In den Zugaben zeigt der Pianist seine Klasse

Cédric Tiberghien, Klavier,  Elbphilharmonie

Foto (c): Höhne
Cédric Tiberghien Klavier
Claude Debussy, Douze Etudes, Band 1
Karol Szymanowski, Zwölf Etüden op. 33
Julian Anderson, Piano Etudes Nos. 1-3
Béla Bartók, Drei Etüden op. 18
Karol Szymanowski
Vier Etüden op. 4
Elbphilharmonie, Kleiner Saal, 20. April 2017

Von Sebastian Koik

Es stehen technisch extrem schwierige Stücke auf dem Programm, und der Pianist Cédric Tiberghien meistert die Herausforderungen mit großer Virtuosität und Leichtigkeit. Die magischen Momente des Konzerts offenbaren sich aber erst abseits des sportlichen höher, schneller, weiter.

Der Klavierabend ist der erste von insgesamt vieren der neuen Reihe Pianomania in der Elbphilharmonie, die sich der musikalischen Gattung der Etüde widmet. Bis etwa 1830 galten Klavieretüden als reine Übungswerke und waren nicht für den Vortrag in der Öffentlichkeit gedacht. Das änderte sich mit Frédéric Chopin und seinen 24 Etüden op. 10 und op. 25. Diese waren nicht nur systematische Übungswerke, bei denen jedes Stück eine bestimmte pianistische Schwierigkeit auf die Spitze trieb, sondern dank hoher musikalischer Qualitäten vollwertige Konzertstücke.

An diesem Abend stehen Etüden der Komponisten Claude Debussy, Karol Szymanowski, Béla Bartók und des britischen Zeitgenossen Julian Anderson auf dem Programm. Und die Piano Etude No. 3 dieses Julian Anderson beschert den wundervollsten Moment des regulären Konzertprogramms. Deren zweite Hälfte hebt sich deutlich vom zumeist sehr schnellen Virtuosenprogramm ab. Es ist sehr zarte, fragile Musik und Cédric Tiberghien spielt sie wunderschön, verwandelt den der Komposition innewohnenden Zauber in absoluter Vollkommenheit in Klang.

Dass er schnelle Finger hat und einen ganzen Abend lang in enormem Tempo virtuos die verschiedensten technischen Herausforderungen meistern kann, zeigt der französische Pianist zu genüge. In dieser einen Etüde bekommt er auch die Gelegenheit zu beweisen, dass er auch langsame Musik wunderbar interpretiert, dass er sehr feingeistig die Zwischentöne und den Raum und die Zeit zwischen den Noten gestalten kann.

Bei aller Virtuosität Tiberghiens: Diese kurze Stelle lässt erahnen, dass er im Bereich der sensiblen musikalischen Interpretation vielleicht seine größten Stärken hat; dass er bei all seiner technischen Sportlichkeit in Wahrheit eher der elegante und tiefgründige Typ ist.

Die weiteren Höhepunkte des Konzerts sind die beiden Zugaben. So technisch stark Tiberghien auch das pianistisch anspruchsvolle Etüden-Programm meisterte: In den nicht wie der Rest des brutalen Programms vom Notenblatt gespielten Zugaben zeigte er sich noch einmal auf einer ganz anderen Ebene. Sein Vortrag ist jetzt viel lebendiger, beseelt von einer inneren Kraft und größerer Klangschönheit. Die Musik erreicht den Zuhörer viel stärker und vermag zu berühren. Ja, dieser Tiberghien kann gefühlvoll Klänge von himmlischer Weichheit hervorzaubern. Das Timing seines Spiels ist jetzt vollkommen.

Nach einer langen technischen Demonstration zeigt Cédric Tiberghien erst im freien Vortrag der Zugaben seine ganze künstlerische Klasse. Man wünschte sich jetzt, dass er das ganze Programm auswendig gelernt hätte und versucht sich auszumalen, was er da noch hätte herausholen können. Doch das wäre dann wohl wirklich zu viel verlangt. Das Publikum feiert den Pianisten auch so mit gewaltigem Applaus.

Sebastian Koik, 22. April 2017 für
klassik-begeistert.de

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