Nelson Goerner © Marco Borggreve
Concertgebouworkest
Iván Fischer, Dirigent
Nelson Goerner, Klavier
Sergej Prokofjew – Ouvertüre über hebräische Themen c-Moll op. 34a, für kleines Orchester
Sergej Prokofjew – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 16
Sergej Prokofjew – Ausschnitte aus Suite 1 und 3 von dem Ballett „Cinderella“ (Aschenbrödel) op. 107 für Orchester
Zugaben: Frédéric Chopin – Nocturne in Cis-Moll, op. posthum (No. 20)
Sergej Prokofjew – Marsch aus der Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“ op. 33
Kölner Philharmonie, 14. Februar 2025
von Daniel Janz
Es mutet komisch an, Prokofjew zu einen vergessenen Klassiker erheben zu wollen. Alleine mit „Romeo und Julia“ dürfte er sich auf ewig ins kulturelle Weltgedächtnis komponiert haben. Auch „Peter und der Wolf„, seine Sinfonien und einige seiner Solokonzerte erregen bis heute Aufsehen. Aber wenn man darüber hinausgeht, muss man feststellen, dass er sonst erstaunlich selten präsent ist. Es braucht in Köln beispielsweise erst die Gäste vom Concertgebouworkest, um andere Werke dieses hoch geschätzten russischen Künstlers zu spielen. Prokofjew also zum Vorfreuen!
Moderne Klänge treffen auf in Teilen schwieriges Publikum
Den Einstieg machen die Gäste mit einem kaum bekannten Werk aus Prokofjews Zeit in New York. Dort komponierte er die Ouvertüre über hebräische Themen in Zusammenarbeit mit dem aus jüdischen Spielern bestehenden Zimro-Ensemble. Diese Musik weist deutliche Anklänge an jüdische Klezmermusik auf. Gerade die – heute solistisch vor dem Orchester stehende – erste Klarinette kommt hier gut zur Geltung, wenn sie das Thema immer wieder ins Orchester hineinpustet. Der Rest des Werkes wirkt indes etwas ungelenkt, in Teilen sogar seicht. Der Rezensent fühlt sich von dieser Musik jedenfalls nicht berührt. Ist das etwa Prokofjew zum Vergessen?
Deutlich gewagter geht es im 2. Klavierkonzert des russischen Geniekomponisten zu. Dieses Werk ist sehr impressionistisch gehalten und soll bereits zur Uraufführung 1913 das Publikum verschreckt haben. Es ist ein sperriges Stück Musik, das sich nicht direkt beim ersten Anhören erschließen mag. Es braucht Aufmerksamkeit und Konzentration, um sich darauf einzulassen. Prokofjew zum Mitdenken also!
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Leider wird das an diesem Abend durch das Publikum im nur halb vollen Konzertsaal erheblich erschwert. Dabei sind es gar nicht einmal die Huster von Köln oder immer wieder durch den Saal ziehende Zischgeräusche, die mitteilungsbedürftige Sitznachbarn zur Ruhe anhalten wollen.
Als Gipfel der Störungen erweist sich eine Person, die sich hinter der letzten Reihe im ersten Satz des 2. Klavierkonzerts übergibt. Und das leider so geräuschintensiv, dass es bis in die ersten Reihen hallt, egal wie krampfhaft man versucht, sich auf Anderes zu konzentrieren. Es wurde sofort gestreut und in der Pause gewischt, alles recht leise und unauffällig. Der betroffenen Person gelten unsere guten Besserungswünsche, und innerlich hofft man, dass nicht die Musik Anlass für die Malaise gewesen ist. Als wäre Prokofjew zum…
Künstlerische Glanzleistungen
Nein, ein Negativurteil wäre den wirklich fabelhaft spielenden Künstlern auf der Bühne gegenüber unangemessen. Im Zentrum der Konzentration sitzt neben dem mit klarer Gestik dirigierenden Iván Fischer (74) der Solist Nelson Goerner (55) aus Argentinien. Dieses Werk verlangt ihm viel ab, was den Kopf beschäftigt und die Sinnlichkeit dahinter versteckt. Für ihn ist das Prokofjew zum Abarbeiten.
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Trotzdem schafft es dieser Ausnahmepianist, gleich zwei Gänsehautmomente im Alleingang aus seinem Steinway zu kitzeln. Der erste gelingt ihm im ersten Satz, als nach episodischem Orchesterspiel plötzlich nur noch sein Klavier in einer fabelhaft vorgetragenen Solokadenz erklingt, deren Spannung Komposition und Orchester perfekt einfangen. Der zweite kurz vor Schluss, erneut in einer Solokadenz, auf die hier nur noch hofft, wer das Werk kennt. Das ist Prokofjew zum Aufhorchen!
Für Goerner gibt es daher auch die ersten Standing Ovations heute. Das Orchester unterstützte ihn zwar gut und auch Dirigent Iván Fischer setzte hier, wie am ganzen Abend, deutliche Akzente. Trotzdem waren die ergreifenden Momente im ersten Teil des Konzerts vor allem Goerners Verdienst. Auch seine Zugabe bereichert um noch einen Höhepunkt. Die fabelhaft von ihm vorgetragene Chopin-Nocturne erweist sich nicht nur als einziges Werk heute, das nicht von Prokofjew stammt. Unter Goerners Händen erstrahlt sie auch als Kleinod voller Sensibilität und Schönheit.
Cinderella als Einkehr zu Gewohntem
Zum Aufhorchen ist auch, was das Orchester nach der Pause darbietet. Prokofjews Cinderella ist voll mit Anklängen an das, was man mit ihm durch seine bekannten Werke verbindet. Abwechslungsreiche Rhythmen, volle Klangwelten mit bunten Orchesterfarben und volkstümliche Melodien. Oft blitzen schillernde Holzbläser-Soli hervor. An anderen Stellen überwiegen Tanzrhythmen. Und Iván Fischers Anmoderation der einzelnen Parts hilft neben dem gut geschriebenen Programmheft auch unheimlich, der Handlung zu folgen. Das ist Prokofjew zum Entdecken.
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Staatsieportret2018 © Simon Van Boxtel
Damit zeichnet sich hier fabelhafte Musik ab, wie man sie auch aus dem wenige Jahre älteren „Romeo und Julia“ kennt. In manch einer plakativen Szene tanzen die bösen Stiefschwestern von Cinderella mit einem Abendkleid, über das ein Streit entbrennt, der wunderbar belebt durch die Streicher und gedämpfte Trompeten illustriert wird. Der Tanz zwischen Cinderella und dem Prinzen wird zu einer fast übermütigen Walzerszene. Und in der aufwühlenden und heute Abend am meisten beeindruckenden Szene zur Mitternacht muss Cinderella vor jenem Prinzen fliehen, mit dem sie später ihr Happy End finden soll. Hier wird Prokofjew zur Erfahrung.
Das Publikum zollt dem Orchester dafür in nahezu geschlossener Einheit stehenden Applaus. Dem ungewohnten Schwerpunkt auf Prokofjew und unschönen Störungen zum Trotze kann man für dieses Erlebnis dankbar sein. Und Orchester und Dirigent geben mit ihrer Zugabe aus „Die Liebe zu den drei Orangen“ diese Dankbarkeit auch zurück. Fest steht, dass Prokofjew am Ende vor allem eines ist: Zum Erleben.
Daniel Janz, 15. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša Kölner Philharmonie, 7. Februar 2025
RPO, Julia Fischer, Violine, Vasily Petrenko, Dirigent Kölner Philharmonie, 2. Februar 2025