Fotos © Tanja Dorendorf
César Franck, Hulda, Theater Freiburg, Samstag, 16. Februar 2019
Oper in drei Akten von César Franck. Libretto von Charles Grandmougin
Hulda, Morenike Fadayomi
Swanhilde,Irina Jae Eun Park
Mutter Huldas, Anja Jung
Gudrun, Katerina Hebelková
Thordis, Katharina Ruckgaber
Eiolf, Joshua Kohl
Gudleik, Juan Orozco
Aslak, Jin Seok Lee
Philharmonisches Orchester Freiburg
Opern- und Extrachor des Theater Freiburg sowie Studierende der Hochschule für Musik Freiburg
Musikalische Leitung, Fabrice Bollon
Regie, Tilman Knabe
von Leah Biebert
Vier Opern hat César Franck geschrieben, keine einzige davon zu Lebzeiten aufgeführt gesehen. So auch Hulda: Erst nach seinem Tod wurde die Oper in einer stark zensierten Fassung zur Uraufführung gebracht – und ist seitdem in Vergessenheit geraten. Das Werk, das auf ungeschönte Weise die Stammesrivalitäten, Missionierungswellen und religiösen Konflikte im Norwegen des 11. Jahrhunderts thematisiert, wurde vom Theater Freiburg zur deutschen Erstaufführung gebracht.
Francks Vertonung fällt in die Zeit der zunehmenden europäisch-kolonialen Bestrebungen in Afrika – und genau dahin versetzt das Ensemble des Theaters Freiburg die Handlung. Hulda ist keine Isländerin mehr, die als Unterdrückte und lebendige Kriegstrophäe von einem Volksstamm zum anderen überführt wird. Sie ist nun eine Afrikanerin, eine Allegorie der Rache, die als Mahnmal auf die fatalen Auswirkungen des Kolonialismus aufmerksam machen soll.
Wie immer ist die Inszenierung am Theater Freiburg enorm aktuell und reich an Anspielungen: Alltagstreiben in einem Township in Afrika, die blaue Flagge des UNHCR hängt von einer der Wellblechbaracken. Die Frauen, gekleidet in bunte Tücher, tragen Körbe auf ihren Köpfen, verkaufen Obst und warten besorgt auf die Rückkehr ihrer Männer. Immer wieder durchstoßen Querflöte und Oboe den Klangteppich eines wehmütigen Abendliedes, nehmen Motive aus dem Gesang auf. Streicher wirbeln in die Höhe, als der Tag und Huldas Hoffnung zurückkehren. Doch dann zerreißen die Geräusche von Maschinengewehren und schrille Schreie die friedliche Stimmung.
Genauso roh und radikal wie das Libretto aus dem 19. Jahrhundert ist auch die Inszenierung: Eine Horde von Männern stürmt die Bühne, Schusswaffen und Baseballschläger in der Hand, die weißen Unterhemden blutverschmiert. Explosionen, Morde, Vergewaltigungen werden offen auf der Bühne dargestellt. Ein blutrünstiges Durcheinander zur martialischen Tonsprache César Francks. Und mitten drin Morenike Fadayomi als Hulda. Sie rotzt ihren Gesang mitunter raus und das ist auch gut so, denn schön ist hier wirklich nichts.
Es sind die Blauhelme der UN, die zur Tat schreiten; es ist Eiolf, der Hulda aus den Zwängen der Prostitution befreit. Geigen begleiten euphorisch den Kuss der beiden Liebenden. Hulda, sie trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift Proud to be black, schreit nicht nur Verachtung und Schmerz, sondern auch ihre Liebe voller Insbrunst in die Welt hinaus.
Leopardenröcke, holzgeschnitzte Masken, Totenköpfe unter Palmen, bunte Tücher und Bänder. Afrika als Sehnsuchtsort. Morenike Fadayomi mimt eindrucksvoll die erhabene Rächerin. Die Figur der Hulda wird in die Tradition des ‚noble savage‘, des edlen Wilden gestellt. Ein Plädoyer für die Kraft und die Würde der Frau, keine Frage, aber dennoch nicht vollkommen unproblematisch. Denn trotz der anti-imperialistischen Botschaft klingen mehr als einmal rassistische Stereotypen an.
Triumphale Bläser künden von Huldas majestätischer Rache, während Dunkelhäutige auf den Dächern der Baracken und des Hauses mit dem Namen Leopold II (der Belgisch-Kongo galt seit der Kongokonferenz als „Privatbesitz“ des belgischen Königs) überdimensional große, rote Fahnen schwingen; Anklänge an den Gerechtigkeitskampf von Victor Hugos Les Misérables beim Pariser Juniaufstand. Bereits im Jahre 1870, inmitten des Deutsch-Französischen Krieges, komponierte César Franck eine Ode, in der Paris seine Bürger zum Verteidigungskampf aufruft. Geschickt verknüpft das Theaterensemble verschiedene historische Begebenheiten unter derselben Botschaft.
Und so jagt ein Höhepunkt den nächsten: Blutrünstige Morde, wütende Horden, Massenvergewaltigungen. Die Gewalt wird auf die Bühne geholt, begleitet vom monumentalen Orchesterklang. Doch der Einsatz von Projektionen, die Lichteffekte, an die Wand geworfenen Texte und Anspielungen auf vergangenes sowie aktuelles politisches Geschehen verlangt dem Zuschauer viel ab und erfordert volle Aufmerksamkeit. Manchmal mehr als tatsächlich möglich ist. Die Darsteller jedoch scheinen in der Radikalität der Inszenierung aufzugehen: Ein aggressiver Männerchor ergötzt sich am Zweikampf von Gudleik (Juan Orozco) und Eiolf (Joshua Kohl), allein Swanhildes (Irina Jae Eun Park) Liebeskummer reicht in seiner stimmlichen Intensität nicht an den Huldas ran, deren weiche Stimme auch den zärtlichen Momenten viel Tiefgang verleiht.
Die Protagonistin, mit gehörntem Kopfschmuck und behangen mit Fellen und Munitionsgürtel, wird als unbezähmbare Rachegöttin in Szene gesetzt. Die Bilder auf der Bühne, der Gesang und die Worte aus Charles Grandmougins Libretto sind explizit und ausdrucksstark genug, um die Botschaft des Geschehens zu vermitteln. Der Epilog ist betitelt mit „Im Herzen der Finsternis“, ein Verweis auf Joseph Conrads Erzählung Heart of Darkness, die Fragen nach dem Imperialismus und Rassismus aufwirft. Er wirkt wie eine Moralkeule: Ein Text von Ngũgĩ wa Thiong’o, kenianischer Schriftsteller und Kulturwissenschaftler wird weiß auf schwarz an die Wand projiziert, erzählt von der imperialistischen Tradition und der des Widerstands, von den Konsequenzen des Kolonialismus für die heutige Weltbevölkerung, vom Ultimatum, das der Imperialismus an die Afrikaner stellt: „Akzeptiert den Raub oder stirbt“. Plakativität, die unnötig aufbauscht und, anstatt Authentizität herzustellen, diese reißerisch deklariert.
Arbeiter von Katanga Mining schleppen Säcke auf ihren gebeugten Rücken, unter ihnen auch Kinder. Ein wehmütiges Lied erklingt hinter Bauzaungittern, dazwischen die süßen Klänge der Querflöte und der Lärm von Maschinengewehren – und Hulda, wie sie triumphal die Waffe in die Luft reckt, bevor sie, auf einem Pick-Up der UN ihre rote Fahne schwingend, erschossen werden wird. Die Inszenierung ist von der gleichen enormen Kraft wie die Geschichte selbst. Ein Grund, weshalb sie damals gekürzt gespielt werden musste: Mit der Anprangerung des Kolonialismus und der Verurteilung von Gewalt wäre sie eben deshalb ein Skandal gewesen, weil sie hochaktuell war.
Leah Biebert, 17. Februar 2019
für klassik-begeistert.de
Super, dass man mir ein so plastisches Bild der Inszenierung vermittelt. Ich glaube nicht, dass ich diesen Mist sehen muss. César Franck ist einer meiner Lieblingskomponisten, und ich will nicht durch Aktualisierungen der Musik beraubt werden. Ich bin auch eim großer Fan von Belgien und weiß um die Geschichte und Problematik dieses Landes gut Bescheid. Halten uns die Regisseure eigentlich alle für blöd?
Mich interessiert die Musik halt mehr als Maschinenpistolen. SCHADE, habe mich eigentlich riesig gefreut.
Erich Bieri, Schweiz