Im Gemälde gefangen:
„Pelléas et Mélisande“ in der Staatsoper Berlin

Claude Débussy, Pelléas et Mélisande, Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 14. Juni 2018

Foto: Tatjana Dachsel (c)
Claude Débussy, Pelléas et Mélisande, Staatsoper Unter den Linden,
Berlin, 14. Juni 2018

Daniel Barenboim, Musikalische Leitung
Ruth Berghaus, Inszenierung
Hartmut Meyer, Bühnenbild, Kostüme
Raymond Hughes, Chor
Wolfgang Schöne, Arkel
Anna Larsson, Geneviève
Rolando Villazón, Pelléas
Michael Volle, Golaud
Marianne Crebassa, Mélisande
Solist des Tölzer Knabenchors, Yniold
Dominic Barberi, Arzt, Hirte
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin

 von Gabriel Pech

Eine tiefe Melancholie erfüllt den Saal, wenn Claude Débussys „Pelléas et Mélisande“ erklingt. Die Bühne der Staatsoper Berlin malt ein impressionistisches Gemälde, in dem sich die Charaktere verfangen. Ein Entrinnen aus dem immer gleichen Zustand scheint unmöglich, einzig Mélisande ist fleischgewordener Hoffnungsschimmer.

Zwei Brüder begehren Mélisande, es sind die Söhne des Königs Arkel von Allemonde. Mit dem einen, Golaud, ist sie ehelich verbunden, mit Pelléas dagegen verbindet sie wahre Liebe. Nie lassen sich die beiden Liebenden echten Ehebruch zu Schulden kommen, trotzdem ereilt Pelléas am Ende das Schicksal des Brudermordes. Mélisande stirbt, kurz nachdem sie das Kind des von Eifersucht zerfressenen Golaud zur Welt gebracht hat.

Leider scheint bei der letzten Vorstellung der Spielzeit die Luft schon etwas entwichen zu sein. Die immer gleichen Gesten, die Ruth Berghaus ganz bewusst so inszeniert, sehen aufgesetzt aus, und die Bewegungen der Sänger wirken oft unmotiviert. Selbst die Übertitel setzen zweimal aus. Diese Inszenierung ist nach einer zehnjährigen Pause wieder auf dem Spielplan, den technischen Umständen im Schillertheater geschuldet. Man täte gut daran, sie mit etwas neuem Leben zu füllen, sonst bleibt es beim reinen Symbolismus, der echte Emotionen an vielen Stellen vermissen lässt – Regietheater im schlechten Sinne.

Dabei ist das Bühnenbild von Hartmut Meyer wunderschön gestaltet. Wenn man sich darauf einlässt, lässt sie einen in das von Claude Débussy evozierte Gefühl ganz versinken. Er nimmt die Farben und Stimmungen auf, die Débussy in seiner Musik malt.

Dieser Musik verleiht die Staatskapelle Berlin unter dem Dirigat Daniel Barenboims den Zauber, den sie verdient. Der Klang ist filigran und drückt doch jede Klangfarbe aus, die Dynamiken sind fein abgestimmt.

Michael Volle als Golaud ist phänomenal. Er verleiht der Figur etwas Väterliches, ein Sehnen nach der Jugend von Mélisande, während ihm gleichzeitig die Kindlichkeit der beiden Liebenden aufs Äußerste missfällt. Sein Bassbariton strahlt Wärme aus, hat Volumen und Präzision. Seine Stimme ist ganz befreit und gehorcht ihm völlig. Auch die missgeleitete Erotik des Charakters verkörpert er überzeugend. Obwohl er bei Weitem keinen Sympathieträger spielt, leidet man doch mit ihm.

Ein weiterer Gewinn dieses Abends ist Marianne Crebassa als Mélisande. Durch ihr schnelles Vibrato erinnert die Französin an eine Chansonsängerin im Stile Edith Piafs, vor allem die leichten, sanften Stellen gelingen ihr außergewöhnlich gut. Ihr Solo im Turm, bei dem sie ihr Haar besingt, ist entzückend. Fast ganz ohne die Hilfe des Orchesters muss sie diese Stelle bestreiten und erzeugt dabei einen Zauber, der das Publikum an ihren Lippen hängen lässt. Sie ist die einzige Darstellerin, der man all diese zufällig wirkenden Gesten der Inszenierung glaubt. Dabei bleibt sie natürlich und ist selbst ein Lichtstrahl dieses sonst so düsteren Abends.

Leider kann die Titelrolle selbst nicht vollends überzeugen. Nachdem Rolando Villazón als Pelléas nach der Premiere herbe Kritik ernten musste, singt er an diesem Abend solide. Solange er in der Baritonlage bleibt, ist seine Stimme homogen und emotional überzeugend. Sobald er aber in tenorale Gefilde vordringt, verliert seine Stimme an Substanz und klingt nasal. Erst in seiner Sterbeszene am Ende des vierten Akts kann er gehörig auffahren und nur mithilfe von Lautstärke doch noch entsprechenden Klang erzeugen.

Wolfgang Schöne als König Arkel kommt an vielen Stellen leider nicht über das Orchester hinweg. Sein Bass hat ein schönes Fundament, wirkt aber in den Höhen etwas flach.

Mit einem besonders dunklen Alt gibt Anna Larsson die Geneviève. Selbst mit Französischkenntnissen, die zu wünschen übrig lassen, kann man hören, dass bei ihr alle Vokale gleich klingen. Ihre Stimmfarbe ist nicht schlecht und stellt ein Potential dar, welches man, dermaßen nachgedunkelt, leider nur selten erkennen kann.

Einen besonderen Höhepunkt des Abends stellt der Solist des Tölzer Knabenchors dar, der Golauds Sohn Yniold verkörpert. Während Kinder auf der Opernbühne sowieso stets mit großem Beifall rechnen dürfen, hat dieser Knabe doch wirklich jedes Lob verdient. Er hat einen glockenhellen Sopran, der trägt und voluminös ist. Die wirklich schwierige Partie meistert er souverän. Auch schauspielerisch lässt er keine Wünsche offen, selbst wenn er die Bühne im vierten Akt fast allein füllen muss. Von diesem Knaben, der im Programmheft namenlos bleibt, werden wir definitiv noch hören.

Gabriel Pech, 15. Juni 2018,
für klassik-begeistert.de

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