Foto: Riccardo Muti, © Marco Borrelli
Kölner Philharmonie, 9. Januar 2019
Chicago Symphony Orchestra
Riccardo Muti
Sergej Prokofjew:
Romeo und Julia, Auszüge aus den Sinfonischen Suiten op. 64a und b
Sinfonie Nr. 3c-moll op.44
von Kirsten Liese
Es ist 20 Jahre her, als das Chicago Symphony in der Kölner Philharmonie zuletzt gastierte, damals unter Daniel Barenboim.
Mit umso größerer Spannung wurde nun das Konzert am 9. Januar an diesem Ort erwartet, mit dem es seine jüngste Europatournee eröffnete, die sich in Wien, Paris, Luxemburg, Neapel, Florenz, Mailand, und Lugano in den kommenden Wochen fortsetzt. Stationen freilich, von denen einige in besonderem Bezug zu dem amtierenden Chefdirigenten des Orchesters, Riccardo Muti, stehen, den es insbesondere angesichts seiner engen Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern immer wieder in die österreichische Metropole zieht. In Mailand leitete er viele Jahre als Chefdirigent die Scala, in Florenz das Festival Maggio Musicale, in Neapel wurde der Maestro geboren.
Als ich das CSO erstmals unter Muti 2017 in Hamburg während der Eröffnungswoche der Elbphilharmonie erlebte, konnte ich die künstlerische Leistung angesichts der unvorteilhaften Akustik auf meinem Platz in Block A gar nicht richtig beurteilen, da flogen einem die Fortissimi nur so um die Ohren. Muti nahm dieses Manko zum Anlass zu erklären, dass er da nicht wieder auftreten werde. Aber an dieser Stelle wollen wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich die Akustik in diesem sonst so wunderbaren Konzerthaus noch nachbessern lässt.
Dagegen förderte der Auftritt in der Kölner Philharmonie sogar noch auf seitlichen Plätzen hinter Kontrabässen und Blech einen satten, kompakten, elastischen Forteklang zu Tage, wie ihn nur Orchester von absoluter Weltklasse hervorzubringen in der Lage sind. Mittlerweile seit zehn Jahren prägt Muti das CSO als Chef, die Früchte dieser langen Zusammenarbeit offenbaren sich vor allem in der ungemeinen Sensitivität jedes einzelnen Musikers. Seismographisch reagieren sie auf den Maestro, der die Musik in all ihren Facetten von Ausdruck, Farben und Dynamik tief auslotet.
Mit der dritten Sinfonie von Prokofjew widmete sich Muti einem wenig bekannten, aufführungsgeschichtlich vernachlässigten Werk, das in Anlehnung an die Oper Der feurige Engel von einer jungen Frau erzählt, die wegen eines sinnlichen Begehrens exorziert – und schließlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird. So wie der Komponist einzelne Motive der Oper neu verarbeitete und seine Sinfonie ausdrücklich nicht als „Sinfonie des Feurigen Engels“ verstanden haben wissen wollte, regt das gewaltige, bisweilen bis zur Schmerzgrenze anschwellende Opus aber auch zu anderen Assoziationen an.
Die Vorstellung von einem Weltuntergang, die dem russischen Pianisten Swjatoslaw Richter beim Hören der Dritten in den Sinn kam, passt recht gut. Bisweilen erinnert die Musik mit Anflügen ins Groteske sogar ein wenig an Schostakowitsch, dessen zehnte Sinfonie Babi Yar das CSO übrigens auch gerade auf CD eingespielt hat. Jedenfalls geht es sehr an die Nieren.
Es will schon etwas heißen, wenn sich die grelle Explosivität dieser Musik sogar auf den sonst so diszipliniert auf dem Podium agierenden, geerdeten Muti überträgt, dem nichts ferner steht als ein Dirigent, der optisch eine große Show abzieht, dass er einmal ein Bein hebt und mehrfach die Faust ballt.
Bisweilen bewegt sich Prokofjew, so der Eindruck beim erstmaligen Hören, dicht an der Schwelle zur Moderne wie Richard Strauss in seinen Einaktern Elektra und Salome.
Dann hört es sich so an, als überschreite die Musik die Tonalität wie zum Beispiel zum heftigen, rastlosen Beginn im ersten Satz Moderato oder in den gespenstischen Streicher-Glissandi im Allegro agitato.
Die diesen Abend dominierende Dramatik zieht sich freilich auch durch die Auszüge aus der Romeo und Julia-Suite mit ihren markanten Rhythmen und furchteinflößenden Akkorden. Doch auch in den leisen berührenden Momenten dieser sinfonischen Kompilation aus der Ballettmusik wagte man kaum zu atmen. Es war dies die Sternstunde der Holzbläser unter den Solisten. Mit dem denkbar zärtlichsten Ausdruck und großer Beseeltheit brachten sie die unschuldige, chancenlose Liebe des jungen Pares verfeindeter Familien zum Leuchten. Angefangen von Stefán Ragnar Höskuldsson (Flöte) über William Welter (Oboe), Scott Hostetler (Englischhorn), William Buchman (Fagott), Miles Maner (Kontrafagott) bis hin zu Michael Holmes (Saxophon) hatte jeder seinen großen Auftritt.
Muti ließ ihnen alle Zeit der Welt, ihre Melodien und Motive zu entfalten und bereitete atmosphärisch den idealen Boden dafür. Noch dazu ließen sich im weit aufgefächerten Panorama Neben-Instrumente vernehmen, die man kaum je mit dieser Klarheit vernommen hat: allen voran die Celesta.
Allerdings wäre es unfair, wo wir schon einmal dabei sind, nicht auch die, teils sogar kurzfristig eingesprungenen, Solisten aufzuführen, die sich in der dritten Sinfonie mit glänzenden Einzelleistungen hervortaten: Christina Smith vom Atlanta Symphony (Flöte), Keith Buncke (Solo-Fagott), Esteban Batallan (Solo-Trompete), Gene Pokorny (Tuba) und David Cooper und Daniel Gingrich (Horn).
Das Publikum feierte sie alle verdient mit stehenden Ovationen. Dafür gab es als Zugabe noch die Reverie von Scriabin. Die dritte Sinfonie von Prokofjew müsste man eigentlich gleich noch einmal hören, um mit ihr vertrauter zu werden. Nach einmaligen Hören lässt sich dieses gewaltige Opus, das Muti zu seinen Lieblingswerken zählt, in seiner ganzen Komplexität gar nicht erfassen. Aber es steht ja in den kommenden Tagen und Wochen noch mehrfach auf weiteren Stationen auf dem Programm. Außerdem bringt Muti wechselweise noch Dvoraks Sinfonie Aus der Neuen Welt, Hindemiths Sinfonie Mathis der Maler und das Verdi Requiem.
Kirsten Liese, 11. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weitere Tourdaten 2020:
12. – 14. Januar Wien,
16. Januar Luxemburg
17. Januar Paris
19. Januar Neapel
20. Januar Florenz
21. Januar Mailand
23. Januar Lugano