Die Elbphilharmonie vergrault ihr Publikum – Kulturverfall als Zeitphänomen

Die Elbphilharmonie vergrault ihr Publikum  Klassik-begeistert.de 4. September 2022

Foto: Elbphilharmonie © Daniel Dittus

Wenn nun zunehmend Menschen davor zurückschrecken, die Elbphilharmonie zu besuchen, dann sollte man sich überlegen, was hier schiefläuft. Es kann nicht darum gehen, diesen Konzertsaal von Weltrang stets gefüllt zu bekommen. Die Elbphilharmonie hat in der Tat etwas zu verlieren.

von Dr. Andreas Ströbl

Am kommenden Sonntag, 11. September, wird wieder der „Tag des offenen Denkmals“ begangen. Der Violinist und Moderator Daniel Hope wird sich an diesem Tag auf die Suche nach musikalischen Denkmälern machen. Das wirft die Frage auf, was denn den Denkmalcharakter eines Musikstücks, eines Konzerts oder einer Oper ausmachen könnte.

Mit Sicherheit kann es nicht darum gehen, ehrfurchtsvoll vor verstaubten Werken vergangener Jahrhunderte zu verharren. Die Pflege musikalischer Denkmäler besteht darin, sich, ob ausführend oder hörend, mit Begeisterung dem hinzugeben, was die sogenannte „klassische“ Musik (die längst nicht mehr von modernen Strömungen wie Jazz, Blues oder Weltmusik zu trennen ist) an Emotionen, Erfindungen, Denkanstößen, Gesellschaftskritik oder blanker Lebensfreude zu bieten hat. Das kann aber nur gelingen, wenn man der Musik, den Ausführenden und dem Publikum gegenüber respektvoll begegnet.

„Klassik begeistert“ hat immer wieder auf Auswüchse hingewiesen, die den Musikgenuss und mittlerweile auch die Wiedergabe von Musik stark beeinträchtigen, und so sei hier erneut vermerkt, dass dies nicht aus der selbstgefälligen Haltung einer Handvoll schnöseliger Bildungsbürger erwächst, die arrogant auf diejenigen herabsehen, die sich einem angemessenen Verhaltenskodex verweigern.

Bravo! Elbphilharmonie-Chef sorgt endlich für Ruhe und Ordnung in seinem Haus, Elbphilharmonie Hamburg, 31. März 2019

Rotterdams Philharmonisch Orkest, Yannick Nézet-Séguin Dirigent, Elbphilharmonie, 27. April 2022

Elbphilharmonie Hamburg, Publikum, Entgleisungen, Peinlichkeiten 27. Juni 2022

 

 

So einfach ist das nicht. Aber wenn ein Besuch der „Elphi“ zum Ferienprogramm ganzer Busladungen von Menschen gehört, die eigentlich gar kein Interesse an der Musik haben oder die – und auch das ist nicht überheblich gemeint – schlichtweg nicht wissen, wie man sich in einem Konzerthaus verhält, dann besteht offenbar Handlungsbedarf. Niemand muss barsch zurechtgezischt werden, wenn er oder sie der ehrlichen Begeisterung Ausdruck geben möchte. Aber es zerstört die Struktur von Liederzyklen oder Symphonien, wenn zwischen den einzelnen Stücken oder Sätzen geklatscht wird, als wären dies Show-Nummern.

Jüngst hat der Dirigent von Weltrang Yannick Nézet-Séguin seine Anspannung beim dauernden Zwischenapplaus während eines der Saison-Eröffnungskonzerte fein aber unzweifelhaft deutlich gemacht.

Saisoneröffnung in der Elbphilharmonie, Werke aus der USA Hamburger Elbphilharmonie, 30. August 2022

 

Im Gespräch mit Besucherinnen und Besuchern der Elbphilharmonie aus Hamburg, dem Um- aber auch dem Ausland wird immer stärkerer Unmut hörbar, und mittlerweile meiden bislang treue Klassikbegeisterte sogar diesen Kulturort. Hier sollten die Alarmglocken der Verantwortlichen schrillen.

Nun wurde mir ein kurzes aber deutliches Schreiben zugesandt, das die Meinung einer locker zusammengefügten Gruppe von Musikinteressierten aus Lübeck und Umgebung wiedergibt. Es sind teils Berufstätige, teils Rentnerinnen und Rentner, aber auch jüngere Leute, die gemeinsam Konzerte und Opern anhören; manche von ihnen fahren mit einem gemieteten größeren Wagen auch mal nach Verona oder Bayreuth, sehr gerne auch zu all den wundervollen Spielstätten, mit denen beispielsweise das „Schleswig-Holstein Musik Festival“ aufwarten kann.

Wenn nun zunehmend Menschen davor zurückschrecken, die Elbphilharmonie zu besuchen, dann sollte man sich überlegen, was hier schiefläuft. Es kann nicht darum gehen, diesen Konzertsaal von Weltrang stets gefüllt zu bekommen. Die Elbphilharmonie hat in der Tat etwas zu verlieren.

Das Schreiben sei hier beigefügt:

Sehr geehrter Herr Herausgeber Schmidt,

vielleicht sehen Sie eine Möglichkeit, diese Zeilen an die Leitung der „Elbphilharmonie“ weiterzuleiten.

„Wir sind eine kleine Gruppe musikinteressierter Menschen verschiedener Altersgruppen aus Lübeck und Umgebung, die oft gemeinsam in Konzerte oder die Oper geht, aber auch mitunter weit reist, um besondere Veranstaltungen gemeinsam zu besuchen. Oft sind wir in Hamburg, selbstverständlich in Laeiszhalle und Oper, aber auch in der Elbphilharmonie.

Einigen aus unserem Kreis liegt das Werk Gustav Mahlers besonders am Herzen und so waren wir auch zur Vierten Symphonie und dem „Lied von der Erde“ im Frühjahr im Großen Saal der Elbphilharmonie. Erschüttert waren wir allerdings vom Verhalten des größten Teils des Publikums (Ihre Autoren berichteten ja darüber), vor allem vom Klatschen zwischen den Sätzen – abgesehen davon, dass die Aufführung der „Vierten“ sogar unterbrochen werden musste.

Die Zweite Symphonie ist ja nun ein überragendes Werk der Musikliteratur überhaupt und einigen aus unserer Runde ein wirkliches Heiligtum. Daher haben wir uns entschieden, die Aufführung der „Auferstehungssymphonie“ am 2. und 3. September in der Elbphilharmonie nicht zu besuchen, um uns dieses besondere Erlebnis nicht durch diejenigen verderben zu lassen, die nicht wissen, wie man sich angemessen verhält – gegenüber den Musikerinnen und Musikern, den Dirigenten und denen, die diese Musik wirklich genießen wollen.

Schade, wenn man sich zum Boykott eines Konzerts entschließt, weil man Angst haben muss, dass es einem vermiest wird. Und schade ist es auch, dass sich offenbar niemand aus der Führungsriege dieses wichtigen Konzerthauses verantwortlich fühlt, hier höflich aber bestimmt einzugreifen. Das Haus verspielt damit seinen guten Ruf.“

Die Namen sind der Redaktion bekannt

Dr. Andreas Ströbl für, 4. September 2022,
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

 

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