Hanna-Elisabeth Müller: Wenn die Stimme in freien Flügen schwebt

CD-Rezension: „Sinnbild“ von Hanna-Elisabeth Müller  klassik-begeistert.de

CD-Rezension:

 „Sinnbild“
Hanna-Elisabeth Müller

Lieder von Richard Strauss mit dem WDR Sinfonieorchester unter Christoph Eschenbach

Erschienen bei Pentatone, Juni 2022

von Dr. Lorenz Kerscher

Die Musik von Richard Strauss hat Hanna-Elisabeth Müller immer Glück gebracht. Es begann damit, dass sie während ihrer Anfangszeit im Ensemble der Bayerischen Staatsoper von ihrer Agentur zu einem Vorsingen bei Christian Thielemann in Dresden geschickt wurde. Dort saß sie dann, wie sie berichtete, unter Bewerbern, die alle schon Rollen in Strauss-Opern beherrschten, während sie selbst noch kaum Repertoire und nur wenige Lieder im Gepäck hatte. Umso größer war ihre Überraschung, als sie schon auf der Rückreise einen Anruf ihrer Agentin erhielt und erfuhr, dass Thielemann sie bei den Salzburger Osterfestspielen 2014 als Zdenka in Arabella engagieren wollte. Dort stand sie dann neben Renée Fleming und Thomas Hampson auf der Bühne und erwies sich als Idealbesetzung für ihre Rolle.

„Unbekannte junge Deutsche singt Weltstars an die Wand“, konnte man in der Zeitung lesen, und noch im selben Jahr folgte die Auszeichnung als „Nachwuchskünstlerin des Jahres“ durch die Zeitschrift OPERNWELT. Engagements an den bedeutendsten Opernhäusern wie der Mailänder Scala, der New Yorker Met und später der Wiener Staatsoper brachten internationalen Ruhm, das Repertoire erweiterte sich bald um die Sophie im Rosenkavalier und inzwischen konnte sie auch schon die Arabella übernehmen.

Doch am Anfang ihrer Karriere stand das klassische Lied, das sie mit ihrem Lehrer Rudolf Piernay schwerpunktmäßig studiert und bei Christian Thielemann so erfolgreich vorgesungen hatte. Da war eine treue Liebe entstanden, die sie bei allen Erfolgen auf der Opernbühne nie vergaß. So spielte sie auf ihren CDs auch keine Operngalastücke ein, sondern Lieder, die sie in jahrelanger Konzerttätigkeit mit ihrer exzellenten Pianistin Juliane Ruf zu großer künstlerischer Reife entwickelt hatte. Schon das 2017 erschienene Debütalbum „Traumgekrönt“ würdigt Richard Strauss. Eine in jugendlicher Frische zusammengestellte Auswahl von Liedern aus seiner Feder, die von Blumen handeln, rahmt frühe, im romantischen Klanggewand ausgeführte Zyklen von Arnold Schönberg und Alban Berg ein.

Eine zweite CD „Reine de cœur“ mit Liedern von Schumann, Poulenc und Zemlinski lotet sehr feinfühlig ein breites Spektrum zwischen Trauer und Freude aus. Die subtilen Nuancen aus der Liedkunst bringt sie auch gerne auf der Opernbühne ein, erzielt damit sehr bewegende Rollenporträts und festigt so ihren Ruf als lyrische Sopranistin mit Potenzial in jugendlich-dramatischer Richtung. Dabei ist festzustellen, dass sich ihr feines, helles Timbre auch innerhalb eines dichter gewebten Orchesterklangs mühelos durchsetzt. Dies macht sie sich nun zunutze, indem sie ihre dritte CD „Sinnbild“ ganz dem Orchesterlied widmet.

Und sie kommt jetzt wieder gerne auf Richard Strauss zurück, der ein Meister der Orchesterbehandlung war und sein Liedschaffen auf seine Frau, die Sopranistin Pauline de Ahna ausgerichtet hat. So funktionieren seine Orchesterbearbeitungen sehr gut und auch bei den drei von anderer Hand instrumentierten Liedern in der Auswahl dieses Albums ist das gegeben. Felix Mottl hat für das erste Lied „Ständchen“ ein zartes und filigranes Klanggewand gewoben, über dem sich die Stimme mit größter Leichtigkeit bewegen kann. Damit gelingt Hanna-Elisabeth Müller ein charmanter Einstieg und es zeichnet sich ab, dass sie vom WDR-Symphonieorchester unter Christoph Eschenbach die allerbeste Unterstützung bei der abwechslungsreichen Gestaltung des ausgewählten Repertoires erhält. So kann das nachfolgende „Morgen“ einen gänzlich anderen Charakter bekommen: als Ruhepunkt, an dem unklar bleibt, ob er Erwartung oder Resignation bedeutet. Sie hat dieses Lied im Livestream während des Corona-Lockdown in den leeren Saal der Bayerischen Staatsoper gesungen und es in diesem Zusammenhang als Hoffnungsschimmer wirken lassen.

 

Zweites Montagskonzert: Hanna Elisabeth Müller singt „Morgen!“ op. 27, 4 (2020)

Auf der CD ist das Lied so zart und mit verhaltenem Schluss gestaltet, dass man eher an die Hoffnung eines Trauernden auf ein Wiedersehen im Paradies denkt. Die nachfolgende „Winterweihe“ wird in Annäherung an den Volkston vorgetragen und lässt dennoch offen, ob sich der Liebestraum auf das Diesseits oder Jenseits bezieht. „Allerseelen“ beschreibt wehmütige Erinnerung an vergangenes Glück und steigert sich in den vergeblichen Wunsch, einander nochmals nah sein zu können. Beglückend und doch in dunkle leise Töne gehüllt folgt die „Waldeinsamkeit“ und als helles, silberstrahlendes Gegenstück „Säusle, liebe Myrthe!“ Hier kann Hanna-Elisabeth Müller ihre Stärken ausspielen und die reich verzierte Melodik dieses Lieds mit den vielen im Legato auszuführenden Intervallsprüngen bis in die höchste Lage ausdrucksstark gestalten.

Es folgt mit „Malven“ die allerletzte Komposition von Richard Strauss, die ganz ohne Pathos vom Verblühen handelt. Mit zarter Poesie, in die etwas himmlisches Licht fallen darf, bildet dieses Lied eine passende Brücke zu den Vier letzten Liedern, die das Album beschließen. Dieser Zyklus ist ein abschließendes Vermächtnis von Strauss und beleuchtet verschiedene Stufen des Abschieds. Mit jugendlicher Energie begrüßt Hanna-Elisabeth Müller zuerst den „Frühling“ und erreicht in der Verszeile „Von Licht übergossen“ höchste Strahlkraft. In deutlichem Gegensatz dazu ist der „September“ ein sanftes Abschiednehmen des Sommers, das die Solistin in leiser Poesie über zarte Orchesterklänge legt und im Pianissimo verklingen lässt. „Beim Schlafengehen“ schildert in dunklen Farben die Müdigkeit und das Einschlafen, bis dann der Seele, die „unbewacht in freien Flügen schweben will“, zuerst von der Solovioline und dann vor der Stimme ein dezenter Glanz von Lebenskraft verliehen wird.

Das abschließende „Im Abendrot“ ist das leiseste der vier Lieder und doch der emotionale Höhepunkt des Zyklus. Hier gelingt es der Solistin mit ihrer unvergleichlichen Legatokultur, höchste Intensität zu erzielen und am Ende ganz leise den Tod als das Ziel unseres irdischen Wanderns beim Namen zu nennen. Wie anders ist jetzt die Stimmung als in der überschießenden jugendlichen Kraft des Frühlings!

Insgesamt zeichnet dieses Album den großen Bogen, den das Liedschaffen von Richard Strauss von den frischen Jugendwerken bis zur abschließenden Reife bildet. Der Abschied deutet sich in den frühen Liedern als Sinnbild an, wird allmählich greifbarer und ganz am Ende Realität. „Wir sind durch Not und Freude gegangen Hand in Hand“ ist zum Abschluss auch eine ganz persönliche Botschaft des Komponisten an seine Frau Pauline, mit der er 55 Jahre verheiratet war und die acht Monate nach ihm ebenfalls verstarb. Wie dem Begleittext des in Englisch und deutsch verfassten Begleithefts zu entnehmen ist, war sie eine erfolgreiche Sängerin im jugendlich-dramatischen Fach, die Hans von Bülow als „reichen und süßen Sopran, leuchtend wie ein warmer Sonnenstrahl“ beschrieb. Dies passt auch gut auf Hanna-Elisabeth Müller und auch sie verfügt über die „ausgezeichnete Atemführung“, die Strauss an seiner Frau bewunderte und auch in seinen Kompositionen forderte.

Ich glaube, ihr Erfolg als Strauss-Interpretin ist darin begründet, dass ihr das Klanggewand, das der Tonschöpfer für seine Pauline geschneidert hatte, ganz genau passt. Dem erfahrenen Christoph Eschenbach gelingt es sehr gut, die farbenreiche Orchestersprache auf die Solistin abzustimmen, jedem falschen Pathos zu entsagen und so zum Kern der musikalischen Aussage vorzudringen. Somit betrachte ich diese CD als eine Originalklangaufnahme der Strauss’schen Orchesterlieder!

Dr. Lorenz Kerscher, 6. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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2 Gedanken zu „CD-Rezension: „Sinnbild“ von Hanna-Elisabeth Müller
klassik-begeistert.de“

  1. Ich habe heute auf WDR 3 „Im Abendrot“ mit Hanna-Elisabeth Müller gehört und bin im Nachgang auf diese Seite mit dieser doch etwas überschwänglichen CD-Rezension gestoßen. Nun habe ich zufällig dieses Stück sehr oft schon gehört und habe auch verschiedene Aufnahmen davon. Kein Wunder, es haben sich an diesen „Vier letzten Lieder“ ja bereits viele versucht. Und so mag ich die Lobeshymne nicht ganz zu teilen, denn es gibt bessere Einspielungen.

    Zuerst ist da die Aufnahme mit Jessye Norman unter Kurt Masur von August 1982 zu nennen – war auch erst kürzlich auf WDR 3 zu hören. Oder die mit Anja Harteros unter Mariss Jansons von März 2009. Auch Renée Fleming bekommt es „ganz ordentlich“ hin. Doch wobei?

    Eigentlich liegt die Qualität ja mehr in den Händen der Dirigenten – mal vorausgesetzt, die Interpretin kann es singen – denn, das Tempo bestimmen letztendlich ja sie. Und da liegt aus meiner Sicht des Pudels Kern: Meine Sammlung reicht von sechs bis knapp zehn Minuten Aufführungsdauer. Und wer bekam das Prädikat Jahrhundert-Aufnahme? Richtig, die längste Version, zumindest die, die ich besitze, die mit Norman und Masur.

    Nun ist die Aufnahme von Hanna-Elisabeth Müller unter Christoph Eschenbach nicht besonders kurz, daran liegt’s also nicht. Es sind die Vokale etc. pp., die mich irritiert hatten, weswegen ich ins Netz geschaut habe und nun in diesem Blog gelandet bin. Also, meine Meinung: die „Vier letzten Lieder“ gibt es bereits schöner.

    Dietmar Bochert

    1. Gerade beim Gesang hat jeder seinen eigenen Geschmack und das ist absolut legitim. Jeder hat selbstverständlich das Recht, subjektiv zu empfinden und etwas anderes besser oder am besten zu finden. Ich habe hier recht spontan über meine Freude an Hanna-Elisabeth Müllers Orchesterliedereinspielung geschrieben.
      Mir ist klar, dass sie einen individuellen Interpretationsansatz wählt. Das behagt vielleicht nicht jedem, der es schon anders kennt. Aber ich will keine Vergleiche ziehen, sondern die Musik auch immer wieder anders erleben und erfahren! Diese meine Neigung lässt mich dann auch mehr in die Zukunft schauen, als in die Vergangenheit mit ihren historischen Aufnahmen.

      Lorenz Kerscher

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