Riccardo Chaillys reiches Stravinsky-Füllhorn

CD-Rezension: Stravinsky Edition, Riccardo Chailly

„Vieles gibt es in dieser Box zu entdecken, und wer wäre ein besserer Führer durch das vielschichtige Œuvre Stravinskys als der charismatische Riccardo Chailly?“

CD-Rezension: Stravinsky Edition.

Riccardo Chailly

Decca 485 1367

von Peter Sommeregger

Die Musikwelt gedenkt 2021 Igor Stravinskys 50. Todestag. Dies lenkt den Fokus einmal mehr auf einen der schillerndsten und ungewöhnlichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Der runde Todestag findet natürlich auch ein Echo in der Tonträger-Industrie, neben Neuaufnahmen einzelner Werke erscheinen auch umfangreiche Zusammenstellungen.

Das Label DECCA setzt in diesem Fall ganz auf seinen Star-Dirigenten Riccardo Chailly, der sich tatsächlich während seiner gesamten Aufnahmetätigkeit immer wieder mit dem Werk des russischen Komponisten auseinandergesetzt hat und viel beachtete Aufnahmen seiner Werke vorgelegt hat. Diese Hommage an Stravinsky stellt also zugleich eine solche an den Dirigenten Chailly dar, der sich seit seinem Mailänder Studium immer wieder mit dem Werk des Komponisten beschäftigte.

Seine intensive Beschäftigung mit Stravinskys Werk wird in zahlreichen Einspielungen dokumentiert, in einigen Fällen finden sich in der ansprechend gestalteten Box sogar Doubletten, sofern Chailly ein Werk mit verschiedenen Orchestern aufgenommen hat. Dokumentiert sind Aufnahmen und Konzertmitschnitte mit dem Cleveland Orchestra, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Lucerne Festival Orchestra, der London Sinfonietta, dem Royal Concertgebouw Orchestra und dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin, die als Nebeneffekt auch noch einen Begriff von der Europäischen Orchesterkultur der letzten Jahrzehnte vermitteln.

Enthalten sind natürlich die großen Ballette Le Sacre du Printemps, Petrushka und L’oiseau de feu. Daneben finden sich Kammermusikwerke, Kompositionen für großes Orchester wie die Psalmensymphonie, das Violinkonzert, Apollon musagète, Le Chant du rossignol. Kleinere Stücke wie Dumbarton Oaks, Tango, Divertimento, Ragtime, das Octet, Chant funèbre  und Scherzo fantastique sind ebenso vertreten wie die kleineren Vokalwerke Le Faune et le Bergère, Renard und Pulcinella.

Die stilistische Bandbreite von Stravinskys Werk ist eindrucksvoll und immer wieder überraschend. Der Komponist liebte es, sich an immer neuen musikalischen Formen zu versuchen. Aus den 1920er Jahren stammt die Oper (oder auch Oratorium) Œdipus Rex, die Stravinsky auf einen lateinischen Text von Jean Cocteau komponierte, zum besseren Verständnis aber darauf bestand, dass der gesprochene Prolog jeweils in der Landessprache des Aufführungsortes rezitiert wird. Die hier enthaltene Aufnahme ist ein Konzertmitschnitt aus Amsterdam, mit Robert Dean Smith und Waltraud Meier, die hervorragende Interpreten dieses strengen Werkes sind.

Als krönenden Abschluss ist in der Box auch noch Chaillys Einspielung der Oper The Rake’s Progress von 1983 mit der London Sinfonietta enthalten. Dieses Werk, 1951 in Venedig uraufgeführt, erinnert formal an eine Barockoper, ist voller großartiger musikalischer Einfälle und enthält sehr dankbare Gesangspartien. Philip Langridge, Samuel Ramey, Cathryn Pope und Sarah Walker sind die Solisten, in der kleinen Rolle der Mother Goose begegnet man zum Erstaunen der Wagner-Heroine Astrid Varnay.

Vieles gibt es in dieser Box zu entdecken, und wer wäre ein besserer Führer durch das vielschichtige Œuvre Stravinskys als der charismatische Riccardo Chailly?

Peter Sommeregger, 12. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

DVD-Besprechung, Richard Strauss, „Elektra“ (Unitel  804308) klassik-begeistert.de

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