Ein Kommentar
Foto: Christian Thielemann © Matthias Creutziger
von Kirsten Liese
„Es ist schade um die Menschen“, schrieb August Strindberg in seinem „Traumspiel“, ein Satz aktueller denn je, dies auch im Hinblick auf die jüngsten Geschehnisse im Dresdner Musikleben: Über das Orchester hinweg entscheidet eine Kulturministerin den Vertrag seines Chefdirigenten auslaufen zu lassen. Es geht dabei nicht um irgendwen, sondern einen der genialsten Dirigenten unserer Zeit. Bis zur Verbannung aus der Semperoper wegen Corona-Restriktionen reiste das Publikum aus allen Himmelsrichtungen an, um Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle zu erleben.
Die Gründe dieser Dame stehen zwischen den Zeilen. Für die gewünschte Zukunft werden „neue Wege“ und eine „zeitgemäße Interpretation von Musiktheater und konzertanter Kunst“ angeführt. Es lässt sich denken, was sie sich darunter vorstellt: radikale Inszenierungen, die sich mit weit hergeholten Gegenwartsbezügen von ihren Urhebern entfernen und möglichst noch aktuelle politische Themen wie Rassismus oder Klimaschutz einbeziehen. Und zwar ungeachtet dessen, dass große Teile des Publikums solcher Produktionen längst überdrüssig sind und viele oftmals lieber die Augen schließen, um sich auf die Musik zu konzentrieren.
Christian Thielemann hat sich gegen solche Verstümmelung von Kunst stets gesträubt. Das verbindet ihn mit seinem italienischen Kollegen Riccardo Muti, und das ehrt ihn! In einer verkehrten Welt darf er deshalb nicht mehr als Leuchtturm erstrahlen. Freiheit der Kunst und Meinungsfreiheit? Fehlanzeige.
Neben der musikalischen Exklusivität, die hier leichtfertig verspielt wird, zumal im Musiktheater keine vergleichbaren Dirigier-Größen zur Verfügung stehen, schleicht sich auch noch ein anderer verheerender Verdacht ein: Geht es in der Sache auch um Finanzen? Will die Politik im klassischen Musikbetrieb, der in Corona-Zeiten ohnehin schon großen Schaden genommen hat, billigere Führungskräfte beschäftigen, womöglich auch verstärkt auf digitale Formate umsatteln? Das freilich bedeutete dann nicht die „Götterdämmerung eines Solitärs“ wie die „Süddeutsche Zeitung“ titelte, sondern die Götterdämmerung einer ganzen Branche.
Um Thielemanns Zukunft muss man sich zum Glück gleichwohl nicht sorgen. Das Ausland schätzt und liebt ihn! So war dem Kommentar in der österreichischen Zeitung „Die Presse“ zu entnehmen, dass bereits die Mailänder Scala und die Wiener Philharmoniker die Zusammenarbeit mit dem Berliner Stardirigenten intensivieren wollen. Bislang ließ der Terminkalender wenig Raum dafür. Es ist schade – um die deutschen Klassikliebhaber.
Kirsten Liese, 13. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Liebe Frau Liese,
Vielen Dank für den sehr guten und wichtigen Beitrag, Sie sprechen mir aus der Seele!
Herzliche Grüße aus Stockholm,
Yehya Alazem
Was geplant ist, kann nur vermutet werden. Es kann eigentlich alles sein. Deshalb muss das Schlechte nicht angenommen werden. Thielemann und Muti gehören zu den arrogantesten Dirigenten unserer Zeit, das werden Ihnen viele Musiker, ja sogar Orchester, bestätigen. In dieser Branche kenne ich mich seit Jahrzehnten aus. Dass Thielemann ein zu schmales Repertoire hat, ist bekannt, dass er Oper verschwindend wenig dirigiert, obwohl Opern-Generalmusikdirektor, geht gar nicht. Dass er sich gern mit jedem anlegt, der nicht seine Linie verfolgt und dabei sogar auf Forderungen gegen jede Vernunft besteht, geht auch gar nicht. Man war das alles in Dresden einfach leid. Das kann ich verstehen.
Robert Forst