Das Chineke! Orchestra zählt mittlerweile weltweit zu einem der musikalisch interessantesten Ensembles

CHINEKE! ORCHESTRA / STEWART GOODYEAR / KELLEN GRAY, Schleswig-Holstein Musik Festival  Elbphilharmonie, 6. Juli 2023

Foto: https://www.chi-chinwanoku.com

CHINEKE! ORCHESTRA / STEWART GOODYEAR / KELLEN GRAY

Schleswig-Holstein Musik Festival

ORCHESTERREVOLUTION

„Den Wandel fördern und die Vielfalt in der klassischen Musik feiern – das ist das Motto des von Chi-chi Nwanoku gegründeten Chineke! Orchestra. Die in London geborene Kontrabassistin wurde 2014 vom damaligen britischen Kulturminister Ed Vaizey gefragt, warum neben ihr nur wenige Schwarze Musikerinnen und Musiker regelmäßig auf internationalen Bühnen zu sehen waren. »Darauf hatte ich einfach keine Antwort«, so Nwanoku. Ein Jahr später gründete sie Chineke! – das erste Orchester in Europa mehrheitlich bestehend aus People of Color. Doch der Klangkörper bringt nicht nur in Bezug auf die Ausübenden mehr Diversität in die immer noch vor allem durch weiße Menschen geprägte Klassikszene. Die Vielfältigkeit von Chineke! spiegelt sich ebenso in seinen Programmen wider, etwa mit Werken von Komponistinnen und Komponisten afroamerikanischer Herkunft. Auch deshalb zählt es mittlerweile weltweit zu einem der musikalisch interessantesten Ensembles.“

Elbphilharmonie, 6. Juli 2023

Chineke! Orchestra
Stewart Goodyear Klavier
Dirigent Kellen Gray

Veranstalter: Schleswig-Holstein Musik Festival

PROGRAMM

Samuel Coleridge-Taylor
Othello-Suite

Stewart Goodyear
Callaloo – Caribbean Suite for Piano and Orchestra

– Pause –

Florence B. Price
Sinfonie Nr. 3 c-Moll

von Harald Nicolas Stazol

Samuel Coleridge-Taylor!!!

Und seine Othello-Suite. Der Komponist am Piano, Othello, natürlich, der Mohr von Venedig, nun auch über den Tasten, das muss man erlebt haben!

So überkommt es dich, wenn du die jüngste Schwester von Naomi Campbell, Stephanié, in die Elphi begleiten darfst – natürlich hole ich sie ab, als sie in der Tür steht, eine gertenschlanke Massai-Kriegerin, mich über einen Kopf überragend, ich habe die High Heels füglichst erbeten, dass sie gülden sind, erfasse ich erst jetzt, man möge sich vorstellen, es bewegt sich grazilst ein schwarzer, Sie überragender, schwarzer Bleistift vor sich her, stupor mundi, oh, did I mention the hair?

Die enggeflochtene Krone einer Namibianischen Prinzessin. Muss ich noch mehr sagen?

Gerade noch Vogue France und Shooting in Milano, nun eingeflogen zum „Laufsteg“ im Foyer an der Elbe – So überkommt es dich, wenn du die jüngste „Coloured Sister“ von Naomi Campbell, und so sieht sie auch aus, „we are family“, Stephanié, in die Elphi begleiten darfst – natürlich hole ich sie ab, als sie in der Tür steht, eine gertenschlanke Massai-Kriegerin, mich über einen Kopf überragend, ich habe die High Heels füglichst erbeten, dass sie gülden sind, erfasse ich erst jetzt, man möge sich vorstellen, es bewegt sich grazilst ein schwarzer, Sie überragender, schwarzer Bleistift vor sich her, stupor mundi, oh, did I mention the hair?

Es gibt so etwas wie „Positiven Rassismus“.

Und wenn eine Konzertkritik hiermit politisch sein wird – keine Bange, ich komm auch noch auf die wundersam-wundervollwunderbare Musik – nun, hier ist die junge Naomi zuerst im Parkett – da sind genau zwei Weisse im vollbesetzten Symphonieorchester, der eine könnte aber auch Maori sein an der Trompete, man tappt ja, auch optisch darf man es sagen, ja sensationellerweise völlig im Dunkeln – und man zählt fünf Schwarze im Publikum der Halle, von 2100 Plätzen – ein Paar, sie Schwarzafrika, einen Block weiter, mit Ohrgehängen, und dünn, so dünn. Ein Herr, auch er geht irgendwann mitten drin hinaus, ich glaube goldgelber Seidenanzug, Savile Row, aber wir greifen vor…

Ich hatte damit gerechnet, dass Steffi alias Naomi Aufmerksamkeit erregen würde. Dass die alten Weiber ihre unverschämt gaffenden alten Pfeffersäcke wegzerren, von meiner Gazelle, und ICH darf das sagen, über die Hübscheste, damit haben wir beide nicht gerechnet – und nach dem dritten Blick des geilen, deutschen Bocks, von Bein zu Po zur Büste in meine Augen, „Gott, was kostet Dich denn die?“ – und ich feuere in die Augen zurück, DAS IST MEINE TOCHTER!!!“

Denn es gibt so etwas wie positiven Rassismus.

Sehen Sie, die klassische Musik ist ja eher eine Passion, die einer, so sagt man, etwas überheblichen Redaktion nicht genügte, darob Sie mich ja nun wieder auf diesen Seiten zu finden haben werden.

Ich war auch einmal beim STERN –  „dem Schönen“ zugetan.

Es mag eine Schwäche sein, aber es ist eine schöne. Und ich neben der Schönen! Einen ganzen Abend lang!

Dies, vor der allertollen Musik, voraus. DIESEM gilt es sich zu widmen.

Heute Abend aber sind wir alle Lichterkette und boat people zugleich.

© 2023 STEWART GOODYEAR, WEBSITE: ORCHID MEDIA

Mißverstehen Sie mich nicht, in jeder Aussage über die einzigartige Eigenartigkeit dieses Orchesters anders zu sprechen, als, wie beim Schachspiel. Von „Schwarz und Weiss“ oder etwa der „schwarz-weiss Photographie“. Politisch korrekt eben, ein feiner Grat, zumal für mich.

Allein – wenn sich durch reine „Serendipity“, einen unmöglichen Zufall, nicht nur die  3. Symphonie der „schwarzen Komponistin“, Florence B. Price, auf YouTube meldet – ihrer Symphonie gleich wird noch von Besonderem sein:

Fünf Schwarze sitzen unter uns unter 2100, zwei Weisse in einem vollen Symphonieorchester, und mit allenthalbenen Erstaunen stellt man fest, dass die Initiatorin dieses Berliner Orchesters zugleich den Kontrabass spielt, „it wouldn’t have been possible earlier“, sagt die weibliche Wilde Mähne von Powerfrau sehr eloquent – und man sieht sie gar nicht, man hört sie nur.

Sie erinnern sich, ich nun neben Naomi, und es ist alles etwas légère. „Haben Sie keine langen Hosen, und gar kein Hemd?“ inquisitiere ich einen Dreadlockträger mit Haaren bis zum Arsch; Sie verzeihen; hinter mir, da ist er schon einmal in der Ouvertüre runtergelaufen, und auch das quäkige Zweimonatige in der Brusttasche macht mich wahnsinnig, liebes SHMF, aber die Mutter geht raus, mitten im 2. Satz, ich denke langsam daran, zwischendurch eine natürlich verbotene Zigarettenpause einzulegen, auf dem viel zu kleinen Balkon, merci, Herzog&de Meuron.

Mach ich aber nicht.

Ich muss gestehen, ich habe das Programm des Eröffnungskonzertes des Schleswig-Holstein-Musik-Festivals nur einmal geöffnet, ich hatte keine Ahnung, was sich mir, uns, Naomi und mir anschicken würde, sich zu eröffnen.

Chineke! Orchestra – das klang interessant, überaus interessant. Also flugs antechambriert, es sei kein Problem, und nun sitzen Naomi, die sehr viel Jüngere und ich im Parkett.

Hier aber meine Frage – ist dies dem vollen Klange ungünstig? Mir scheint, dass die Stimmen sich anfangs überlappen, aber es kann auch – dies, wie alles hier unter Vorbehalt! – an einer gewissen jazzigen Interpretation wirken, und so gemahnt der Dirigent Kellen Gray, darf man solche Vergleiche ziehen, – an den dirigierenden Louis Armstrong.

Ich sagte es schon, aber betone noch einmal:

Man wird mit stupendem Erstaunen gewahr, dass die gerade noch im Englischen im Saale so wortgewandte Frau Chi-chi Nwanoku nicht nur Orchester-Gebärerin ist, sondern, sollte ich meinen Augen trauen dürfen, den äußersten Kontrabass spielt. Naomi pflichtet mir bei.

Die andere nubische Königin, einen Block weiter, geht hinaus, mittendrin. Eine schnuckelig-schneekugelige Oma folgt ihr. Ja, wo bin ich denn hier gelandet?

Und natürlich alle zwischen den Sätzen, einmal wird sogar, nach der Pause, zur so beeindruckenden Tonmalerei, im Ghetto-amerikanischen, sich langsam hervorarbeitend, eine Biographie als Symphonie, da hauen sie hinten so in die Congas und Kokosnüsse – ich mag mich irren, das war so schnell – und die Schellen ohnehin – da bricht sich plötzlich ein „Yeaaahhhueeewow!* los, wie ich es in dieser Heiligen Halle bislang nicht gewärtigen durfte – und musste.

Naomi sagt mir in der Pause, das mit dem Säugling, das fände sie ganz cool, ich selbst saß mit 4 in des Vaters Weihnachtsoratorium, mit fünf in Fauré, sah mit 7 Klee und die Fabergé Eier in der Hypo Vereinsbank, gleich nach der Totenmaske des Tut-ench-Amun – in München, und zweimal in Cairo blickte ich dem Kindpharao ins Antlitz – vielleicht kann man ja nicht früh genug anfangen?

An sowas denke ich. Schon Anfangs. Und andere Dinge auch.

Wenn die Schleswig-Holsteiner damit nicht ein Zeichen gesetzt haben, dann weiß ich auch nicht.

Harald Nicolas Stazol, 10. Juli 2023,  für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Maisky & Friends – Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals Petrus-Kirche, Kiel, 4. Juli 2023

Schleswig-Holstein Musik Festival 1.7. – 27.08.2023 klassik-begeistert.de, 24. Februar 2023

Paavo Järvi, Dirigent, Alena Baeva, Violine, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Elbphilharmonie, 29. Juni 2023

NDR Elbphilharmonie Orchester, María Dueñas Violine, Dirigent Alan Gilbert Elbphilharmonie, 23. Juni 2023

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