„Ein bösartiger Ratgeber ist die Leidenschaft“ – Monteverdis „Krönung der Poppea“ in Schwerin ist ein Fest der Stimmen

Claudio Monteverdi, Die Krönung der Poppea  Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin, Premiere am 12. Dezember 2025

Poppea Schwerin © Silke Winkler 


„Zustände wie im Alten Rom!“ – angesichts der Intrigen, Lügen, Mord- und Suizidaufträge, vor allem aber der Gier nach Macht in Claudio Monteverdis Oper „Die Krönung der Poppea“, liegt der Ausruf nahe. Und in der Tat – einige der schrecklichen Vorkommnisse sind historisch belegt, anderes ist hinzugedichtet. Schlimm genug. Umso dankbarer kann man aber sein, wenn diese ganzen entsetzlichen Geschichten in zauberhafte Musik verpackt sind und dann noch meisterhaft präsentiert werden. Das hat das Mecklenburgische Staatstheater
Schwerin in der Inszenierung von Operndirektorin Judith Lebiez am 12. Dezember 2025 bravourös umgesetzt.

Claudio Monteverdi, Die Krönung der Poppea (L’incoronazione di Poppea)

Anna Cavaliero, Sopran
Laila Salome Fischer, Mezzosopran
Gala El Hadidi, Mezzosopran
Sandro Rossi, Countertenor
Anne-Aurore Cochet, Sopran
Brian Davis, Bariton
Federica Moi, Alt
Ascelina Klee, Mezzosopran
Sebastian Köppl, Tenor
Martin Gerke, Bariton

Matin Schelhaas, Musikalische Leitung
Judith Lebiez, Inszenierung
Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin

Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin, M*Halle,
Premiere am 12. Dezember 2025

von Dr. Andreas Ströbl

Perfektes Opernerlebnis trotz Umbauphase

Da das wunderschöne Schweriner Theater derzeit wegen Bauarbeiten geschlossen ist, weicht man auf andere Orte, wie die sogenannte M*Halle, aus. Das „M“ steht für Mecklenburg und in der ehemaligen Druckhalle der Schweriner Volkszeitung können auch große Opern aufgeführt werden. Deutlicher Vorteil für die Auswärtigen: Endlich gibt es genügend Parkplätze!

Natürlich sind einer Produktion ohne Schnürboden inszenatorische Grenzen gesetzt, aber das reduktionistische Bühnenbild von Petra Schnakenberg, die auch die Kostüme entworfen hat, mit wenigen beweglichen, durch geometrische Grundformen geprägte Leichtbau-Elementen reicht völlig aus. Der Raumklang ist trocken und ganz ohne Hall, was aber der Textverständlichkeit und der Brillanz der Orchesterstimmen zugute kommt.

Durchweg großartige Solistinnen und Solisten, eine detailverliebte Personenregie und ein wirklich zauberhaft spielendes Orchester sowie ein gekonntes Spiel mit dem Raum, dessen Empore oder Treppe zwischen den Sitzreihen auch genutzt werden, machen diese Produktion zu einem in jeder Hinsicht überzeugenden Opernerlebnis.

Poppea Schwerin © Silke Winkler

Ein Fest der Stimmen – und der Stimmenvielfalt!

Monteverdis letzte Oper zeichnet sich durch eine große Vielfalt unterschiedlicher Stimmlagen aus. Klar – die heute mit Sopran oder Mezzosopran besetzten Rollen übernahmen zur Entstehungszeit Kastraten.

Was aber gerade die Schweriner „Poppea“ so faszinierend macht, sind die wirklich beeindruckenden individuellen Ausprägungen der Mitwirkenden. Die zahlreichen hohen, weiblich wirkenden Lagen lassen naturgemäß beim Hören die Geschlechtergrenzen verschwimmen. Die Schweriner treiben das noch ein Stück weiter, indem auch durch die Kostümierung klassische Rollenbilder infrage gestellt werden. Respektive einer oft bemüht wirkenden und zumal auch von den Betroffenen immer wieder als wenig hilfreich empfundenen Gender-Diskussion kommt die Schweriner Interpretation aber gänzlich unaufgeregt daher, das Ineinandergleiten von männlichen und weiblichen Aspekten erscheint schlichtweg konsequent.

Tatsächlich ist das Travestie-Spiel ja auch den Renaissance- und Barockbühnen alles andere als fremd, wie allein die Szene mit dem als Frau verkleideten Ottone, der in dieser Kostümierung die Titelfigur ermorden soll, belegt.

Ebendiese Poppea ist Anna Cavaliero, die ihren leuchtenden Sopran problemlos von mädchenhaft-liebestrunken zu machthungrig-berechnend changieren lässt. Psychologisch vielschichtig gestaltet sie auch spielerisch die Rolle und macht sie ausgesprochen facettenreich. Auch der Göttin Fortuna leiht sie eingangs ihre Stimme; da ahnt man noch kaum, was sich an irdischen Abgründen auftun wird.

Zwar moralisch zutiefst verwerflich, aber in der Welt- und Selbstsicht des egomanen und größenwahnsinnigen Nerone durchaus nachvollziehbar ist, dass er zuliebe dieser bezaubernden jungen Dame seine treue Gattin Ottavia verstößt. Für die ungemein vielseitige Mezzosopranistin Laila Salome Fischer ist das eine Paraderolle. Mit Perlenkette und mit Perlen verziertem Hosenanzug ist sie keinem Geschlecht klar zuzuweisen, was dem Miteinander mit Poppea eine homoerotische Note verleiht.

Auf beängstigende Weise verbindet die Sängerin den Gesang, der manchmal im Parlando dem Libretto noch heftigeren Ausdruck verleiht, mit Mimik und Gestik. Wer den Fehler macht, diesen Nerone als irgendwie unmännlich und damit weich zu empfinden, sieht sich herb getäuscht. Die Sängerin gibt der Wut eines wahnsinnigen Despoten, von denen die Welt derzeit mehr als genug hat, erschreckende Gestalt.

Laila Salome Fischer, Judith Lebiez, Anna Cavaliero – Photo Andreas Ströbl

Das muss auch der Lehrer des Tyrannen, der weise Seneca, bis zum tödlichen Ende erfahren. Brian Davis erfährt die Gnade, den einzigen echten Sympathieträger der Oper darstellen zu dürfen, aber, in kaiserliche Ungnade gefallen, hat er sich selbst zu töten. „Ein bösartiger Ratgeber ist die Leidenschaft“, weiß er, aber sein selbstsüchtiger Schüler schlägt diese Weisheit in einem dynamisch packenden Dialog in den Wind. Dem Göttervater Jupiter gleich, bestimmt er, was wahr und richtig ist, da kann die Vernunft einpacken. Davis’ väterlicher, voller Bariton ist stimmlich ein wundervoller Antipode zu den hohen Lagen – inhaltlich stellt er den Gegensatz stoischer Philosophie zur Dekadenz des 1. Jahrhunderts in der Metropole Rom dar.

Opfer des Regimes sind auch der ehemalige Liebhaber Poppeas, Ottone, und die wiederum ihn liebende Drusilla. Ersterer ist der Countertenor Sandro Rossi, der seine großen Gefühle klagend und schluchzend beeindruckend erlebbar macht. Aber auch er folgt eher der Begierde, als der echten Liebe. Drusilla wird beinahe Opfer einer mörderischen Travestie, Anne-Aurore Cochet verkörpert mit leidenschaftlich-hoffnungsvollem, schließlich fügsamem Sopran eine Drusilla, die Opfer eines miesen Intrigenspiels wird, dem sie nur durch Aufrichtigkeit entkommt. Sie singt auch die Tugend Virtù (die Tapferkeit), eine der echten Verliererinnen des Dramas.

Die vom Herrscher fallengelassene Gattin steckt hinter dem Komplott gegen die neue Favoritin, denn sie will Ottones Loyalität nutzen, um Poppea unschädlich zu machen. Man hat viel Sympathie mit der verschmähten Ottavia, die Gala El Hadidi mit sehr weiblich-warmem Mezzosopran verkörpert, aber sie kann eben auch ein Biest sein, wenn sie ihren Willen durchzusetzen versucht. Inhaltlich ist das verständlich, aber so wird auch sie Teil eines tödlichen Spiels.

Poppea Schwerin © Silke Winkler

Ein echter Star des Abends ist Federica Moi als Amme Arnalta. Wann hat man in den letzten Jahren eine solch kernigen, markanten Alt gehört, voller Glut und machtvoller Fülle? Zuweilen ist man an Mercedes Sosa erinnert, und wenn man die Augen schließt, weiß man oft nicht, ob hier nicht ein Mann singt. Die Altistin hat am Ende noch einen großen Auftritt, als sie, ihren sozialen Aufstieg als Vertraute der First Lady in Vorfreude feiernd, sich ausmalt, wie diejenigen, die sie früher einfach duzten, sich jetzt vor ihr verneigen müssen. Da zieht sie nochmal alle Register, stimmlich vom Bass bis zum Mezzo, und spielerisch von der Frau aus der Gosse bis zur feinen Dame – aber die Eliza Doolittle spitzt dann doch gleichsam immer noch durch. Grandios!

Mezzosopranistin Ascelina Klee gibt den Liebesgott Amor, wenngleich ihr kokettes Wesen keinen Zweifel daran lässt, dass es hier eher Cupido, also der Gott der Leidenschaft, und weniger die Verkörperung der Liebe, Amor, ist, der hier seine Finger im Spiel hat.

Bei den Wächtern Nerones, dem Tenor Sebastian Köppl, und dem Bariton Martin Gerke, wird ebenfalls mit Androgynität gespielt. Das Spielen hat hier eine weitere Bedeutungsebene, denn mit Köppl als Lucano vergnügt sich Nerone im Bällebad, das wie eine Mischung aus Comic-Schaumbad und Abhol-Paradies für kleine Diktatoren im Einkaufszentrum eines Monty-Python-Universums wirkt.

Goldene Schleppe und goldene Klänge

Am Ende sind Nerone, Poppea und der triumphierende Cupido-Amor in eine gigantische, schier endlose goldene Schleppe gehüllt. Triumph der Liebe oder verlogenes Ränkespiel? Man hört zumindest das berühmte Liebesduett „Pur ti miro“ mit gemischten Gefühlen; historisch Bewanderte wissen, dass zu diesem Zeitpunkt Octavia bereits auf Befehl Neros im Exil ermordet worden war.

Poppea Schwerin Applausphoto Andreas Ströbl

Golden sind auch die Klänge der Orchestermitglieder aus der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerin. Unter der Leitung von Martin Schelhaas, der auch die Truhenorgel spielt, zaubert das fast kammermusikalisch besetzte Ensemble warmen Monteverdi-Klang voller Innigkeit und intimer Schönheit. Die Harfe entlässt schimmernde Klangperlen in den Saal, und die Theorbe entführt in eine Tonsprache, die oft noch an die Renaissance gemahnt, wenngleich die Oper deutlich in den Barock leitet. Zauberisch und delikat geben die Musiker diese Musik wieder, die wie eine bessere Miniaturwelt erscheint – gleichsam als Gegenentwurf zum menschlich-gierigen Duktus, der die Handlung bestimmt.

Menschlich in ihrem Eigensinn, ja egoistischem Wettstreit, sind ja auch die Götter dargestellt. Fortuna und Virtus verblassen zu Karikaturen ihrer selbst. Wer vollständig im Personal dieser Oper fehlt, ist Justitia. Gerecht geht es hier wahrlich nicht zu.

Gerechtfertigt aber ist der stürmische, langanhaltende Beifall in der M*Halle. Wer Monteverdi liebt oder ihn kennenlernen will oder aber alte Musik mal so hören will, als wäre sie ganz neu, der sollte sich diese Produktion nicht entgehen lassen. Große Oper!

Die nächsten Aufführungen sind am 21. und 26. Dezember und am 3. Januar des neuen Jahres.

Dr. Andreas Ströbl, 14. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Claudio Monteverdi, L’Incoronazione di Poppea  Staatsoper Unter den Linden, 26. November 2022

Blu-ray-Rezension: Claudio Monteverdi, L’Incoronazione di Poppea klassik-begeistert.de

Claudio Monteverdi, L’incoronazione di Poppea Wiener Staatsoper, 6. Oktober 2021

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