Yuja Halleluja!

CD-Rezension: Yuja Wang Rachmaninoff  klassik-begeistert.de, 9. Dezember 2023

Ein Erweckungserlebnis: Yuja Wang und das Los Angeles Philharmonic unter Gustavo Dudamel spielen alle vier Klavierkonzerte und die Paganini-Rhapsodie von Rachmaninow auf zwei CDs ein.

CD-Rezension:

Yuja Wang
Rachmaninoff

Los Angeles Philharmonic  unter Gustavo Dudamel

Deutsche Grammophon, DG 486 4759

von Brian Cooper, Bonn

Die Programmplanung der Verantwortlichen bei bedeutenden Klassiklabels ist zuweilen recht interessant: Bei der Deutschen Grammophon hat man erst vor wenigen Jahren drei CDs mit den vier Klavierkonzerten und der Paganini-Rhapsodie von Sergei Rachmaninow herausgebracht, mit Daniil Trifonov und dem Philadelphia Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin, nebst einigen zusätzlichen Schmankerln (daher die drei CDs, die es inzwischen als Schuber gibt).

Und in diesem Jahr erscheint nun beim selben gelben Label eine neue Aufnahme der fünf Werke für Klavier und Orchester des Geburtstagskinds, dessen einhundertfünfzigstes Wiegenfest wir ja 2023 noch feiern, das Ganze auf zwei prall gefüllten CDs von je 74 Minuten Spielzeit.

Die Rede ist von Yuja Wang, die gemeinsam mit Gustavo Dudamel und dem Los Angeles Philharmonic in mehreren Konzerten im Februar 2023 Frank Gehrys Walt Disney Concert Hall aus den Angeln hob.

Für all jene Menschen, die diese Werke lieben, ist natürlich beides ein Fest, sowohl mit Trifonov als auch mit Wang, und es ist nicht unsere Aufgabe, an Marketing und Verkaufszahlen zu denken, sondern wir dürfen uns reineweg um die Musik kümmern.

Um es gleich zu sagen: Beide DG-Zyklen sind hochkarätig, kraftvoll und intensiv musiziert und obendrein toll aufgenommen – live, wie man es dieser Tage gern tut. (Wirklich live, oder hustet man in Amerika weniger? Störende Nebengeräusche wurden jedenfalls erfolgreich herausgeschnitten.) Der selige Tony Duggan wäre begeistert, da er stets das Live-Erlebnis favorisierte, zumal in seiner legendären Besprechung der Mahler-Aufnahmen.

Tony Duggan war es auch, der bei Mahler eher zu Einzelaufnahmen riet, anstatt zur Gesamtaufnahme zu greifen. Wobei es bei Rachmaninows Klavierkonzerten auch etliche tolle Gesamtaufnahmen gibt: Mikhail Rudy mit den Petersburgern unter Jansons (EMI), Ashkenazy mit dem LSO unter Previn (Decca), und auch der von mir hochgeschätzte Bernd Glemser, einer der besten Pianisten dieses Planeten, spielte Mitte der Neunziger alle Werke mit dem Polish National Radio Symphony Orchestra unter Antoni Wit ein (Naxos).

Bei Einzelaufnahmen denkt man beim dritten Klavierkonzert an Argerich und Chailly mit dem RSO Berlin (Philips), Byron Janis mit Boston und Munch und natürlich an Horowitz und Ormandy mit dem New York Philharmonic vom 8. Januar 1978, letztere beide bei RCA. Und dann gibt es noch eine weitere Horowitz-Aufnahme mit dem RCA Victor Symphony Orchestra unter Fritz Reiner (das Label dürfen Sie erraten).

Die Frage stellt sich also immer wieder: Braucht man das Neue, wenn man das Alte, das Bewährte, im Regal hat? Nun, irgendwie muss es ja weitergehen, und die jungen Pianistinnen und Pianisten, die jungen Dirigentinnen und Dirigenten, haben auch viel zu sagen.

Yuja Wang hat bereits zuvor das dritte Klavierkonzert mit Dudamel und das zweite sowie die Rhapsodie mit Abbado eingespielt. Unter Dudamel und dem LA Philharmonic zeigt sie, wie beeindruckend sie gereift ist.

Im Kopfsatz des zweiten Konzerts kostet man einfach gemeinsam alles aus, was das Werk hergibt. Das Orchester schwelgt in schönen Tönen, die solistischen Passagen gelingen geradezu meditativ, und die schnellen Fingerübungen bewältigt Wang selbstredend mit Bravour – und eben mit Reife. Im zweiten Satz bilde ich mir ein, dass man die Klarinettenklappen aufdringlich hört, aber vielleicht liegt das an meiner Stereoanlage. Ansonsten ist hier nichts aufdringlich. Auch der letzte Satz ist ein Fest.

Das dritte Konzert besticht von Anbeginn durch einen dichten Zusammenklang von Klavier und Orchester. Es gibt im Kopfsatz viele spannende Momente, vor allem, wenn das Tempo gemeinsam mit dem Orchester zurückgenommen und dann wieder angezogen wird und man einfach nur gut man aufeinander hört – es ist immerhin eine Liveaufnahme, und alles klappt! Die Kadenz ist schier beeindruckend, man wäre gern live dabei gewesen. Im zweiten Satz kann Wang sich komplett fallen lassen, Dudamels Leitung ist meisterhaft. Es ist ein Spiel auf Augenhöhe, man spielt sich die Bälle zu, kein Detail geht verloren, es ist eher eine ziselierende, eine meditative Auslegung. Der Finalsatz ist vor allem im C-Dur-Teil herrlich drängend, und wieder ist das Zusammenspiel von Orchester und Pianistin der herausragende Punkt in dieser Aufnahme. Trotzdem würde ich wahrscheinlich Argerich/Chailly vorziehen, wenn es um die Frage nach der Aufnahme für die einsame Insel ginge.

Das erste Konzert (op. 1), viel zu selten gespielt, wird hier mit großartigem Raumklang dargeboten, sowie mit einem hohen pianistischen und orchestralen Spaßfaktor, der einen das immer wieder gern hören lässt, besonders im ersten und dritten Satz. In letzterem gibt es einige Höhepunkte im Orchester, das Blech lässt an Wumms – oder ist es Doppel-Wumms? – nichts zu wünschen übrig. Wangs arabeskenhaftes Spiel lässt einen zwischendurch beglückt die Augen schließen.

Das vierte Klavierkonzert schätze ich besonders in der Aufnahme von Benedetti Michelangeli von 1957, mit Ettore Gracis und dem Philharmonia Orchestra. Hier, bei Wang und Dudamel, fällt einmal mehr die grandiose Orchesterleistung des LA Phil auf. Alle lassen sich flexibel auf das Spiel der Solistin ein. Und die wiederum weiß, was sie kann, hört aber genauso scharf auf den schönen Klangteppich, der ihr geboten wird. Perfektes Zusammenspiel, die letzten Minuten des Kopfsatzes sind einfach irre. Wie gesagt, man wäre gern live dabei gewesen. Das Perkussive im letzten Satz beeindruckt schwer, und es klingt dabei immer melodisch.

Die Paganini-Rhapsodie schließlich ist einfach nur eine von vielen guten Einspielungen. Man hat es so oft gehört und sollte daher nie vergessen, was für ein schweres Stück das ist. Dennoch wartet man auf die schwelgerische 18. Variation, die hier ein wenig kitschig gerät, aber mir gefällt das sehr, ich gestehe es. Warum sollte man es nicht auskosten? Eine meiner Referenzaufnahmen ist die von Cécile Ousset mit dem CBSO unter Simon Rattle.

Insgesamt vier von fünf Sternen.

Dr. Brian Cooper, 9. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Yuja Wang, Koninklijk Concertgebouworkest, Klaus Mäkelä, Dirigent Konzerthaus Dortmund, 26. September 2023

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