"Poppea": Wegen solch einer Aufführung wurden die Salzburger Festspiele gegründet!

Claudio Monteverdi, L’incoronazione di Poppea,  Salzburger Festspiele, Haus für Mozart

Foto: © Salzburger Festspiele / Maarten Vanden Abeele
Salzburger Festspiele, Haus für Mozart
, 18. August 2018
Claudio Monteverdi, L’incoronazione di Poppea

von Phillip Schober

Vor vier Jahrhunderten entwickelte Claudio Monteverdi die Kunstform der Oper und führte diese zugleich zu ihrem Höhepunkt. Alle nachfolgenden Komponisten mussten sich an der Musikalität dieses frühbarocken Meisters messen. Bei den Salzburger Festspielen begleitete das Barockensemble „Les Arts Florissants“ die Aufführung von Monteverdis letzter Oper, der „L’incoronazione di Poppea“. Einzigartige Stimmen sowie traumhafte Tänzer führten zur Krönung dieser Poppea.

Der belgische Choreograf Jan Lauwers bewies in seiner ersten Opernregie, dass weniger doch oft mehr ist. Mit einer leeren und schwarzen Bühne, unter Verzicht auf jegliche Requisiten und Ausstattung, schuf er die menschlichste Opernproduktion des Jahres. Von klassischer Inszenierung kann bei Jan Lauwers keine Rede sein. Halbszenisch löste er „L’incoronazione di Poppea“ von ihrer historischen Handlung und stellte sämtliche Künstler zeitlos in Ihrem Menschsein dar. Keine Sekunde dieses Abends wirkte aufgesetzt, alles entstand für den Moment und im gegenseitigen Zusammenspiel des Ensembles.

Der Regisseur verzichtete auf jegliche politische Deutung oder gar Neuinterpretation des Werkes. Vielmehr standen Improvisation, Menschlichkeit und persönliche Rollengestaltung im Vordergrund. Lauwers ließ seiner Tanzkompanie, den Sängern als auch dem Orchester einen unendlichen Freiraum auf der kärglich ausgestatten Bühne. Die Tänzer bewegten sich frei zu den Klängen des Orchesters. Fiktion und Realität verschwommen mystisch zu einem authentischen Zusammenspiel. Teils aus dem Hintergrund agierend, teils mitten im Orchester platziert, komplettierten die Tänzer alle Emotionen der Musik in Gestik, Mimik und Bewegung. Das Publikum konnte sich nie sicher sein, ob es den Künstler in einer naturalistischen Darstellung oder in der Verkörperung seiner Rolle erleben durfte.

Ganz im Sinne der Produktion verkörperte die bulgarische Sopranistin Sonya Yoncheva die Titelrolle Poppea als menschliches Wesen. Die Darstellung dieser machtgierigen Figur zeigte sie in all ihren Facetten. Die Stimme von Yoncheva ist so gewaltig wie ihre Rolle, in allen Registern singt sie vollkommen sicher und einwandfrei. Sie weiß von Zartheit bis Zorn jede Emotion auszudrücken.

Kate Lindsey verkörperte Nerone und ging mit Yoncheva eine klanglich ideale Verbindung ein. Jeder Ton von ihr saß perfekt. Ihre Stimme wirkte wie der Kern der gesamten Aufführung. Sobald sie die Bühne betrat, zog sie die volle Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. Solch eine Bühnenpräsenz ist wahrhaftig einzigartig.

Als Kaiserin Ottavia versprühte Stéphanie d’Oustrac die pure Rachsucht. Ihre Rollengestaltung wirkte so real, als habe Monteverdi ihr persönlich die Regieanweisungen instruiert. Auch ihre Stimme trug sicher über die Wogen des Orchesters.

Renato Dolcini gab einen soliden Seneca, wirkte jedoch als einziger Sänger in dem Regiekonzept etwas unsicher. Das Publikum nahm ihm die Rolle noch nicht vollständig ab. Vielleicht bräuchte der Bariton noch einige Vorstellungen, bis er sich mit Jan Lauwers’ Konzeption anfreunden könnte…

Umso mehr erheiterte das Publikum dafür jeder Auftritt des Countertenors Dominique Visse. In seiner Darstellung der Amme Arnalta wurde die Dramatik dieser Vorstellung im tänzerischen Strudel für kurze Zeit unterbrochen. Stimmlich und darstellerisch bot er eine großartige Leistung.

In kleiner Besetzung bildete das Ensemble „Les Arts Florissants“ den Mittelpunkt der Produktion. Der Dirigent William Christie selbst gründete 1979 das eigens für diese Salzburger Poppea engagierte Orchester. Christie begleitete seine 15 Barockspezialisten am Continuo-Cembalo und gab hierbei seinen Musikern die größtmöglichen Freiräume. In barocker Tradition entstand durch seine Zurückhaltung ein kammermusikalisches Zusammenspiel zwischen Sängern, Tänzern und dem Orchester, wie es heutzutage eine Seltenheit ist. William Christie leitete das Orchester antiautoritär. Als gleichberechtigter Musiker setzt er lediglich behutsame Impulsive. In Eigenverantwortung gestaltete das Ensemble die Aufführung ganz in seiner Interpretation.

Jede Aufführung dieser Serie von barocker Musik vermochte individuell und einzigartig zu werden. Die 15 Musiker des Orchesters spielten wie einzelne Solisten, gänzlich unabhängig von einem Dirigenten, vollkommen vereint in kammermusikalischer Virtuosität. Dieses intuitive Zusammenspiel zwischen Sängern und Orchester war mit einem Liederabend zu vergleichen. Es entstand eine echte, gänzlich auf Improvisation angelegte Musikalität. Alle Mitwirkenden dienten nur dem Moment und ihrer Kunst. Diese wurde nicht nachgeschaffen, sondern entfaltete sich zu jedem Augenblick vollkommen neu, vollendet in freier Verbindung zwischen Musik und Tanz.

“Pur ti miro, Pur ti godo – Dich nur anschauen, Dich nur genießen“: Sonya Yoncheva und Kate Lindsey ließen im Schlussduett der Poppea und Nerone in unendlicher Zärtlichkeit die Zeit stillstehen. Vier Stunden barocke Virtuosität fanden in frei klingenden, sanft ineinander verschlungenen Stimmen ihren Höhepunkt. Der anrührende Gesichtsausdruck beider Sängerinnen spendete dem Publikum wahre Glückseligkeit.

Das Publikum dankte es ihnen mit augenblicklich einsetzenden Bravo-Rufen und Standing Ovations. Für genau solche Aufführungen haben Künstler wie Max Reinhardt, Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal die Salzburger Festspiele vor fast einhundert Jahren gegründet!

Phillip Schober, 20. August 2018, für
klassik-begeistert.de

Sonya Yoncheva – Poppea
Kate Lindsey – Nerone
Stéphanie d’Oustrac – Ottavia
Carlo Vistoli – Ottone
Renato Dolcini – Seneca
Ana Quintans – Virtù / Drusilla
Marcel Beekman – Nutrice / Famigliare I
Dominique Visse – Arnalta
Lea Desandre – Amore / Valletto
Tamara Banjesevic – Fortuna / Damigella
Claire Debono, Pallade / Venere
Alessandro Fisher – Lucano / Soldato I / Tribuno / Famigliare II
David Webb – Liberto / Soldato II / Tribuno
Padraic Rowan – Littore / Console I / Famigliare III
Virgile Ancely – Mercurio / Console II
William Christie –  Musikalische Leitung
Sarah Lutz – Solotänzerin
Tänzer und Tänzerinnen des BODHI PROJECT
sowie der SEAD Salzburg Experimental Academy of Dance
Jan Lauwers, Regie, Bühne und Choreografie
Lemm&Barkey, Kostüme
Ken Hioco, Licht
Elke Janssens, Dramaturgie

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