CD-Tipp: Franz Schubert, Klaviersonaten D 959, D 960
ARS 38307
Hans-Jürg Strub, Klavier
von Jürgen Pathy
Schubert auf neuen Pfaden. Verantwortlich dafür zeichnet sich der Pianist und Pädagoge Hans-Jürg Strub. Als Klavier-Pädagoge zählt der Schweizer zu den prägendsten Persönlichkeiten im deutschsprachigen Raum. Dass Strub jedoch nicht nur meisterlich agiert, wenn er Nachwuchspianisten an die Weltspitze heranführt, sondern auch selbst ein gewichtiges Wort als Pianist mitzureden hat, beweist die neue Aufnahme. Strub hat vor kurzem Franz Schuberts Klaviersonaten in A-Dur D 959 und B-Dur D 960 aufgenommen. Erschienen ist die CD bei ARS Produktion. Was da zu hören ist, ist auf jeden Fall genauso exquisit, wie das kleine aber feine Klassiklabel aus Deutschland.
Bereits Peter Sommeregger, Kolumnist und Kritiker bei Klassik begeistert, hat der CD eine Empfehlung ausgesprochen. Von Hans-Jürg Strubs künstlerischer Reife, wie sie diese anspruchsvollen Stücke im hohen Maße verlangen, ist dort die Rede. Von großem Ernst und gleichzeitiger Virtuosität, mit der sich Strub in diese reifen Werke vertieft. Und von einem Steinway-Flügel, dessen sonorer Klang aufnahmetechnisch hervorragend eingefangen wurde und diese CD zu einem uneingeschränkten Hörvergnügen machen. Diese Ausführungen sind jedoch teilweise auf Kritik gestoßen. Herr Emil Katz, Leser des Blogs, will der positiven Beurteilung nicht ganz zustimmen.
Leser und Autoren sind anderer Meinung
Vielleicht mag Herr Katz recht haben, dass der Steinway-Flügel nicht besonders sorgfältig gestimmt sein könnte. Oder, dass die rechte Hand des Pianisten zwar recht geläufig, aber die linke Hand etwas „genudelt“ sei, wie Herr Katz das so schön umschreibt. Um ehrlich zu sein, ich kann das nicht beurteilen. Wenn Herr Katz das so sieht, ist das sein gutes Recht. Wo ich ihm jedoch mit Überzeugung widersprechen möchte, ist seine Aussage, dass die Interpretationen langweilig seien. Das ist Unsinn.
Da ich ein Interview mit Herrn Strub geführt habe, das bald erscheinen wird, habe ich die CD auch gehört. Ohne selbst eine pianistische Ausbildung genossen zu haben, bin ich von der Einspielung beeindruckt. Warum erwähne ich das? Weil ich vermute, dass Herr Katz selbst Pianist sein dürfte. Dazu möchte ich ein wenig ausholen.
Die Qual als Pianist andere zu beurteilen
Ich weiß, dass Pianisten und Pädagogen gerne auf Kleinigkeiten herumreiten. Auf Dingen, die im Endeffekt für den Großteil der Hörer belanglos sind. Weil sie die nicht hören und weil die teilweise irrelevant sind. Auf irgendwelchen Ungereimtheiten zwischen der rechten und der linken Hand, und was weiß ich noch alles.
Extrem aufgefallen ist mir das, als ich vor einigen Jahren im Konservatorium der Stadt Wien einen jungen Pianisten hören durfte, der meines Erachtens ein großes Potenzial aufzuweisen hatte. Seinen Namen habe ich im Augenblick nicht parat. Leider. Ich weiß auch nicht, was aus dem jungen Studenten geworden ist. Übt er noch, begeistert er bereits eine große Zuhörerschaft oder hat er seine Passion, anderen Leuten die intime Welt der großen Komponisten näher zu bringen, gar an den Nagel gehängt. Ich weiß es nicht. Ich hoffe es nicht.
Denn er ist ein großartiger Musiker. Er ist einfach in der Lage gewesen, den Noten, die oftmals nur leere Hülsen sind, Leben einzuhauchen. Von Anbeginn bis zum Ende. Einen großen Spannungsbogen zu ziehen. Eine Gabe, die nur sehr wenige ihr eigen nennen dürfen. Selbst in den bedeutenden Konzertsälen dieser Welt durfte ich das bislang noch nicht so oft erleben. Hätte dieser junge Pianist, der seiner Passion hoffentlich noch folgt, im Wiener Konzerthaus gespielt, es wäre ein großer Erfolg geworden. Davon bin ich überzeugt. Eine Beethoven-Sonate war es übrigens gewesen, mit der er derart beeindrucken konnte.
Und was fiel dem Professor dazu ein, nachdem ich ihm meine Bewunderung über den jungen Mann mitteilte: „Ja, er ist zwar sehr talentiert, ABER…“ Was da nicht gepasst hatte, weiß ich nicht mehr genau. Nur, dass ich mir dachte: Wen juckt es! Da spielt dieser junge Mann, der asiatischer Abstammung gewesen ist, alle seine Kommilitonen an die Wand, und dem Professor fällt nichts anderes ein, als das Haar in der Suppe zu suchen. Wenn ich mich recht erinnere, dürften es die Tempi gewesen sein. Zu unbeständig oder so ähnlich.
Langer Rede, kurzer Sinn. Wo auch immer Herr Katz gewisse Ungereimtheiten bei dieser Schubert-Aufnahme ausfindig gemacht haben möchte: Ich kann diese Aufnahme nur wärmstens empfehlen. Zugegeben. Vielleicht sind nicht alle Sätze der beiden Sonaten lupenrein. Ziehen sich ab und an ein wenig. Das ist bei Schubert jedoch generell oft der Fall. Hier kommt nun mein großes ABER – und zwar im positiven Sinne.
Schubert in Bachs Gefilden
Einige Sätze, vor allem die beiden langsamen, haben mich schwer beeindruckt. Obwohl oder besser gesagt, weil sie nicht so typisch nach Schubert klingen. Dieser tröpfelnde Ton, der ständig hinunterpurzelt, dieses Dahinschleichen in der linken Hand zu Beginn des Andantes der B-Dur Sonate: Wow! Diese Klarheit im Ton, diese Transparenz generell gleicht einer völlig neuen Welt, in die uns Hans-Jürg Strub eintauchen lässt. Bis auf Krystian Zimermans Einspielung konnte ich das bislang bei keiner anderen Aufnahme, die ich kenne, hören. Bei keinem Horowitz, nicht bei Brendel und auch nicht bei anderen großen Namen.
Hier ist eine deutliche Handschrift zu erkennen, mit der sich Hans-Jürg Strub von allen anderen abhebt. Besonders beim Andantino der A-Dur Sonate D 959. Beim Hören habe ich mich gefühlt, als würde ich nicht mehr in Schuberts Sphären wandeln, sondern in Johann Sebastian Bachs. Und das ist gut so. Das zeugt von Charakter, von Unabhängigkeit, von Nonkonformität. Das mag vielleicht nicht allen gefallen, ist jedoch alles andere als „langweilig“, wie Herr Katz es empfindet. Ganz im Gegenteil. In einer Welt, in der vieles nur mehr im Gleichschritt dahinsiecht, sind solche Entdeckungen noch Goldes wert. Genau deshalb empfehle ich allen, sich mal in diese Sätze reinzuhören.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 12. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD-Tipp: Schubert, Klaviersonaten D 959 D 960, Hans-Jürg Strub