Frauenklang 6: Joana Mallwitz – kompetent und voller Elan am Dirigentenpult

Frauenklang 6: Joana Mallwitz – kompetent und voller Elan am Dirigentenpult

Foto:© Nicolas Kroeger

Dirigentin Joana Mallwitz | Kurzporträt in titel thesen temperamente vom 24. Mai 2020

von Lorenz Kerscher

Noch bis vor kurzem war das Dirigentenpult eine der letzten Bastionen des Patriarchats. Diese wurde, wenn es sein musste, auch schon mal mit der steilen These verteidigt, dass Frauen die Orchester mit ihrer erotischen Energie zu sehr verstören würden. Doch inzwischen sind die Pultpatriarchen, die alles nach ihrem Willen formen wollen, aus der Zeit gefallen. Der zweifellos exzellente, aber dem Vernehmen nach ziemlich autokratische Christian Thielemann muss das gerade schmerzlich erfahren. Sein vielbeachteter jüngerer Kollege Jakub Hrůša steht dagegen für einen neuen Stil: er begegnet dem eigenen Charakter eines Orchesters mit großer Wertschätzung und sieht seine Aufgabe darin, es zu einer idealen Interpretation des Werks zu inspirieren. Eine derart fürsorgliche Einstellung gilt nach alter Klischeevorstellung als weibliche Tugend, aus aktueller Sicht jedoch als der bessere Weg. Deshalb bewähren sich auch immer mehr Frauen bei der Leitung bedeutender Orchester.

Hierzu zählt die 1986 geborene Joana Mallwitz, die von außergewöhnlicher Energie sprüht und damit zu inspirieren und mitzureißen versteht. Schon als Kind interessierte sie sich neben dem Violin- und Klavierunterricht besonders für symphonische Musik und begann bald mit großer Faszination Partituren zu studieren. Als Dreizehnjährige wurde sie Frühstudentin in den Fächern Klavier und Dirigieren an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. 2006 trat sie am Heidelberger Theater eine Stelle als Solorepetitorin mit Dirigierverpflichtung an und sorgte schon bald für eine Schlagzeile: „20-jährige rettet Puccini-Premiere.“ Ganz plötzlich war ihr Chef Cornelius Meister erkrankt und wenige Stunden vor der Vorstellung trug man ihr an, die musikalische Leitung des Abends zu übernehmen. Sie hatte vorher mit dem Ensemble ausführlich an den Solopartien von Madama Butterfly gearbeitet und die Theaterleitung konnte auch davon ausgehen, dass sie mit der Partitur sehr gut vertraut war. Da hieß es, schnell nach Hause rennen und sich umziehen; das ging so schnell, dass die Souffleuse sie noch auf dem Weg zum Dirigentenpult aufhalten musste: „Stopp, Joana, du hast dein T-Shirt linksherum an!“ Dies blieb die einzige Panne des Abends und sie bestand diese Feuertaufe mit Bravour.

Von 2007 bis 2011 war sie dann Erste Kapellmeisterin und Assistentin von Cornelius Meister in Heidelberg. Interessante Gastengagements folgten, bis sie 2014 nach Erfurt wechselte, um Europas jüngste Generalmusikdirektorin zu werden. Dieselbe Funktion trat sie 2018 bei der Staatsphilharmonie und dem Theater Nürnberg an. Wieder eine Überraschung war 2019 die Ernennung als Dirigentin des Jahres durch die Zeitschrift Opernwelt, hatten doch in den Vorjahren arrivierte männliche Pultgrößen, nämlich Christian Thielemann, Kirill Petrenko und John Eliot Gardiner, diese Auszeichnung erhalten. Und 2020 war sie die erste Frau, der bei den Salzburger Festspielen eine komplette Aufführungsserie anvertraut wurde. Diese Così fan tutte mit einem erstklassigen Ensemble konnte sie als einen großen Erfolg verbuchen.

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Während der Pandemie ging ihr Elan auch im Lockdown nicht verloren. Sofort ging sie dazu über, leidenschaftliche Werkeinführungen per Videostream zu verbreiten. Sie gab Erklärungen an einem einsam auf der Bühne des Nürnberger Theaters stehenden Flügel und bastelte Tonbeispiele der räumlich getrennt und auf Abstand platzierten Instrumentengruppen ihres Orchesters zusammen. Sowohl die Entstehung des Werks, die Arbeitsweise des Komponisten, als auch seine Lebensumstände schilderte sie plastisch und detailreich. So schuf sie ein Format, das sowohl dem Neuling als auch dem Klassikkenner neue Perspektiven auf den schöpferischen Prozess wie auch auf die Persönlichkeit des Meisters eröffnet.

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Da nun wieder mit vollständigen Orchestern gearbeitet werden kann, hat Joana Mallwitz mit dem Konzerthausorchester Berlin eine Werkeinführung und Aufführung der Großen C-Dur-Symphonie von Schubert gegeben. Diese wurde in bester Videoqualität verfügbar gemacht, während sie ansonsten noch nicht die Zeit (und vielleicht auch nicht die Neigung) hatte, sich lange in Tonstudios aufzuhalten. Deshalb gibt es mit ihr bislang nur Liveaufnahmen, nämlich die „Lustige Witwe“ aus Frankfurt auf CD und die Salzburger „Così fan tutte“ als DVD. Umso größer ist der Anreiz, sie live zu erleben, auch wenn die für Oktober angekündigte Geburt ihres ersten Kindes eine Pause mit sich bringen wird. Diese wird sie ihrem Naturell entsprechend gewiss nicht unnötig ausdehnen, sondern ihren Weg so bald wie möglich fortsetzen. Und niemand zweifelt daran, dass sie in Kürze in einem Atem mit den ganz Großen ihrer Zunft zu nennen sein wird!

Lorenz Kerscher, 19. Juli 2021, für
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