Foto: Matthias Baus (c)
Deutsche Oper Berlin, 26. Juni 2018
Charles Gounod, Faust
von Regine Neudert
Luftballons und Autoscooter, Bälle, Fahrräder und Rollschuhe stehen hier für Spaß in dieser eigentlich so tragischen Geschichte. Die Wiederaufnahme von Philipp Stölzls „Faust“-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin funktioniert besser, schenkt man einigen Publikumsstimmen Glauben, als die Premiere vor drei Jahren. Dies mag durchaus an der neuen hochkarätigen Besetzung liegen: allen voran Nicole Car und Charles Castronovo, die kurzfristig eingesprungen sind.
Die Inszenierung ist schlank, minimalistisch und gibt der fabelhaften Musik Gounods viel Raum, ihre erzählerische Kraft zu entfalten. Generell erzählt sich die Oper Gounods mit dem Libretto des Pariser Erfolg-Duos Jules Barbier und Michel Carré beinahe von selbst. Regisseur Philipp Stölzl nutzt den ihm zustehenden Raum handwerklich geschickt aus, ohne dabei die Regie zu sehr in den Vordergrund zu stellen. In dieser unaufdringlichen Atmosphäre liegt der Fokus neben der Musik auch auf dem intensiven Spiel, ausgeführt von einem grandios aufeinander abgestimmten Ensemble.
Im Zentrum des Bühnenbilds, für das der Regisseur teilweise selbst verantwortlich zeichnet, steht die Drehbühne der Deutschen Oper. Auf ihr fahren Standbilder herein und wieder heraus, wird der Chor platziert oder aber eine Handlung im Schnelldurchlauf gezeigt. Geschickt setzt Stölzl dabei Freeze-Formationen ein, die sich konsequent durch die Inszenierung ziehen. Die Grundstimmung ist ruhig und grau, wird jedoch gelegentlich durch farbliche Akzente wie Fausts Glitzerkostüm oder bunte Luftballons (diese tauchen symbolisch immer wieder auf) gebrochen.
Barbier und Carré extrahierten ihr Libretto aus Goethes Drama und setzten gemeinsam mit Gounod einen deutlichen Akzent auf das tragische Schicksal Marguerites. Unschuld, Liebe, Verführung und Verrat sind die Quintessenz dieser Oper, in der Faust, trotz der offensichtlichen Beeinflussung durch Méphistophélès, sehr einseitig und berechnend daherkommt. Bestürzung und Mitleid dürften sich wohl in jedem gerührt haben.
Als Gegenpol dazu sorgt die sängerische Leistung des Abends für absolute Glücksgefühle! Allen voran Nicole Car und Charles Castronovo als Marguerite und Faust. Nicole Car avanciert mit ihrem warmen schlanken Sopran und exzellenten Legatobögen zum Star des Abends und Publikumsliebling. Castronovo weiß neben einer bemerkenswerten musikalischen Leistung auch durch sein Spiel zu beeindrucken. Der Partie des Méphistophélès leiht Alex Esposito seinen gut geführten Bass, den Bösewicht verkörpert er glaubwürdig. Viel Applaus ernten außerdem die Ensemblemitglieder Thomas Lehman (Marguerites Bruder Valentin) und Vasilisa Berzhanskaya (Siebel). Einzig der Chor der Deutschen Oper entspricht nicht den Erwartungen. Vor allem an Spielfreude mangelt es sichtlich; dies kann auf die undankbar häufige Verbannung ins Freeze zurückgeführt werden.
Jacques Lacombe am Dirigentenpult führt das Orchester der Deutschen Oper Berlin sicher durch die psychologisierende Partitur. Niemals zu laut, mit hörbarer Energie und wohlbedachter Dynamik fungiert das Orchester als zusätzliche Erzählinstanz und emanzipiert sich als ebenbürtiger Partner des Bühnengeschehens.
Das Publikum gibt sich an diesem Abend ungewohnt zurückhaltend, belohnt die Vorstellung am Ende jedoch mit dem mehr als wohlverdienten Applaus. Nach knapp dreieinhalb Stunden wunderbar lyrischer, französischer Oper darf man durchaus müde, aber glücklich den Heimweg antreten.
Weitere Vorstellungen am Freitag, 29. Juni 2018, 19.00 Uhr, Dienstag, 3. Juli 2018, 19.00 Uhr und Freitag 6. Juli 2018, 19.00 Uhr in der Deutschen Oper Berlin.
Regine Neudert, 27. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de
Musikalische Leitung, Jacques Lacombe
Inszenierung, Philipp Stölzl
Co-Regie, Mara Kurotschka
Bühne, Philipp Stölzl, Heike Vollmer
Kostüme, Ursula Kudrna
Licht, Ulrich Niepel
Chöre, Thomas Richter
Faust, Charles Castronovo
Méphistophélès, Alex Esposito
Marguerite, Nicole Car
Valentin, Thomas Lehman
Siebel, Vasilisa Berzhanskaya
Wagner, Dean Murphy
Marthe, Fredrika Brillembourg
Chor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin