschiedlichen Lieder und bezaubert mit seiner schönen lyrischen Tenorstimme. Über eine solide Technik hinaus hat sein Gesang Seele und Charme. Das prägt sich ein und macht neugierig, bald noch mehr von dem überzeugenden Nachwuchskünstler zu hören!

Dr. Lorenz Kerscher, 12. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Weiterführende Info

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