Foto © Anja Kahlmeyer
Luthers Lieder – Musik aus Luthers Gesangbüchern im Herzen Hamburgs
Konzert im Kleinen Michel, Hamburg-Neustadt, 4. November 2017
ChorAltona,
Vokalensemble Capella Peregrina,
Kleines Kantatenorchester Altona
Leitung: Ute Weitkämper
Über Martin Luther wurde in den vergangenen Monaten viel geschrieben, gesprochen und gesendet. Sogar einen zusätzlichen Feiertag hat er uns dieses Jahr am 31. Oktober beschert. Als Erinnerung an den Beginn der Reformation mit seinem Thesenanschlag vor 500 Jahren in Wittenberg. Ist Luther also plötzlich wieder ganz aktuell? Auf jeden Fall wirkt sein Einfluss auf die Kirchenmusik bis heute nach, gilt er doch als Begründer des deutschsprachigen Kirchenliedes und des Amtes der evangelischen Kantoren. Luther selbst musizierte gerne und viel. In seinen Tischreden schrieb er: „Gott predigt das Evangelium durch die Musik.“
Musik war eine wichtige Triebfeder der Reformation. Martin Luther dichtete und komponierte Choräle, um seine neuen theologischen Erkenntnisse unters Volk zu bringen. Teilweise benutzte er hierfür bekannte Volksweisen, die er mit christlichen Texten unterlegte. Diese Lieder sangen die Menschen in der Schule, zu Hause und auch im Gottesdienst. Schon bald entstanden weitere Choräle in deutscher Sprache auch von anderen Dichtern und Komponisten. Es wurden zahlreiche Gesangbücher gedruckt, deren Liedschätze Johann Sebastian Bach wie auch seine Vorgänger und Nachfolger zu geistlichen Werken inspirierten. Diese Choräle, Motetten und Kantaten erklingen noch heute in Gottesdienst und Konzert.
Kurz nach dem Reformationstag und passend zum Beginn des Gedenk- und Erinnerungsmonats November (Allerseelen, Allerheiligen, Ewigkeitssonntag) hat die kirchenmusikalische Vereinigung KlangRäume e.V. aus Hamburg-Altona den Lieddichter und Musikfreund Luther als Titelhelden ihres Konzertprogramms am 4. November im Kleinen Michel (St. Ansgar) gewählt: in der Hamburger Neustadt, im Herzen der Freien und Hansestadt Hamburg. Aufgeführt wurden Vertonungen deutschsprachiger Kirchenlieder von Buxtehude, Kuhnau und aus der Bach-Familie – ein ur-protestantisches Programm in einer katholischen Kirche, das vor allem den beiden musikalischen Predigern Martin Luther und Johann Sebastian Bach huldigte.
Zu Beginn des Konzertes erklangen zwei eng miteinander verbundene Werke von zwei Leipziger Thomaskantoren: Von Johann Kuhnau (1660-1722) die fünfstimmige a-cappella Motette „Tristis est anima mea“ (Meine Seele ist betrübt bis an den Tod). Und von seinem direkten Amtsnachfolger an der Thomaskirche Johann Sebastian Bach (1685-1750) die ebenfalls fünfstimmige Motette „Der Gerechte kommt um“, eine Bearbeitung des Werkes seines Vorgängers: mit deutschem Text und einem Instrumentalsatz, der sich wie ein Teppich unter den Chor legt. Während die Kuhnau-Motette von neun Sängerinnen und Sängern der Capella Peregrina a-cappella wunderbar einfühlsam gesungen wurde, musizierten die Bach-Motette alle etwa 50 Ausführenden gemeinsam.
Danach widmeten sich der ChorAltona, das Vokalensemble Capella Peregrina und das Kleine Kantatenorchester Altona unter der Leitung von Ute Weitkämper dem reichen Schatz deutschsprachiger Kirchenlieder, der in der Reformation seinen Ursprung genommen hat. Drei Lieder aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die heute noch im Evangelischen Gesangbuch stehen, bildeten den Rahmen: „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“ von Martin Luther selbst (1524), „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ von Phillipp Nicolai (1599) und „Jesu, meine Freude“ von Johann Franck (1650).
Und auch hier stellten die Laien-MusikerInnen jeweils Varianten der Vertonung dieser Lieder gegenüber. Nach dem vierstimmigen Bach-Choral „Jesu, meine Freude“, dem Eingangssatz aus der gleichnamigen Motette, den Ute Weitkämper zunächst ganz zart auf dem Spinett vorstellte, erklang die Kantate des großen Lübecker Kirchenmusikers Dietrich Buxtehude (1637-1707) für Chor, Orchester sowie Sopran und Bass Soli.
Solisten waren drei Mitglieder der Capella Peregrina: Jana Volkert mit ihrem tollen, klangschönen Sopran (brava!) Esther Soltau (Sopran), die wunderbar in der tieferen Lage berührt. Sowie Stefan Kreutz (Bass, bravo!): ein Laien-Sänger mit einer ungemein gepflegten, anmutigen und umwerfend sicheren Gesangskultur.
Von Buxtehude erklang anschließend auch der Choral „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“ aus einer Trauermusik für seinen Vater, in dem ein vierstimmiger Instrumentalchor einen kunstvollen Kontrapunkt musiziert, während der Chor darüber einstimmig zwei Strophen des Chorals singt. Eindrucksvoll auch hier die anschauliche Bildhaftigkeit des Textes: „Der Tod ist mein Schlaf worden“. Als Counterpart erklang anschließend von der Capella Peregrina die doppelchörige Motette „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren“ von Johann Christoph Bach (1642-1703), einem Großcousin von Johann Sebastian. Der Text erzählt von Simeon, der in Frieden sterben kann, nachdem er das Christuskind gesehen hat.
Der vierte Teil des Konzertprogramms war dann eine reine Familienangelegenheit. Hier standen sich Vater Johann Sebastian und Sohn Johann Christoph Friedrich Bach (der sogenannte „Bückeburger Bach“, 1732-1795) gegenüber. Beide vertonten den bekannten Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ in ihrer eigenen Art und Weise. Vom Thomaskantor erklangen als Auszüge aus seiner Kantate BWV 140 drei Sätze über den Choral – darunter der großangelegte Eingangschor mit der schwebenden Liedmelodie im Sopran und der fast schon barocke Schlager „Zion hört die Wächter singen“ mit dem cantus firmus im Tenor, der vor allem als Orgelstück aus der Sammlung der „Schüblerschen Choräle“ berühmt geworden ist. Der Sohn Christoph Friedrich vertonte das Kirchenlied als jubilierende dreisätzige Motette, die im Konzert vom ChorAltona und der Capella Peregrina mit Orchesterbegleitung abwechselnd dargeboten wurde.
Auch die Tonsprache von Bach junior illustriert wunderbar plastisch den Text, zum Beispiel die nachdrücklichen „Wachet auf“-Weckrufe, die stimmungsvolle Mitternacht, das übermütig vor Freude springende Herz oder das hell werdende Licht. Am Schluss bezieht sich der Sohn schließlich auf seinen „Übervater“ und erweist ihm seine Referenz, indem er dessen Choralsatz auf die Worte „Gloria sei dir gesungen“ wortwörtlich zitiert, während er an anderen Stellen des Werkes schon über die barocke Musiksprache seiner Vorfahren hinausweist und ein Fenster in die musikalische Zukunft öffnet.
Begann das Konzert wunderbar verhalten und wie von Ferne mit den schönen Einzelstimmen der Capella Peregrina in der klagenden Kuhnau-Motette „Tristis est anima mea“, gipfelte der Abend in den phasenweise ausgelassenen und sehr tänzerischen Tutti-Klängen der beiden Bach-Vertonungen des Kirchenliedes „Wachet auf, ruft uns die Stimme“. Wow, der groovt, dieser Bach!
Ein Besucher brachte es nachdem Konzert mit drei Wörtern profan auf den Punkt: „Bach ist geil!“
Als die letzten „Wachet auf“-Rufe im Kirchraum des Kleinen Michel verklangen, konnten die Zuhörer spüren, was Ute Weitkämper gesagt hatte: „Musik ist eine Brücke zwischen unserer diesseitigen und einer anderen Welt.“ Das Publikum dankte den mit Begeisterung und Leidenschaft musizierenden Ausführenden mit großem Applaus.
Das Konzertprogramm erklang auch am 5. November 2017 in der wunderschönen Christianskirche Ottensen in Hamburg-Altona.
Andreas Schmidt, 6. November 2017, für
klassik-begeistert.de
Weitere Informationen zum KlangRäume e.V. online unter www.klangraeume.org
Foto: Bachstadt Köthen (Anhalt)