Chilly Gonzales: Brillant in Morgenmantel und Pantoffeln in Berlin

Chilly Gonzales, Stella Le Page, Joe Flory,  Haus der Berliner Festspiele, 21. November 2018

Foto: www.chillygonzales.com (c)
Haus der Berliner Festspiele, 21. November 2018
Klavier, Gesang: Chilly Gonzales
Cello, Gesang, Melodica: Stella Le Page
Schlagzeug, Gesang, Trompete: Joe Flory

von Yolanda Marlene Polywka

Der kanadische Pianist und Entertainer Chilly Gonzales gibt im Rahmen der Berliner Festspiele drei Konzerte (21., 22. und 23. November 2018). Alle drei sind – natürlich – ausverkauft. Der Grammy-Preisträger, der mit bürgerlichem Namen Jason Charles Beck heißt, steht mit seinem 27-stündigen Klavierkonzert im Guiness-Buch der Rekorde für das längste Solokonzert aller Zeiten, komponierte schon für Apple Werbung und sagt von sich selbst, dass er ein lausiger Koch sei. Außerdem spielt er gerne in Morgenmantel und Pantoffeln Klavier.

So auch am Mittwochabend, als er etwas verspätet die Bühne des Hauses der Berliner Festspiele betritt. Aus den Ärmeln des Camouflage-Morgenrocks schaut ein weißes Hemd hervor, als sich Gonzales an den Bechstein-Flügel setzt. Er schnipst einmal, und an der Wand hinter ihm erscheint eine Projektion, die die Klaviatur zeigt, sodass das Publikum ihm beim Spielen quasi auf die Finger schauen kann. Man könnte nun problemlos wie gebannt zuschauen, wie die Finger über die Tasten fliegen, wenn der Künstler nicht selbst auch wahnsinnig sehenswert wäre, wie er da an seinem Instrument sitzt, mit den Füßen stampft, sich im Takt wiegt und die Haare von rechts nach links wirft.

Es geht – ganz Gonzales-untypisch – direkt mit dem Konzert los. Man muss nicht einmal eingefleischter Fan sein, um zu wissen, dass der Künstler sein Publikum normalerweise noch mit ein paar Anekdoten und Erläuterungen anheizt, das ist allgemein bekannt. Diesmal nicht. Zu Beginn spielt er einige Stücke aus seinem neuesten Album Solo Piano III. Die Stücke heben sich von denen der Vorgänger-Alben Solo Piano I und II dahingehend ab, dass sie überlegter und durchgeplanter wirken. Im Gegensatz zu den mitunter recht poppigen und im positivsten Sinne eingängigen Stücken wie „Oregano“, „Minor Fantasy“ und Co. überzeugen die neuen Lieder mit einer ruhigen und wohlüberlegten Gelassenheit. Gemeinsam hat die Musik der drei Alben aber dennoch ihren leichtfüßig plätschernden Charakter – ganz Gonzales-typisch eben.

Irgendwann ergreift der Pianist, der ja aber auch ein Vollblut-Entertainer ist, endlich doch das Wort und glänzt mit seinen neuen Deutschkenntnissen. „Anscheinend reicht es, wenn ich still bin und einfach Klavier spiele“ – eine Anspielung auf den Dokumentarfilm über Gonzales mit dem Titel Shut Up and Play the Piano. Vokabeln wie „Unbequemlichkeit“, „Handschuhe“ und „Fremdschämen“ setzt der Künstler in so herrlich lustigen Kontext, dass das Publikum immer wieder fast schon hysterisch am Kichern ist. Ab und zu verfällt er dann doch ins Englische und mit selbstbewussten Aussagen wie „Rap is the music we deserve“ erntet er tosenden Applaus. Ja, rappen kann er auch, das beweist er direkt, nach einem kleinen Einführungskurs in Rap-Theorie. Das Metronom dient ihm dabei als Drum Machine.

Singen klappt auch sehr gut, vor allem mit der Unterstützung von Cellistin Stella La Page und Drummer Joe Flory. Besonders gelungen ist dabei die Gesangseinlage in „The Grudge“ aus dem Album Ivory Tower. Das Trio vorne auf der Bühne harmoniert hervorragend, sowohl stimmlich als auch instrumental. Lieder wie „Cello Gonzales“ – für den Titel entschuldigt sich der Künstler unter Gelächter – muten beinahe kitschig an, einfach weil sie so schön sind. Bei Gonzales sieht immer alles leicht aus: Klavier spielen, dabei die gebannten Zuschauer unterhalten und absolut entspannt wirken. Diese Entspanntheit hört man in seiner Musik, die sich aber ansonsten schwer in Worte fassen lässt. Jazzig angehauchter Klavier-Neoklassik-Pop mit gelegentlichen Gesangs- und Rap-Einlagen trifft es nicht so ganz und ist dazu noch unhandlich. Die Musik ist unaufdringlich anspruchsvoll, streichelt die Seele und zwinkert einem zuweilen schelmisch zu.

Mein persönliches Highlight des Abends ist übrigens „Knight Moves“. Schon am Klavier ist das Stück eine Wucht, aber begleitet von Cello und Schlagzeug entwickelt sich eine nahezu atemberaubende Dynamik, die den Höhepunkt des Konzerts markiert. Danach verlassen die drei die Bühne, das Publikum steht geschlossen, klatscht immer weiter, bis Chilly Gonzales wieder auftaucht, jetzt im braunen Morgenrock und untermalt von den übertrieben dramatischen Klängen einer Trompete und einer Melodica. Sie spielen noch ein Stück, gehen ab, werden wieder auf die Bühne geklatscht. Das Publikum liebt seinen Gonzales und macht nachdrücklich deutlich: „Chilly, please play the piano and don’t shut up!“

Yolanda Marlene Polywka, 22. November 2018, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

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